PSYCHIATRIE: Markt und Therapie

Seit Anfang des Jahres haben auch psychisch Kranke bei der ATP die Möglichkeit, einen Arbeitsvertrag zu bekommen. Welche Konsequenzen diese positive Bewilligung hat, ist jedoch ungewiss.

Im „Éilenger KonschtWierk“ werden von psychisch Kranken Flyer, Kalender oder sonstige Grafikentwürfe für Kunden hergestellt.

„Ich begrüße die neue Situation, dass nun auch psychisch Kranke in unseren therapeutischen Werkstätten Arbeitsverträge bekommen können“, so Sandrine Bem, Chargée de direction der „Association d’aide par le travail thérapeutique pour personnes psychotiques“ (ATP). Seit Anfang des Jahres werden die ersten Arbeitsverträge ausgestellt, was bedeutet, dass jene, die von ihrer Konstitution her in Frage kommen, ein Gehalt erhalten und sozialversichert sind. Vorraussetzung für die neuen Arbeitsverträge war jedoch, dass die „ateliers thérapeutiques“ der ATP nun unter der Bezeichnung „ateliers protégés“ fungieren.

Und hier fangen die Ungewissheiten an: Ob durch die Bezeichnungen „atelier protégé“ und „unité économique de production“ nicht die vormals eher gesundheitspolitische Ausrichtung der Struktur zugunsten der arbeitspolitischen Dimension vernachlässigt wird. Denn bei der ATP, die mittlerweile rund 185 Menschen mit psychotischen Störungen in ihren Werkstätten in Schieren, Digesbaach, Ehlingen und Walferdingen betreut, geht es nicht nur darum, den Betroffenen im Rahmen ihrer sozialen und beruflichen Rehabilitation überhaupt einmal eine Arbeit zu geben. Dahinter steht ein therapeutisches Konzept.

Entstanden war die Idee – Werkstätten für psychisch kranke Menschen anzubieten – Ende der 80er Jahre. Die damalige Psychiatriereform war eine Reaktion auf die Kranken-hausstrukturen des Ettelbrücker CHNP, das bis dahin das Monopol in puncto Betreuung psychisch Kranker hatte. Es wurde erkannt, dass gerade psychische Krankheiten komplexe Auswirkungen auf das Sozial- und Berufsleben sowie auf die Wohnsituation haben. Und dass Betroffene multidisziplinär aufgefangen werden müssen, indem verschiedene Betreuungsansätze dezentral angeboten werden, die idealerweise in einem Netzwerk zusammen arbeiten. So haben sich verschiedene asbl wie der „cercle d’entraide et réadaptation pour malades mentaux“, die „ligue luxembourgeoise d’hygiene mentale“ und der „réseau psy“, die alle eine psychologische Beratung im außerklinischen Bereich anboten, zusammen getan, um die Arbeitsstruktur der ATP zu gründen.

Auch das „Éilenger KonschtWierk“ mit seinen Seriegrafie-, Grafik-, Gas-tronomie- und Schreinerwerkstätten gehört zur ATP. „Ehlingen wurde als therapeutische Struktur ins Leben gerufen, um ganz flexibel mit den Leuten zu arbeiten“, so Francis Spautz, chargé de direction des „Éilenger KonschtWierks“. So soll das Potential, das in jedem steckt, gefördert werden. „Der Name KonschtWierk bezieht sich mehr auf die sozial-kreative Kunst. Es soll versucht werden, mit der Arbeit der psychisch kranken Person entgegen zu kommen. Es geht weniger darum, dass sich die Person der Arbeit anpasst“, so Spautz. Dabei soll am Ende des Arbeitsprozesses durchaus ein qualitativ hochwertiges Produkt stehen, denn in den Werkstätten wird kreativ für Kunden mit Kostenvoranschlag und Bestellung gearbeitet. Was nicht immer einfach ist. Gerade mit psychisch Kranken ist eine reguläre Arbeitsorganisation fast unmöglich: „Viele schaffen es nicht, regelmäßig zu erscheinen. Sie haben Symptome entwickelt, melden sich nicht ab und lassen sich beim Arzt auch kein Krankenattest ausstellen“, so Spautz. Das sei an sich nicht tragisch – trotzdem sollen und können gerade in einer flexiblen therapeutischen Struktur Betroffene die für jeden gültigen sozialen und professionellen Normen sowie den kollegialen Umgang kennen lernen und sich darin üben und stärken. Insofern ist die neue Regelung der Arbeitsverträge auch eine Herausforderung.

„Es ist natürlich ein Fortschritt, dass jenen psychisch Kranken, die relativ stabil sind, demnächst über den Arbeitsvertrag ein Gehalt und eine Sozialversicherung zugestanden wird“, so Spautz. Bisher hätten alle psychisch Kranken ihr Einkommen von woanders bezogen. Viele bezögen den RMG oder eine Invalidenente oder bestritten ihren Lebensunterhalt über einen „contrat de réinsertion sociale“. Vor Ort hätten sie nur eine „prime d’encouragement“ erhalten, ein zusätzliches Taschengeld. „Die Idee der ateliers protegés ist insofern eine gute Sache“, meint Spautz. Jedoch sei es für ihn nicht abschätzbar, welche Bedeutung den ateliers protégés in Zukunft zukomme. Ob das bedeute, dass die Werkstätten immer mehr wie kleine und mittlere Unternehmen mit Wachstumsbestreben und Gewinnzweck zu funktionieren hätten? „Falls die participation salariale des Staates, die im Moment gesichert ist, langsam schrumpfen würde – bedeutet das, dass wir durch unsere Produktion immer mehr Geld erwirtschaften müssen für die Gehälter der über Arbeitsverträge angestellten Menschen?“, fragt Spautz. Dies sei in der Realität kaum umsetzbar, denn gerade psychisch Kranke hätten nicht die notwendige Stabilität, um wirtschaftlichen Kriterien gerecht zu werden.

