BUDGET, TRIPARTITE, SOZIALDEMOKRATIE: „Eigenständigkeit betonen“

Alex Bodry (52), Berichterstatter des Staatshaushalts 2011, steht zu dem Sparprogramm der Regierung. Der 2004 gewählte Parteipräsident will aber auch die LSAP-Positionen innerhalb der Koalition
sichtbar machen.

woxx: Ende April hat die LSAP-Basis nach harten Diskussionen ein Sparpaket akzeptiert. Seither wurde ein Großteil der angekündigten Sparmaßnahmen wieder zurückgenommen – kommt sich die Parteispitze im Rückblick nicht ein bisschen doof vor?

Alex Bodry: Der Kongress hat damals nicht wirklich über das Sparpaket abgestimmt, sondern unseren Regierungsmitgliedern und der Chamber-Fraktion das Vertrauen ausgesprochen dafür, dass sie die richtigen Entscheidungen treffen werden. Wir stehen immer noch zu den Maßnahmen zur Sanierung der öffentlichen Finanzen …

Zu denen, die übriggeblieben sind!

Zu denen, die notwendig sind, vom Volumen her. Ich erinnere daran, dass im Frühjahr noch ganz andere Zahlen zur Entwicklung der Wirtschaft und der öffentlichen Finanzen vorlagen, als es heute der Fall ist. Das zeigt im Nachhinein, dass die LSAP Recht hatte, innerhalb der Regierung eine Einigung auf ein vierjähriges Sparprogramm, wie ursprünglich geplant, abzulehnen. Mit dem Programm für zwei Jahre behalten wir die notwendige Flexibilität, um auf neue Entwicklungen zu reagieren. Die Projektionen von Ende 2009 haben sich mittlerweile als falsch erwiesen: In diesem Jahr lagen die Steuereinnahmen um 700 Millionen höher als geplant, und das Wirtschaftswachstum erreichte statt 1,5 Prozent das Doppelte. Ich finde es nicht ungewöhnlich, dass aufgrund von Verhandlungen mit den Gewerkschaften und dem Patronat das Sparpaket abgespeckt wurde.

Die Diskussion über das ursprüngliche Programm hat aber vor allem der LSAP politisch geschadet.

Da bin ich mir nicht sicher. Wenn unser Image darunter gelitten hat, dann zu Unrecht. Denn wir haben uns von Anfang an stark gemacht für die Beibehaltung des Index‘ – und uns auch durchgesetzt. Wir haben außerdem als einzige Partei vor den Wahlen eine Erhöhung der Solidaritätssteuer ins Auge gefasst. Eines unserer Hauptanliegen war, die Glaubwürdigkeit der Partei zu erhalten. In Sachen Steuern wie in Sachen Index war unsere Position in Einklang mit dem, was wir vor den Wahlen angekündigt hatten. Nichts stört mich persönlich mehr als der häufig gehörte Vorwurf, vor den Wahlen mache man große Versprechen, und danach tue man genau das Gegenteil. Das entspricht nicht meinem Verständnis von Politik.

Als Budget-Berichterstatter haben Sie sich für einen Zukunfts-Fonds ausgeprochen. Wie würde dieses Geld investiert werden?

Es geht vor allem darum, einen möglichen Einbruch bei den Steuereinnahmen abzufedern. Die Investitionsfonds werden derzeit aufgebraucht und sind vermutlich bis 2014 leer. Doch es gibt eine Reihe von außerordentlichen Einnahmen, zum Beispiel die Dividende für die staatliche Beteiligung an BNP-Paribas, die 2010 knapp 130 Millionen eingebracht hat. Dieses Geld soll in den Zukunfts-Fonds fließen. Damit kann man vermeiden, zusätzliche Darlehen aufzunehmen, die die künftigen Generationen belasten. Welches Investitionsniveau man damit halten kann, muss man sehen. 2010 haben wir wahrscheinlich in dieser Hinsicht einen absoluten Höhepunkt erreicht, und die für 2011 und 2012 geplanten Investitionen liegen über dem Niveau von 2008 und 2009. Mit einer staatlichen Investitionsquote von um die vier Prozent des BIP liegen wir derzeit über dem üblichen Investitionsniveau der luxemburgischen Staatshaushalte.

