KLASSIK: Die Kleine, die Reine, die Eine

Alte und neue Musik hat Christine Schäfer eingespielt, aber immer mit einer persönlichen Note. In der Philharmonie wird sie deutsche Lieder des frühen 20. Jahrhunderts vortragen.

Das Alte, neu belebt von
der ewig jungen Muse. Cover der CD „Apparition“.

Es passt so gar nicht zu ihr. „Dein Will‘ ist mir Gesetz. (…) Und dir gehorchen bringt mir Freude, Glück und Ruhm.“ Christine Schäfer singt mit heller klarer Stimme die Eva in Haydns Schöpfung, die Aufnahme von 1993 mit Helmut Rilling. Drei Jahre später, als sie die moderne Oper Lulu von Alban Berg einspielte, musste sie, durfte sie mit breiten Modulationen singen: „Wenn sich die Menschen um meinetwillen umgebracht haben, so setzt das meinen Wert nicht herab.“ Die Rolle einer kühlen und selbstbewussten Frau dürfte der deutschen Sopranistin schon eher gelegen haben. Die „femme fatale“-Seite der Lulu dagegen war eine Herausforderung für die eher kleine und schmächtige Schäfer – die sie mit Bravour meisterte.

Am 15. wird die Sopranistin in der Philharmonie auftreten, diesmal mit Liedgesang. Die Stücke von Mahler, Wolf und Webern – mit Klavierbegleitung – geben ihr reichlich Gelegenheit, durch feine Nuancen tiefe Emotionen auszudrücken. Doch Christine Schäfer ist eine Frau mit vielen Gesichtern. Wie viel Energie und welchen Glauben an die Kunst sie in sich birgt, vermittelt die Filmaufnahme eines Konzerts mit Pierre Boulez. Vom großen Orchester begleitet, singt eine hochschwangere Sopranistin über „die Zeit, die deine gedeihende Blüte austrocknen, vergilben, verwelken lässt“ – stark genug, diesen morbiden Versen von François Villon in die Augen zu blicken.

Wer ist diese Frau wirklich? Einen bescheidenen Einblick gibt ein Bonus-Interview auf der DVD „Pierrot lunaire / Dichterliebe“ von 2002 in einem Berliner Café: Die Sopranistin erzählt von ihrer frühen Begeisterung für moderne klassische Musik, und vom Schock, als sie sich an einer Musikschule vorstellte und als Soubrette, also nur für Zofenrollen geeignet, einklassiert und abgelehnt wurde – ohne auch nur vorgesungen zu haben. Ihr Mienenspiel ist vereinnahmend und distant zugleich, mal lächelt sie mit dem ganzen Gesicht, mal zieht sie den Kopf nach hinten und die Nasenflügel zusammen. Und spottet über sich selber: „Ich war stinkefaul.“ Sie wirkt entspannt, gefilmt in warmen Farben, einen bunten Schal um den Kopf gewickelt.

Ganz anders die restlichen Tracks der DVD: Szenische Interpretationen – man kann auch einfach „Clips“ sagen. Vor allem die filmische Umsetzung von Schumanns Liedern nach Gedichten von Heine haben Suchtpotenzial, über die der Musik und den Texten bereits innewohnende Kraft hinaus. Christine Schäfer, bleich und streng wie ein Gespenst, trägt in der Intimität einer Spelunke traurige und freudige Songs vor: Das Repertoire reicht von „Ich hab‘ im Traum geweinet“ bis zu „Die Rose, die Lilie, die Taube, die Sonne (…) Ich lieb‘ sie nicht mehr, ich liebe alleine die Kleine, die Feine, die Reine, die Eine“. Dazwischen sind Szenen aus Schäfers Wohnung geschnitten: Wie sie morgens aufsteht, mit ihrem Lebensgefährten am Computer die Filmaufnahmen begutachtet, wie ein Besucher sie ausfragt und anflirtet … Schnelle Bildwechsel, die die Strenge des Schumann-Vortrags auflockern, und den burschikosen Charme der Künstlerin unterstreichen.

Zu Beginn ihrer Karriere musste Christine Schäfer Kompromisse eingehen – immerhin weigerte sie sich standhaft, Soubrettenrollen zu übernehmen. Seit 2006 hat sie dafür mehrere unkonventionelle Projekte realisiert. Neben der Einspielung von Schuberts Winterreise – eigentlich eine Tenorpartie – sei vor allem die CD „Apparition“ hervorgehoben. Diese Aufnahme alterniert Lieder über die Liebe von Henry Purcell und von George Crumb, zwei Komponisten, die drei Jahrhunderte auseinander liegen, deren Musik Schäfer aber ähnlich stark anspricht und die sie kunstvoll interpretieren kann.

Mit ihren Interpretationen der Musik des 20. Jahrhunderts ist Schäfer bekannt geworden, und die Akustik des Kammermusiksaals, in dem sie am 15. Dezember auftritt, ist ideal für einen intimistischen Liederabend. Viele Rollen, in die die mittlerweile 45-jährige Künstlerin schlüpfen kann, und immer neue Facetten der Musik als Spiegel menschlicher Gefühle.

Christine Schäfer, am 15. Dezember in der Philharmonie.


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