PROZESS BIERMANN: Zu welchem Nutzen?

Am 17. Juni soll die siebte Straf-kammer des Bezirksgerichts Luxemburg über die Klage gegen Marguerite Biermann bezüglich der Aufwiegelung zum Rassenhass befinden.

Zugegeben, mit dem Thema Israel tut sich die woxx schwer. Dies nicht nur, weil die Einschätzung über das, was in und um Israel passiert, geschrieben und gesagt wird, in der Redaktion sehr unterschiedlich ist. Sondern weil es sich tatsächlich um ein hochsensibles Thema handelt, bei dem oft Schüsse ins Blaue abgefeuert werden oder – schlimmer noch – genau das treffen, was es zu verteidigen gilt. Sei es die politische Freiheit, das Recht auf Leben, das Recht auf Selbstbestimmung oder das der freien Meinungsäußerung. Deshalb hat die woxx-Redaktion auch über sechs Wochen gebraucht, um zur inzwischen weitgehend bekannten RTL-„carte blanche“ von Marguerite Biermann zum Thema Israel Stellung zu beziehen.

Dabei ging es vor allem darum darzulegen, inwiefern Frau Biermann in ihrem Kommentar antisemitische Klischees bedient und im Endeffekt jüdischen BürgerInnen in Luxemburg einen Sonderstatus zuweist (siehe woxx 1043, S. 5). In der Zwischenzeit hatten auch andere, durchaus Israel-kritische Stimmen in ähnlicher Weise Stellung genommen.

Leider hat es die Protagonistin in der Folge nicht bei der auf drei Minuten begrenzten, und daher sicherlich bewusst polemisch ausformulierten „carte blanche“ belassen, sondern die teilweise heftigen Reaktionen auf ihren Kommentar zum Anlass genommen, die Mär von einer zionistischen Lobby, die sie ihrer freien Meinungsäußerung berauben will, fortzuspinnen.

Es mag diese Engstirnigkeit gewesen sein, die am Ende das jüdische Konsistorium in Luxemburg bewogen hat, gegen die ehemalige Richterin Klage nach dem Gesetz von 1997 gegen Rassismus und Revisionismus einzureichen. Mit diesem Gesetz wurde im Artikel 457-1 des Luxemburger Strafkodex unter anderem festgeschrieben, dass jeder, der durch eine öffentliche Stellungnahme – sei es in Wort, Bild oder Schrift – zum Hass gegen Personen, Gruppen oder Gemeinschaften aufruft, zu einer Haft-, einer Geldstrafe oder zu beidem verurteilt wird.

Das Gesetz wurde im „Europäischen Jahr gegen den Rassismus“ vor allem deshalb vom Parlament verabschiedet, weil die Möglichkeit geschaffen werden sollte, Diskriminierungen Einzelner aufgrund ihrer Herkunft, ihrer Hautfarbe, ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Orientierung, ihrer familiären Situation, ihres Handicaps, ihrer Gebräuche, ihrer politischen oder philosophischen Meinung, ihrer gewerkschaftlichen Aktivitäten oder ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen Zugehörigkeit zu einer Ethnie, einer Nation, einer Rasse oder einer Religion zu unterbinden. Außerdem wurde es durch dieses Gesetz anerkannten Organisationen ermöglicht, stellvertretend für die so stigmatisierten Einzelpersonen Klage zu erheben.

Die parlamentarische Mehrheit sprach seinerzeit von einem „symbolischen“ Gesetz, da es im Gegensatz zu anderen Ländern der Europäischen Union in Luxemburg keine Verstöße im Sinne der von dem Gesetz ins Auge gefassten Tatbestände gegeben habe. Obwohl diese Einschätzung sich kaum mit der tagtäglichen Praxis etwa auf dem Arbeits- oder dem Wohnungsmarkt decken dürfte, fand das Antidiskriminierungsgesetz in Luxemburg bislang wenig Anwendung. Tatsächlich hat das Gesetz von 1997 ja nicht nur moralischen Schaden im Visier, es geht auch, und vor allem, darum, die wirtschaftliche Diskriminierung bestimmter Personen und Gruppen zu unterbinden.

Seit der Verabschiedung des Gesetzes, und vor der Affäre Biermann, ist es erst einmal zu einem ähnlichen gerichtlichen Verfahren gekommen. Vor drei Jahren hatte die Association de Soutien aux Travailleurs Immigrés (ASTI) die öffentliche Zurschaustellung der Selbstverbrennung einer afrikanischen Frau per Internet angeprangert. Damals wurde der Beschuldigte verurteilt, weil er die Bilder mit für die betroffene Person entwürdigenden Kommentaren versehen hatte.

