STRAFVOLLZUG: Made in Jail

Bei „défi-job“ restaurieren Gefängnisinsassen Möbel und stellen Designerprodukte her. Es ist eine Etappe auf dem Weg zurück in die Gesellschaft – an dessen Ende jedoch oft der Arbeitsplatz fehlt.

Mehr Plätze auf dem Arbeitsmarkt für die ehemaligen Häftlinge aus Schrassig, das würde die Aussicht auf Integration verbessern.

„Der halboffene Strafvollzug in Givenich bietet die Möglichkeit, sich beim Arbeitsamt einzutragen“, erklärt Marco Dos Santos Pereira*. Dennoch habe er keine Arbeit gefunden. „Wegen meiner Vergangenheit ist das nicht einfach – die Arbeitgeber sind kritisch.“ Rund vier Jahre hat Marco Pereira wegen Drogendelikten eingesessen, den Sprung zurück ins Leben hat er vor allem dank der Hilfe von „défi-job“ geschafft – einer kleinen asbl, die in einem der Gebäude der großen Gutsanlage in Givenich mit ihren Bauernhäusern, Scheunen und Gewächshäusern ihren Sitz hat. In dem abseits vom Alltagsgeschehen im Grünen gelegenen Dorf verbüßen bis zu 100 Gefangene ihre Strafe im halboffenen Vollzug, um in verschiedenen Ausbildungs- und Schulungsprogrammen auf das Leben in Freiheit vorbereitet zu werden.

„Schwierigkeiten bei der Wiedereingliederung in die Gesellschaft bereitet nicht nur die Vergangenheit der Gefangenen, sondern auch ihre häufig nur geringe Ausbildung und die geringe Aufnahmefähigkeit des Arbeitsmarktes“, stellt Paula Gomes, Vorsitzende von „défi-job“, fest. Viele Betroffene seien vor ihrer Gefängnishaft nur in kurzfristigen Arbeitsverhältnissen beschäftigt gewesen; viele hätten keine abgeschlossene Lehre. So auch Marco Pereira, der eine Ausbildung als Küchenjunge abgebrochen hatte, aber schließlich von „défi-job“ in die Baubranche vermittelt werden konnte. „Die Baubranche ist fast der einzige Bereich, in dem wir noch Leute unterbringen können“, stellt Gomes frustriert fest, die nach einem Literaturstudium und einer Berufstätigkeit im Journalismus ihre Aufgabe bei „défi-job“ gefunden hat. Die Vereinigung wurde 2002 von einer Gruppe von Gefängniswärtern des „Centre pénitentiaire de Givenich“ (CPG) gegründet mit dem Ziel, den Gefangenen bei der beruflichen Resozialisierung zu helfen. Nachdem „Défi-Job“ anfänglich mit sehr beschränkten Mitteln arbeiten musste und ganz von Freiwilligen getragen wurde, gelang es in der Zwischenzeit, ein Abkommen mit dem Justiz- und dem Arbeitsministerium treffen, das es ermöglichte, nicht nur Personal einzustellen, sondern auch das Konzept des Vereins weiter auszubauen.

Schwache berufliche Profile

Dessen primäres Anliegen hat sich dabei nicht gewandelt: Es geht auch heute darum, Häftlinge in Unternehmen auf dem freien Arbeitsmarkt unterzubringen. „Der Arbeitgeber weiß also, wenn wir mit ihm in Kontakt treten, dass das Strafregister eines Arbeitnehmers belastet ist. Jedoch erzählen wir nicht, warum eine Person bestraft wurde“, so Gomes.

