LAGE DER NATION: Suboptimal

Genau wie der Koalitionsstreit zwischen CSV und LSAP wurde die Ursachenforschung in Sachen Krise erst einmal vertagt.

K(l)eine Nachbesserung am Koalitionsabkommen? Der sozialistische Parteivor-sitzende, sein Fraktionschef und der Regierungsvize warteten – sichtbar gut gelaunt – auf die Erklärung des Premierministers zur Lage der Nation.

Wie schon bei früheren „Erklärungen zur Lage der Nation“, hat Jean-Claude Juncker auch bei der in diesem Jahr abgegebenen gleich zu Beginn Wortbruch begangen: Sein – in leicht abschätzigem Tonfall geäußertes – Versprechen, die Abgeordneten nicht zu sehr mit lästigem Zahlenwirrwarr zu behelligen, blieb uneingelöst. Im Gegensatz zu den wenigen Informa-
tionen, die während der schließlich gescheiterten Tripartite-Verhandlungen bekannt wurden, enthält das über 50.000 Zeichen lange Redemanuskript des Premiers einen wahren Bombenteppich an Zahlen. Dass die aufmerksam lauschenden Abgeordneten sich trotzdem kein genaues Bild der Lage machen konnten, lag nicht an einem Mangel an mathematischer Befähigung. Denn der Premier listete zwar die unterschiedlichen Einzelmaßnahmen, die die Regierung zur Sanierung des Staatshaushalts in die Wege leiten will, eine nach der anderen auf und benannte in den meisten Fällen den jeweiligen Spareffekt, doch zugleich vermied er es konsequent, eine verbindliche Aussage über das Gesamtpaket zu machen.

Lediglich die direkten Sparmaßnahmen auf der Ausgabenseite wurden beziffert, und zwar mit mindestens 370 Millionen Euro für das Jahr 2011. Im Folgejahr sollen es dann 408 Millionen werden. Doch die spannende Frage, welche Mehreinahmen die Regierung wegen der diversen steuerlichen Maßnahmen denn nun insgesamt erwartet, klammerte der Premier aus. Wahrscheinlich, weil das seit Wochen von CSV-Ädilen gebetsmühlenartig vorgetragene Prinzip, zwei Drittel der Maßnahmen durch Einsparungen und lediglich ein Drittel durch Steuermehreinahmen abzudecken, nicht eingehalten werden kann. Juncker sagt nur noch: „Es werden mehr Ausgaben gesenkt, als Abgaben erhöht werden.“ Glaubt man sozialistischen Regierungsmitgliedern, wird es wohl eher auf ein fifty-fifty hinauslaufen.

Dass die CSV sich nicht mehr als die Steuersenkungspartei profilieren kann, stimmt den Premier sichtbar missmutig, und sein Kredit bei den Patronatsvertretern, den er letzte Woche noch dank seines Index-Vorstoßes in der Tripartite-Verhandlungen hatte aufbessern können, ist vorläufig verspielt. Deshalb bemühte er sich vor allem, den sozialen Effekt der
Steuererhöhungen hervorzustreichen. So wird im Jahre 2011 ein Paar mit 30.000 Euro Jahreseinkommen 136 Euro mehr an Steuern abführen müssen als noch in diesem. Am anderen Ende der Junckerschen Einkommensskala muss ein Paar mit 300.000 Euro Einkommen 7.582 Euro mehr abgeben. Auf den ersten Blick eine fast atemberaubende Progression: Wer zehnmal mehr verdient, muss einen um mehr als 50mal so hohen Obolus leisten. Doch täuscht dieses extreme Beispiel darüber hinweg, dass für Spitzenverdiener in Luxemburg, im Vergleich zu den Nachbarländern, die Steuerlast immer noch sehr niedrig bleibt .

Auch wenn Bezieher niedriger Einkommen weniger von den
Steuererhöhungen betroffen sein werden als „déi mat de breeden Schëlleren“, werden sie doch umso stärker einzelne der verbliebenen Sparmaßnahmen im Sozialbudget zu spüren bekommen. Der Vorwurf der Gewerkschaften, dass während der Tripartite kein brauchbares Zahlenmaterial vorgelegen habe, ist also offenbar zutreffend: Manche der von Finanzminister Frieden vorgelegten „Grausamkeiten“ wurden letztlich wohl auch deshalb aufgegeben, weil der tatsächliche Spareffekt in keinem Verhältnis zu den sozialen Folgekosten gestanden hätte.

