LEBENSSTANDARD: Besser als gut

Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat zumindest eins ausgelöst: Die Frage ob Glück sich messen lässt wird seit langem wieder gestellt.

„Haben oder Sein“ – ein Buchtitel der nicht wenige in der aufkommenden Umweltbewegung der 70er Jahre begleitet hat. Damals kam die Kritik am Wachstumsmodell eher aus der linken Ecke: Es ging zwar vielen materiell sehr viel besser als jemals zuvor, aber das alles geschah auf Kosten der Lebensqualität. Fünf oder sechs Tage schuften in der Woche und alles, was dem Produktionsprozess nicht mehr dienlich ist, an die freie Natur abgeben. Ein Wirtschaftsmodell, das zwar kurzfristig ungewöhnlich erfolgreich war, aber auf Dauer nicht überleben konnte. So jedenfalls sagte es damals der als Öko-Prophet belächelte Erich Fromm in seinem eingangs erwähnten Kultbuch.

Heute gehört es durchaus zum „rechten“ Ton, wenn Industriebonzen, Bankmanager und Wirtschaftslobbyisten zu einem neuen Bewusstsein nach dem Motto „weniger ist mehr“ aufrufen. Der kleine Unterschied zur Wachstumsdebatte von damals: Eigentlich heißt es „weniger für die breite Masse, dafür umso mehr für einige Wenige“. Bis auf eingefleischte Produktivisten haben die meisten verstanden, dass das industrielle Wachstum auf derzeit unüberwindbare natürliche Grenzen stößt, wie uns der kürzlich zelebrierte „Overshoot Day“ vor Augen geführt hat (siehe auch Seite 3). Das Umverteilungsmodell, das die Gewerkschaften und die ihr nahe stehenden Parteien nicht ohne Erfolg durchsetzen konnten, um vom ständig wachsenden Kuchen einen gewissen Teil abzubekommen, ist ebenfalls ins Stocken geraten und in der Folge der Wachstumskrise vielfach bis zur Unkenntlichkeit abgewandelt worden.

Zwei Studien des Statec haben sich kürzlich auf unterschiedliche Weise dieses Themas angenommen: Zum einen wurde in einem internationalen Vergleich der Frage nachgegangen, ob der materielle Wohlstand der Menschen auch mit einem subjektiven Wohlsein einhergeht. Zum anderen ließ der Statec-Direktor ausrechnen, inwieweit sich die unterschiedlichen in der politischen Diskussion herumschwirrenden Index-Manipulations-Modelle überhaupt auf die Entwicklung der Löhne ausgewirkt hätten, wären sie in den letzten Jahren zum Einsatz gekommen.

Beide Studien haben, in der Art wie sie angelegt sind, nichts miteinander zu tun. Aber sie kommen zu einem Zeitpunkt, wo sie der politischen Debatte wichtige Impulse geben könnten. Doch – Sommerpause hin oder her – bislang sind die Reaktionen auf beide Bestandsaufnahmen verhalten. Denn sie passen nicht zu den Horrorszenarien, wie sie von manchen in den letzten Wochen und Monaten gezeichnet wurden.

Dabei sind die Ergebnisse geradezu banal: Obwohl Luxemburg ein reiches Land mit einer relativ gerechten Verteilung dieses Reichtums ist, gehören seine BewohnerInnen nicht unbedingt zu den Menschen, die vorgeben mit ihrer Situation am glücklichsten zu sein. Eine Zunahme des Reichtums wirkt sich ab einer gewissen Schwelle nicht mehr direkt auf das Glücksgefühl der Menschen aus, so rechnen die Statec-Wissenschaftler vor. Pech demnach für Luxemburg, dass es uns so gut geht?

Nicht anders die Index-Studie: Die Auswirkungen der Modulation seien eher als gering einzustufen, weshalb sich der ganze Streit eigentlich nicht lohne. Müssen also die Gewerkschaften sich die Frage stellen, ob es sich lohnt, für ein derart wirkungsloses System zu kämpfen? Bloß weshalb ein System abschaffen, wenn es sowieso nicht für die von seinen Gegnern angeführten Fehlentwicklungen verantwortlich ist? Denn zumindest eines stimmt: Die automatische Indexanpassung geht einher mit einem relativen sozialen Frieden.

Es sind demnach weniger die Ergebnisse der beiden Studien, als die Debatten die sie auslösen könnten, die uns eventuell voranbringen können: Wie schaffen wir es einen vorhandenen Wohlstand so zu verteilen, dass das Wohlbefinden aller bewahrt wird, ohne den Kuchen unnötig aufblähen zu müssen? Mehr zu „sein“ ohne unbedingt mehr zu „haben“. Keine neue Fragestellung, aber eine die heute weit weniger utopisch, dafür umso dringlicher ist, als in den 70er Jahren.


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