Vom 20. bis zum 22. April fand in Cochabamba auf Initiative des bolivianischen Präsidenten Evo Morales ein alternativer Klimagipfel statt, bei dem vor allem die Zivilgesellschaft das Sagen haben sollte.
Morales eröffnete die Konferenz am Dienstag mit einer Kampfansage an den Kapitalismus. Coca-Cola beschimpfte er als „Gift“. Die Erwähnung des amerikanischen Kultgetränks hat einen doppelten Sinn. Im Januar kündigte Morales an, den Kokaanbau in Bolivien demnächst auch zur Herstellung einer eigenen Limonade zu nutzen. Mit „Coca-Colla“ soll dem amerikanischen Imperialismus zumindest im Supermarktregal ein Ende bereitet werden. Und die Konferenz in Cochabamba war der Versuch, ein Rezept für die „Coca-Colla“ der Klimapolitik zu finden. Ob Cochabamba der Weltöffentlichkeit besser schmeckt als Kopenhagen?
Gastgeber Morales setzte auf eine offensive linke Kritik, die in ihrer Schärfe wohl bei den wenigsten Industriestaaten auf Verständnis stoßen wird. Er beließ es nicht bei einer Infragestellung der marktwirtschaftlichen Methoden mit denen die Vereinten Nationen Klimaschutz vorrangig betreiben wollen, sondern skandierte „nur der Tod des kapitalistischen Systems“ könne den Planeten retten.
Der Ton in den Abschlussberichten der 17 Arbeitsgruppen war gemäßigter. Sie widmeten sich je einem Thema und arbeiteten unter anderem Vorschläge zur Einrichtung eines internationalen Umweltgerichtshofs, zur Organisation eines weltweiten Referendums über Klimaschutzmaßnahmen und zur Reform der UN aus. Die Anregungen sollen von den in Cochabamba anwesenden Regierungen nächsten Dezember, beim 16. UN-Klimagipfel in Mexiko, an die anderen Vertragsstaaten der Klimarahmenkonvention weitergegeben werden.
Kampfansage oder Gebetsmühle?
Die Forderungen zum „Schutz der Rechte der Mutter Erde“ sind mit wenigen Ausnahmen sehr allgemein gehalten. Das Klimagericht, bei dem Individuen und Staaten Umweltvergehen melden können, soll auf jeden Fall seinen Sitz in Bolivien haben. Was genau eine Klimastraftat ist, bleibt vage. Die Forderungen der Arbeitsgruppe zum Kiotoprotokoll sind zwar konkret, widersprechen allerdings der politischen Realität nach dem Klimagipfel in Kopenhagen grundlegend. Das war auch das Ziel, da die meisten Konferenzteilnehmer den von US-Präsident Obama beim letzten UN-Klimagipfel im Alleingang mit China, Brasilien, Indien und Südafrika ausgehandelten „Copenhagen Accord“ ablehnten. Beim nächsten Gipfel in Mexiko soll nicht das Konsenspapier aus Kopenhagen verhandelt, sondern das Kiotoprotokoll erneuert werden. Die Industriestaaten müssten sich ab 2013 rechtlich verbindliche Emissionsziele geben und diese sollten doppelt so ambitioniert sein, wie bisher vereinbart. Der globale Temperaturanstieg dürfe die Grenze von einem Grad Celsius nicht überschreiten. Klimaschutzmaßnahmen müssten ausschließlich in den reichen Ländern umgesetzt werden, ein Rückgriff auf „flexible Mechanismen“ und den Emissionshandel wäre ausgeschlossen. Damit ist nicht Neues gesagt. Die Entwicklungsländer und zahlreiche NGOs fordern seit Jahren wirksameren und gerechten Klimaschutz von den Verursachern des Problems.
