Opferschutz: Frieden opfert sich für Europa

Ein Gesetzesvorschlag des Justizministers folgt einer europäischen Richtlinie und sieht zahlreiche Neuerungen in der Strafprozessordnung vor.

Eduard Frieden oder Luc Zimmermann … (Foto: woxx-Montage)

„Jeder von uns kann schon morgen selbst betroffen sein“, warnte Eduard Zimmermann vor einigen Jahren auf Werbeplakaten des Weißen Ringes in Deutschland. Die Geschichte der Opferschutzorganisation war einst untrennbar mit der Person ihres Gründers und ehemaligen Moderators der ZDF-Fahndungssendung „Aktenzeichen XY ungelöst“ verbunden – bis Zimmermann den Weißen Ring im Oktober 2000 verließ: Er hatte der Organisation Spendenmissbrauch vorgeworfen. Seitdem fehlt den OpferschützerInnen eine Galionsfigur.

Mittlerweile bemüht sich Justizminister Luc Frieden, diese Lücke zumindest in Luxemburg zu füllen. Bisher ging es dem CSV-Politiker vornehmlich um TäterInnen – um tatsächliche und um vermeintliche. Die Opfer von Gewaltverbrechen spielten hingegen eine eher untergeordnete Rolle. Sie wurden vor allem dann ins Spiel gebracht, wenn besonders von konservativen PolitikerInnen höhere Strafen für TäterInnen gefordert wurden. Das soll nun alles anders werden: Denn Frieden hat einen Gesetzentwurf über den Opfer- und Zeugenschutz auf den Weg durch die legislativen Instanzen geschickt. Der Ministerrat hieß das Projekt bereits gut.

In dem geplanten Gesetz erhält das Verbrechensopfer erstmals einen eigenen Rechtsstatus. Von nun an soll klar definiert sein, wer wann und wieso Opfer einer Straftat ist. Zudem soll dessen Recht auf Information verbessert werden. Dazu sieht das Gesetzesprojekt vor, dass die Staatsanwaltschaft die betroffene Person spätestens 18 Monate nach Einreichen der Klage über den Stand des Verfahrens und dessen weiteren Verlauf benachrichtigen muss.

Zudem sollen Minderjährige besser geschützt werden: Kinder und Jugendliche brauchen in schwer wiegenden Fällen wie zum Beispiel bei sexuellem Missbrauch nicht mehr direkt vor Gericht aussagen und dem Angeklagten von Angesicht zu Angesicht gegenüber stehen. Ihre Aussagen können von nun an auf Video aufgezeichnet werden. Dies gilt auch für ZeugInnen und ExpertInnen, die per Videokonferenz zugeschaltet werden sollen.

Anonyme Zeugen

Zum Opferschutz gehört laut Gesetzesentwurf nicht zuletzt, dass ZeugInnen unter Anonymität aussagen können. Ein Gericht könne jedoch niemanden aufgrund einer anonymen Zeugenaussage verurteilen, schränkt der Minister auf einer Pressekonferenz am vergangenen Montag ein. Denn einer solchen Möglichkeit hat der Europäische Menschengerichtshof einen Riegel vorgeschoben. Darüber hinaus läuft die Verjährungsfrist bei Delikten gegenüber Minderjährigen erst ab, wenn diese die Volljährigkeit erreicht haben. Allgemein wurde die Frist von drei auf fünf Jahre erhöht. „Immer mehr Opfer reden über ihre tragischen Erlebnisse erst, wenn sie älter sind“, begründet Frieden diese Änderung.

Wenn es darum geht, die Opfer zu entschädigen, vereinfacht das Gesetzesprojekt die Prozeduren: Für einen Antrag auf Entschädigung bleiben zukünftig zwei Jahre Zeit, bisher war es nur ein Jahr. Dabei wird nicht mehr nur der materielle Schaden ersetzt, sondern auch der „moralische“. Bislang boten nur Belgien, Dänemark, Finnland, Frankreich, Schweden und Deutschland auch für immateriellen Schaden eine Entschädigung. In Luxemburg erhielten Verbrechensopfer im Jahr 2000 nach Angaben der Deutschen Richterzeitung insgesamt 42.000 Euro.

Frieden sieht in der geplanten Reform eine „Vermenschlichung des Strafrechts“. Demgegenüber sehen KritikerInnen eher dessen weitere Verschärfung unter dem Vorwand des Opferschutzes. „Die Schuldvermutung wird an die Stelle der Unschuldsvermutung gesetzt“, deutet Jo Muttergé in der Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek den Gesetzentwurf. Unterdessen schreibt Léon Marx im Tageblatt: „Nach dem Gesetzentwurf zur Verschärfung der Strafbestimmungen über den Hausfriedensbruch (Lex Greenpeace) endlich wieder einmal ein Text aus der Kanzlei von Justizminister Luc Frieden, über den man sich wirklich freuen darf.“

Internationaler Druck

Die luxemburgische Regierung folgt der Notwendigkeit, den Rückstand Luxemburgs in Sachen Opferschutz aufzuholen. Die Europäische Union hat dafür im vergangenen Jahr einen Rahmen geschaffen. Auf den Mitgliedsländern lastet nun der Druck, die Direktive in nationale Gesetze zu fassen. Denn zu einem einheitlichen europäischen Rechtsraum zählt nach Auffassung der EU-Kommission auch der einheitliche Schutz der Opfer von Straftaten. Bereits 1989 hatte der Europäische Gerichtshof entschieden, dass einE UnionsbürgerIn, der/die sich in einen anderen Mitgliedsstaat begibt, als zwingende Folge dieser Freizügigkeit einen Anspruch auf denselben Schutz wie die Angehörigen des jeweiligen Mitgliedsstaates hat. Das Gericht sprach in einem konkreten Fall einem Briten dieselbe Entschädigung zu, die auch Franzosen in ihrem Land erhalten, wenn sie Opfer einer Straftat werden.

Was Minister Frieden als große Reform ankündigt, ist also längst überfällig. Denn Luxemburg ist in Sachen Opferschutz eher ein Nachzügler. So sieht es zumindest Alex Bodry, der selbst bereits vor anderthalb Jahren ein Vorstoß zu diesem Thema wagte. Der LSAP-Abgeordnete hatte im September 2001 einen Gesetzesvorschlag zur Stärkung der Rechte von Gewaltopfern deponiert. Zentrale Punkte waren dabei das Informationsrecht der Opfer sowie die Frage nach deren Entschädigung – mit der belgischen Gesetzgebung als Vorbild, wie Bodry gegenüber der woxx erklärte.

Der „Waisse Rank – Lëtzebuerg“, die 1979 gegründete luxemburgische Version des Weißen Ringes, fordert schon seit langem einen gesetzlich verankerten Schutz für Verbrechensopfer. „Was jetzt in dem Gesetzesprojekt steht, haben wir schon vor vier Jahren bei einem Gespräch mit Herrn Frieden gefordert“, so der Waisse-Rank-Präsident François de Waha.

Als luxemburgischer Eduard Zimmermann würde Frieden jedenfalls eine gute Figur abgeben. Unterdessen könnte er mit Hilfe der „Lex Greenpeace“ noch missliebige DemonstrantInnen mundtot machen. Wer die Opfer polizeilicher Gewalt schützt, das steht jedenfalls nicht in dem Gesetzentwurf des Ministers.

Stefan Kunzmann


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