Zu diesem „Kerngeschäft“ des Vereins sind inzwischen noch weitere Aktivitäten hinzugekommen, nämlich das Projekt „Vide-Greniers“ und eine Produktion von Designerobjekten unter dem Label „Jailbird“. „Als wir im Laufe der Jahre feststellten, dass die berufliche Qualifikation unserer Insassen immer weiter abnahm, sie keinen Schul- oder Lehrabschluss und keine Berufserfahrung hatten oder infolge langjähriger Gefängnisstrafen, Gesundheitsproblemen und Drogensucht den Kontakt zur Arbeitswelt verloren hatten und schwer auf dem ersten Arbeitsmarkt zu vermitteln waren, haben wir das autonome Projekt Vide-Greniers auf die Beine gestellt“, erläutert Gomes. Die Idee war, dass die Dienstleistung „Entrümpelung der Speicher von Privatleuten“ eine Marktlücke darstellt – besonders im östlichen Landesteil – und dass die alten Möbel und sonstigen Objekte, die bei den Aufräumaktionen anfallen würden, in der eigenen Schreinerei des Vereins restauriert und sodann verkauft werden könnten. „Das Konzept hat Erfolg. Es gibt sogar Kunden, die Trinkgeld geben, da sie mit der Arbeit sehr zufrieden sind“, freut sich Gomes. Mittlerweile wenden sich auch Leute mit renovierungsbedürftigen Möbeln direkt an „défi-job“. Die zweite erfolgreiche Zusatzaktivität ist die Herstellung von eigenen Designerprodukten. „Jailbird“ – ein fliegender Vogel als Symbol für Freiheit und Hoffnung – wurde im Rahmen der Zusammenarbeit von Strafanstalt, „défi-job“ und dem lokalen Designerteam „Guido & Glas“ zum Label der jetzigen und zukünftigen Designerprodukte erkoren. Aus der Kooperation sind schicke minimalistische Designertaschen aus Filz entstanden, die nicht nur im Mudam, sondern mittlerweile auch im Centre Pompidou in Metz erworben werden können. „Sinn der Sache war, den Insassen von Givenich eine neue Welt zu eröffnen. Aber auch, den Menschen draußen bewusst zu machen, dass Gefangene viel ungenutztes Potential haben“, so Gomes. Die Aktion soll alle zwei Jahre mit einem anderen Designerteam wiederholt werden. Neue Erfahrungen machten die Häftlinge von „défi-job“ auch, als sie vor kurzem Bühnenbilder – einmal für das Kulturhaus in Mersch und dann für das Théâtre ouvert de Luxembourg (TOL) – herstellen durften.

Rechte als Motivation

Anders als die übrigen Werkstätten in Givenich, bei denen es eher um Beschäftigung geht, funktioniert die Werkstatt von „défi-job“, in der zurzeit sechs Häftlinge arbeiten, also fast wie ein normaler, eigenständiger Betrieb. Es gibt nur einen Unterschied zur „normalen“ Welt: Die Häftlinge müssen in den halboffenen Strukturen von Givenich schlafen und hier auch ihre Mahlzeiten einnehmen. Ansonsten lernen sie in der Werkstatt von „défi-job“, sich an Prinzipien des Arbeitslebens, wie Pünktlichkeit und Teamarbeit, zu halten und selbst Verantwortung für die Fertigstellung und rechtzeitige Auslieferung ihrer Erzeugnisse zu tragen. Sie erhalten zwar nur den Mindestlohn – wobei 65 Prozent vom Arbeitsministerium finanziert werden – der jedoch immerhin über dem 200-300 Euro-Satz liegt, den die Gefangenen in den geschlossenen Werkstätten von Schrassig erhalten. Auch wenn sie im Allgemeinen nicht frei über ihr Gehalt verfügen können – das CPG übernimmt während der Haftstrafe die Verwaltung der Einnahmen – ermöglicht ihnen das Geld doch in gewissem Umfang, etwas zurückzulegen, der eigenen Familie finanziell zu helfen und eventuelle Schulden zu begleichen. Krankenversicherung und Beiträge für die Pensionskasse werden vom Staat bezahlt. „Ein Insasse, der während zwanzig Jahren Haft nichts tut, hat am Ende auch gar nichts – nicht einmal Rentenansprüche“, so Gomes. Die Häftlinge von „défi-job“ sind auch beim Arbeitsamt registriert. Das gibt ihnen das Recht, Arbeitslosengeld zu beziehen, wenn sie nach Verbüßung ihrer Strafe keine Arbeit finden. Aufgrund dieser Rechte ist die sozio-professionelle Re-Integration auch eine Aufgabe für den Gefangenen selbst. Was „défi-job“ nicht leisten kann, ist, den Häftlingen ein Ausbildungsdiplom auszustellen: „Die Strafgefangenen haben jeweils unterschiedliche Haftzeiten. Sie bleiben maximal zwei Jahre, manchmal nur vier bis fünf Monate – da ist es nicht möglich, eine Ausbildung von Anfang bis Ende durchzuziehen“, erläutert Gomes.