Die Medien zeigten für die Botschaft der Konferenz allerdings nur wenig Interesse. Das hat nicht nur etwas mit der etwas einseitigen Präsenz vor allem linker südamerikanischer Staatschefs zu tun. Eine wirklich starke Symbolkraft für einen Neubeginn der internationalen Klimapolitik unter der Ägide der Zivilgesellschaft ging von den Alternativvorschlägen in Cochabamba nicht aus. Das Treffen war eben kein „Weltsozialforum“ einer zivilgesellschaftlichen Klimabewegung, die in Bolivien neue Ideen, neue Energie und eine gemeinsame Strategie gefunden hat. Tadzio Mülller von der NGO „Climate Justice Action“ berichtete auf einem Blog über die zähen Strategiedebatten der Umweltaktivisten in Cochabamba. Die südamerikanischen NGOs haben seiner Meinung nach in Cochabamba Selbstvertrauen getankt und möchten in Cancún die „Kräfteverhältnisse“ zwischen Regierungen und Zivilgesellschaft umkehren. Die Europäer besinnen sich derweil auf lokale Einflussmöglichkeiten. Die international vernetzte „Climate Justice Action“, so Müller, zweifelt daran, ob es eine „globale Mobilisierung nach Cancún geben sollte – was wäre davon schon zu erwarten?“ Stattdessen möchte sie am 12. Oktober einen globalen Tag der direkten Klimaaktionen organisieren.
Auch die zwiespältige Rolle von Evo Morales, der sich mit der Einladung nach Cochabamba an die Spitze einer alternativen Klimapolitik stellen wollte, könnte der Glaubhaftigkeit der Konferenz geschadet haben. Die Umweltpolitik seiner Regierung gilt nicht gerade als vorbildlich. Das haben auch die Teilnehmer einer inoffiziellen 18. Arbeitsgruppe bemängelt. Die Fructas (Regionale Föderation der Bauern des südlichen Altiplanos) hat diesen „Rebellenworkshop“ mitorganisiert. Sie protestiert seit Jahren gegen die von einer Blei- und Silbermine verursachten Umweltschäden. Gegen den japanischen Betreiber erhält die Organisation von der Regierung aber keine Unterstützung. Bei vielen staatlichen Großprojekten soll die Regierung über die Köpfe der Bevölkerung vor Ort entschieden und die Verschmutzung von Naturschutzgebieten in Kauf genommen haben.
Erwartungsmanagement
Im Kontext der internationalen Klimapolitik hat der alternative Klimagipfel für wenig Aufregung gesorgt. Die mächtigen Staaten verfolgen ihre eigene Agenda. Eilig haben sie es auch nicht, frühestens 2011 könne im Rahmen des UN-Prozesses mit einem Durchbruch gerechnet werden, so die gängige Einschätzung der Klimadiplomaten. Kurz vor der Konferenz in Bolivien haben sich Vertreter der 17 größten Wirtschaftsmächte in Washington getroffen, um ? wieder einmal hinter geschlossenen Türen ? über weitere Schritte in der Umsetzung des Kopenhagener Abkommens zu beraten. Hauptsorge der großen Industriestaaten ist eine solide Einigung zwischen den beiden Großen, China und USA, ohne die ein Vorankommen im UN-Prozess als unwahrscheinlich gilt. Die EU steht den klimapolitischen Zielvorstellungen in Cochabamba inhaltlich womöglich näher als den amerikanischen Minimalzugeständnissen. In Kopenhagen mussten sie aber zuschauen, wie knallharte Interessenpolitik den Weg zu einem fairen, ambitionierten, rechtlich verbindlichen Klimadeal versperrt. Seither verharren die Europäer in Schreckstarre. Den „Accord“ erkennen sie zähneknirschend als bestmöglichen Kompromiss an. Boliviens Mut zu einem Alleingang auf dem internationalen Parkett können sie nur stumm bestaunen. An eigenem Mut für einen EU-internen Alleingang beim konsequenten Klimaschutz mangelt es den Europäern aber auch. Man wartet lieber ab, was die anderen tun.
Die Stimmung auf dem Weg zum diesjährigen Klimagipfel in Cancún ist wesentlich schlechter als letztes Jahr im Vorfeld des Treffens in Kopenhagen. Angesichts seines enttäuschenden Ausgangs könnte im ironischen Umkehrschluss Hoffnung für die Klimaverhandlungen in Mexiko bestehen. Aber es gehört viel Optimismus zu dieser Erwartungshaltung, wenn die Konfrontation zwischen Industriestaaten und Entwicklungsländern weiter eskaliert, die Forderungen immer weiter auseinanderdriften und zudem die Zivilgesellschaft keine geeinte Front mehr bildet.