Eine Stunde bis zum Index

Auf die mit viel Spannung erwarteten Aussagen des Premiers zum Index und zum Streit, der darüber in der christlich-sozialistische Koalition ausgebrochen ist, musste die Parlamentarier eine gute Stunde lang warten. Juncker legte noch einmal seine zwei Optionen dar und erläuterte, weshalb er ein Einfrieren des Effekts der Preiserhöhungen beim Benzin der Deckelung der automatischen Lohnanpassung auf der Höhe von zwei Mindestlöhnen vorzieht. Allerdings sprach er nur noch von „Pisten“, die es während der Kompetivitätsdebatte, die spätestens bis zum Jahresende stattgefunden haben muss, zu verfolgen gelte. Hierbei fällt auf, dass Juncker nicht ganz konform geht mit seiner eigenen Partei, die eine als „sozialen Index“ getaufte Deckelung favorisiert. Auf der anderen Seite hat er es verstanden, sich die unbequeme Diskussion um den Index für die nächsten Monate vom Halse zu halten. Es ist der – sozialistische – Wirtschaftsminister, der im Rahmen des europäischen Kompetivitätschecks, dem sich Luxemburg noch vor dem Sommer unterziehen muss, Vorschläge zum Index ausarbeiten soll, die dann wohl auch von seiner eigenen Partei mitgetragen werden.

Gerade die vom Premier ins Spiel gebrachte teilweise Entkopplung des Lebenshaltungsindex von der Ölpreisentwicklung macht deutlich, wie unausgegoren manche Tripartite-Vorschläge tatsächlich waren. „Der ,Metzler vun der Cap‘ kann nichts dafür, wenn im Golf von Mexico eine Bohrinsel explodiert. Trotzdem muss er, wenn dann der Ölpreis steigt, zweimal zahlen: Denn erstens wird seine Energierechnung teurer, und zweitens steigen die Löhne seiner Mitarbeiter“ – Junckers Stammtischgeschichte vom gebeutelten Mittelstand durfte darum auch diesmal nicht fehlen. Allerdings wird ihm dieses Argument von Seiten der Grünen oder Umweltschützer nicht abgenommen. Gerade wer eine zukunftsfähige Politik im Sinne der nächste Generationen betreiben will, sollte die Entwicklung bei den Energiepreisen für strukturelle Reformen nutzen, und sich nicht darauf beschränken, sich lediglich um die Kosteneffekte zu sorgen.

Das Stichwort Klimawandel ist bei der diesjährigen Erklärung zur Lage der Nation nicht ein einziges Mal gefallen. Ein Zufall ist dies nicht, denn altbekannte Leitziele wie ein Modal Split von 25 Prozent Anteil am öffentlichen Transport oder gar eine Erhöhung der Energieeffizienz werden vom Sparmaßnahmenpaket eher verhindert als gefördert. So sollen leer fahrende Busse abgeschafft und das Mobilitätsprojekt Nummer Eins, die Trambahn, vertagt werden. Zu der Frage, wie es um die Peripheriebahnhöfe rund um die Hauptstadt aussieht, hielt sich der Premier bedeckt. Zwar soll das Mobilitätskonzept 2020, das die Vorgängerregierung vorgelegt hatte, weiter verfolgt werden. Doch wird durch die Sparmaßnahmen dessen Rückgrat gebrochen. Dass das Mobilitätskonzept bislang das 25-Prozent-Ziel nicht erreicht hat, liegt auch daran, dass wichtige Vorbereitungsmaßnahmen – etwa die Einbindung potentieller NutzerInnen durch gezielte Befragungen – noch immer nicht erfolgt sind.

Ein Ausdünnen verschiedener Busverbindungen – zu einer Zeit in der es gilt, Umsteiger überhaupt erst einmal für den öffentlichen Verkehr zu gewinnen – führt lediglich zu einem Rückfall in ein Mobilitätsszenario, in dem alle Beteiligten voll in die Ölfalle tappen. Eine am Ende teure, und damit wenig kompetitive Art und Weise, das Verkehrsproblem anzugehen.

Doch eigentlich hatte die diesjährige Rede ja gar nicht das Ziel, Zukunftsvisionen aufzuzeigen. Es ging vielmehr darum, die Folgen einer schlecht vorbereiteten und missratenen Tripartite-Runde, die in einen echten Koalitionsstreit gemündet ist, auszubügeln. Der Schmusekurs, den Juncker nach einigen Wochen „suboptimalen“ Funktionierens der Koali-tion mit Blick auf die Sozialisten fährt, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die aktuelle Regierungsmehrheit weder eine einheitliche Analyse noch einen nachhaltigen Ansatz zur Lösung der von Juncker als Krise des „Turbokapitalismus“ entlarvten aktuellen Schieflage bieten kann.


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