Kein Vorsatz der Angeklagten

Im Falle Biermann fällt auf, dass der Staatsanwalt Robert Biever gar nicht erst den Versuch unternahm, Frau Biermann einen Vorsatz, zum Rassenhass aufgerufen zu haben, nachzuweisen. Vielmehr berief er sich auf ihren intellektuellen Status und ihre berufliche Vorkenntnis als Richterin. Sie habe wissen müssen, wozu ihre gegen die jüdische Gemeinschaft in Luxemburg gerichtete „carte blanche“ hätte führen können. Für Biever zielt das Antirassimusgesetz auf die Wirkung ab, ein Vorsatz muss nicht unbedingt im Spiel sein, er könnte sich allenfalls auf das Strafmaß auswirken. Der Vertreter der Anklage verlangte denn auch nur eine Geldstrafe von 1.000 Euro und sah gänzlich von einer Haftstrafe ab. Angesichts der möglichen Bandbreite von 250 bis 25.000 Euro und der Einkommensverhältnisse der Beklagten dürfte es sich also eher um eine „symbolische“ Strafforderung handeln.

Symbolwirkung hat der Prozess ebenfalls, nach ihrem eigenen Dafürhalten, für die Beklagte, die die von ihrem Verteidiger eingebrachten Anträge auf Nichtigkeit der Anklage wegen Formfehler zurückgewiesen hatte und auf einer Verhandlung „quant au fonds“ bestand. Im Vorfeld der Verhandlung hatte sie bereits die Vermittlungsversuche des Staatsanwalts abgelehnt, der sich bereit erklärt hatte, die Klage zurückzuziehen, falls Biermann sich beim Konsistorium entschuldige.

In ihrer im Tageblatt vom 18. Mai abgedruckten Verteidigungsrede erläutert Biermann detailliert, weshalb sie die Anrufung des Antidiskriminierungsgesetzes in ihrer Angelegenheit zurückweist. Sie habe ihren Appell gegen die Politik Israels gegenüber den Palästinensern an die intellektuelle jüdische Elite in Luxemburg gerichtet, weil sie das Schweigen brechen wollte. Ihr dies zu verbieten, sei gleichzusetzen mit einem Angriff auf die freie Meinungsäußerung. Damit berührt sie tatsächlich einen Problempunkt, an dem das Gericht sich nicht vorbeimogeln kann: Wie weit kann die freie Meinungsäußerung gehen?

Leider überspannt Biermann auch hier den Bogen, wenn sie die Entfernung ihrer „carte blanche“ von der RTL-Internetseite einen Fall von Zensur nennt und – wiederum – vom Druck der jüdischen Lobby spricht. Natürlich wäre RTL gut beraten gewesen, den Biermann-Kommentar, der mehrere Tage in der Redaktion zirkulierte, bevor er auf Antenne ging, genauer zu studieren, statt ihn später mit einer Entschuldigung zurückzunehmen. Aber es ist eben das Recht des Betreibers einer Internetseite, Beiträge zurückzuziehen, wann immer er dies für richtig hält.

Etwas vorsichtiger formuliert es Biermanns Verteidiger Fernand Entringer, der von einer komplexen juristischen Situation spricht. Das Anti-rassismusgesetz, das sich in großen Zügen an die französische Gesetzgebung anlehnt, sei nicht nur teilweise unpräzise, sondern stelle eine Art Gegengewicht zum Recht auf freie Meinungsäußerung dar. Letzteres werde nur unter der Bedingung aufgehoben, dass eine bösartige Intention vorhanden ist, die freie Meinungsäußerung zu missbrauchen. Tatsächlich liegen in der französischen Jurisprudenz sehr unterschiedliche Auslegungen vor.

Wenn aber selbst der Staatsanwalt den Vorsatz als nicht gegeben ansieht, müsste das Gericht unter dem Vorsitz von Alexandra Huberty eigentlich die Klage aufgrund des Schutzes der freien Meinungsäußerung abweisen. Doch Biermann hat sich in ihrer „carte blanche“ und den darauf folgenden Stellungnahmen selbst einige Fallen gestellt, die eine andere Auslegung möglich machen könnten.

Ungeachtet des Prozessausgangs stellt sich die Frage, ob Klageführung über das Antirassismusgesetz in dieser Sache überhaupt hilfreich gewesen ist. Verliert Biermann, wird das die Gemüter kaum beruhigen, da den Klageführern schon jetzt Legalismus statt Diskussionsbereitschaft vorgeworfen wird. Gewinnt Biermann, werden ihre teilweise haarsträubenden Thesen und Argumentationslinien unnötigerweise an Glaubwürdigkeit gewinnen.


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