Natürlich könne man bei allen möglichen Krankheiten sagen, dass jemand die sozialen und beruflichen Regeln respektieren solle. Jedoch gerade psychisch Erkrankte seien in ihrem Integrations- und Sozialisationspotential schwach. Spautz fürchtet, in die „Effizienz-Mühle“ zu geraten wo sein Atelier große Quantitäten von einem Produkt in bestimmten, kurz bemessenen Zeitabständen herstellen müsse.

Gerade mit psychisch Kranken ist eine reguläre Arbeitsorganisation fast unmöglich.

In so einem System könnten viele unstabile, unruhige, chaotische oder kranke Menschen nicht mehr bestehen. „Flexible Strukturen sind notwendig und müssen erhalten bleiben. Das scheint mir in einem Leistungsbetrieb nicht mehr gewährleistet zu sein“, so Spautz. So werde zwar im Moment die Finanzierung der Gehälter über eine Konvention, die auf einem „Vielbedarfsfinanzierungsprinzip“ beruht, geregelt: Einen kleinen Teil erwirtschaften die Werkstätten selbst, rund 80 Prozent würden vom Arbeitsministerium getragen, und das Gesundheitsministerium habe zugesichert das verbleibende Defizit, zu übernehmen. Auch habe die ATP ein „agrément“ mit dem Familienministerium.

Pierre Weicherding, médecin-chef im Bereich „service d’action socio-thérapeutique“ des Gesundheitsministeriums beruhigt: Als die Arbeitsverträge eingeführt wurden, wurde klargestellt, dass das, was die Werkstätten nicht erwirtschaften können, vom Staat über eine jährlich zu erneuernde Konvention zugelegt wird. „De facto ist es eine hundertprozentige Finanzierung der Gehälter durch den Staat“, so Weicherding. Und auf längere Zeit sei das abgesichert.

Ungewiss bleibt trotzdem, inwiefern das Gesundheitsministerium zunehmend das Terrain der „ateliers thérapeutiques“ dem Arbeitsamt überlässt. Zwar wurde im Vorfeld eruiert, dass rund die Hälfte der Tätigen in den ATP-Werkstätten stabil genug ist, um einen Arbeitsvertrag zu erhalten. Und dass die anderen Stellen weiterhin von jenen belegt werden sollen, die als zu instabil für einen Arbeitsvertrag gelten. Auch erteilt nach wie vor eine interne Kommission der ATP die Zulassungen. Spautz merkt aber an, dass immer mehr psychisch Erkrankte von der „Commission d’orientation de placement“ (COR) der Adem geschickt werden, die über ein Zertifikat verfügen, das ihnen bestätigt, dass sie 30 Prozent in ihrer Leistung vermindert sind und in einem atelier protégé arbeiten können. „Wir haben ein agrément mit dem Arbeitsministerium. Ich denke, dass wir mittelfristig in die Situation kommen werden, all jene Leute mit Arbeitsvertragsstatus nehmen zu müssen, die von der COR geschickt werden“, befürchtet der Leiter von „KonschtWierk“. Natürlich sei es wichtig, dass auch diese Menschen arbeiten können. „Aber meine Sorge ist, dass die Plätze für die Leute mit denen wir bisher gearbeitet haben, die ganz Unstabilen und sozial Schwachen, dass für jene kein Platz mehr da sein wird und wir irgendwann nur noch unter der Vormundschaft des Arbeitsministeriums funktionieren“, sagt Spautz.

Und tatsächlich scheint aufgrund der neuen gesetzlichen Regelung, die Behinderten Arbeitsverträge im Rahmen eines atelier protégé zugesteht, die Anzahl der psychisch Kranken beim „service de placement des travailleurs handicapées“ der Adem dramatisch zu steigen: Um nämlich in den Genuss eines Arbeitsvertrages zu kommen, muss man bei der Adem registriert sein. Im Gesundheitsministerium gibt man sich beschwichtigend: „In diesem Bereich bleiben die Kompetenzen klar getrennt. Es besteht eine klare Abmachung mit dem Arbeitsministerium, dass die ateliers thérapeutiques ein Element der ganzen Reorganisation der Psychiatrie sind“, so Weicherding. Außerdem gebe nicht das Arbeitsministerium den agrément für die ateliers protégés, sondern das Familienministerium.

Sandrine Bem, Chargée de direction der ATP hat dagegen eher grundsätzlichere Überlegungen in puncto tagtäglicher Verwaltung. Wie kann es funktionieren, wenn zwei verschiedene Regimes – Arbeitsvertrag und externe Einkommen – nebeneinander in einer Werkstatt bestehen. Und: „Wie soll man damit umgehen, wenn eine Person aufgrund ihrer Psychose den Arbeitsablauf stört oder häufig fehlt – was im Arbeitsrecht als schlimmer Fehler angesehen wird?“, so Bem. Nichtsdestotrotz ist sie optimistisch.

Die ATP sei dabei, ein Jobcoaching-Programm auf die Beine zu stellen, das den Kontakt zu Arbeitgebern, Gemeinden oder dem Staat herstellen will. So sollen psychisch Kranke durch eine weiterführende professionelle Begleitung leichter den Sprung in den ersten Arbeitsmarkt schaffen.

Gerade psychisch Erkrankte haben noch immer mit stärkeren Vorbehalten bei den Arbeitgebern zu kämpfen als Menschen mit anderen Behinderungen. Ihre Integration setzt einen noch größeren Mentalitätswechsel in der ganzen Gesellschaft voraus.


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