Keine Arbeit für Gefangene

Es hat auch nicht jeder Häftling Zugang zu den Projekten von „défi-job“. Zugelassen werden nur die, die einen Antrag gestellt, sich auf dem langen Weg durch die internen Resozialisierungsmaßnahmen von Schrassig bis Givenich bewährt und schließlich vom „Service Psycho-Social-Educatif“ (SPSE) und dem „Service Centre d’Aide Sociale“ (SCAS) eine gute Führung bescheinigt bekommen haben. Diese Gefangenen werden am Ende ihrer Haft bei „défi-job“ aufgenommen, damit sie eine Arbeit auf dem freien Arbeitsmarkt finden oder wenigstens in einer staatlichen „Mise au travail“-Maßnahme einen Platz bekommen. Das Letztere ist allerdings nicht ideal, denn diese Maßnahmen sind zeitlich befristet und bergen die Gefahr, dass der Häftling sich bloß im Kreis dreht, wie Gomes erläutert. Dieses Jahr hätten sich nur sechs Interessenten bei défi-job gemeldet. „Das kann daran liegen, dass die Betroffenen nicht die geforderten Kriterien erfüllen“, vermutet sie. Aber auch Gefangene aus Drittstaaten ohne Papiere und festen Wohnsitz können die Resozialisierungsmöglichkeiten der Vereinigung nicht wahrnehmen, da die Konvention mit dem Arbeitsamt sie ausdrücklich ausschließt.

Auch in Schrassig würden viele Insassen gerne arbeiten, haben aber nicht die Möglichkeit dazu. „Hier in Givenich befinden sich momentan rund 70 Strafgefangene, in Schrassig sind es 600. Dort stehen jedoch nur rund 50 Arbeitsplätze zur Verfügung, und auch im Schulbereich gibt es nicht genügend Ausbildungsplätze“, stellt die Vorsitzende von „défi-job“ fest. Zudem litten auch die Gefängnisse unter der Finanzkrise – es gebe zu wenige Unternehmen, die Bestellungen aufgeben.

Schon lange steht Luxemburgs Strafvollzug wegen der chronischen Überbelegung des geschlossenen Vollzugs in Schrassig (CPL) in der Kritik. Zwar wurde in den vergangenen Jahren damit begonnen, Gefangene nach Art ihrer Haftstrafe zu differenzieren, indem minderjährige Delinquenten in die Jugendstrafanstalt nach Dreiborn, Abschiebehäftlinge nach Fertigstellung in die Einrichtung Findel verlegt werden und für Untersuchungshäftlinge ein weiteres spezielles Gefängnis geschaffen wird, das bis Ende 2017 in Sassenheim entstehen soll – doch kommen Resozialisierungsmaßnahmen oft zu kurz. Sie müssten aber schon vom ersten Tag an angeboten werden. „In Norwegen ist die Zahl der Insassen, die das Gefängnis mit einem Diplom verlassen, sehr hoch, da die Häftlinge arbeiten oder studieren müssen“, so Gomes. Und einige würden Freude daran finden und nach ihrer Haftstrafe ein reguläres Studium beginnen. „Man muss die Leute motivieren.“ Raus aus dem Gefängnis wollten alle – aber ein Ziel vor Augen hätten in Luxemburg nur die wenigsten. Hier seien auch Kompetenzen sehr wichtig. Einerseits die der Leute, die mit den Gefangenen arbeiten, und andererseits die der Gefangenen selbst. Während in Frankreich ein Insasse seine beruflichen Kompetenzen schriftlich beschreiben und beträchtlichen Papierkram bewältigen müsse – was für viele, die kaum schreiben können, sehr schwierig sei – habe er in den nordischen Ländern die Möglichkeit, sein berufliches Können, zum Beispiel Haareschneiden, Berufsvertretern vorzuführen. Danach erhalte er ein Diplom. „In Luxemburg scheint man dagegen eher das französische Modell übernommen zu haben“, bedauert Gomes. Wichtig wäre der Ausbau von reintegrativen Strukturen, wie etwa der „écoles de la deuxième chance“, um das Ausbildungsniveau zu steigern und so die Aussicht der Betroffenen zu verbessern, ein selbstbestimmtes Leben außerhalb der Mauern führen zu können.

*Name von der Redaktion verändert
Mehr Infos unter: www.jailbird.lu


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