„Möglicherweise steht die Regierung 2012 vor viel komplizierteren und schwierigeren Entscheidungen, als es jetzt der Fall war.“

Die Regierung hat trotzdem eine Reihe großer Infrastrukturprojekte aufgeschoben.

Ja, die wichtigsten Entscheidungen stehen der Regierung noch bevor. Es war relativ einfach, einen Teil der Investitionsvorhaben für zwei Jahre aufzuschieben. 2012 wird sich die Frage stellen, welche Projekte wirklich realisiert werden und welche nicht. Je nachdem, wie sich die Lage entwickelt, steht die Regierung dann vor viel komplizierteren und schwierigeren Entscheidungen, als es jetzt der Fall war.

Auch in Sachen Index ist die Diskussion nicht abgeschlossen. Bis Oktober 2011 sind die automatischen Lohnanpassungen auf nur eine Index-Tranche begrenzt, auch wenn die Preise schneller steigen. Die Gewerkschaften haben dies als temporäre Maßnahme akzeptiert. Doch die LSAP wäre einverstanden, diese Maßnahme zu verlängern, und dauerhaft höchstens eine Index-Tranche pro Jahr auszahlen zu lassen.

Wenn die Umstände das ergeben! Unsere Position bei den Verhandlungen in der Regierung und mit den Gewerkschaften war von Anfang an folgende: Es gibt gute Gründe gegen eine dauerhafte Deckelung in Form einer Höchst-Indextranche und es gibt gute Gründe gegen eine dauerhafte Manipulation des Index-Warenkorbs, wie zum Beispiel den Ausschluss der Ausgaben für Treibstoffe, die ja faktisch bei den Leuten anfallen. Man könnte sich aber vorstellen, die Häufigkeit von Indextranchen zu begrenzen, wie das bereits in der Vergangenheit – mit dem Einverständnis der Gewerkschaften – der Fall war. Das würde zu einer größeren Planungssicherheit für die Arbeitgeber, den Staat und die Gemeinden führen. Wenn, wie zurzeit mit drei Prozent, die Luxemburger Wirtschaft relativ langsam wächst, dann sind zwei Indextranchen in einem Jahr zu viel, und die jetzt beschlossene Begrenzung kann über 2011 hinaus verlängert werden.

Entspricht diese Position dem Kongressbeschluss vom April?

Das liegt auf der Linie des Kongressbeschlusses, in dem steht, in diesen schwierigen Zeiten könne man den Betrieben keine zwei Indextranchen im Jahr zumuten. Über die Auslegung des Beschlusses kann man streiten. Aber die LSAP-Positionen reduzieren sich nicht auf Kongressbeschlüsse, wir haben ja permanenten Gremien, die ihre Verantwortung übernehmen müssen. Wir finden, dass die Begrenzung der Häufigkeit eine weniger starke Manipulation des Index-Mechanismus‘ darstellt, als wenn man Veränderungen am Warenkorb vornimmt. Die Praxis hat gezeigt, dass man über diesen Weg auch leichter eine Einigung mit den Sozialpartnern erzielen kann.

Der Index ist nur eines der Themen, bei denen sich die Positionen von LSAP und OGBL zurzeit deutlich unterscheiden. 2002 haben Sie im woxx-Interview eine Partnerschaft von Partei und Gewerkschaft als wichtig und wertvoll für beide bezeichnet. In den vergangenen Monaten sah das Verhältnis aber nicht wie eine Partnerschaft aus.

Die Partei- und Gewerkschaftsgeschichte ist geprägt von Zeiten enger Anlehnung aneinander und Zeiten, in denen jeder seinen eigenen Weg ging. Wir pflegen nach wie vor ein freundschaftliches Verhältnis zu Gewerkschaften wie dem OGBL, aber auch dem Landesverband. Doch es besteht ein Konsens in der politischen Klasse, dass sich für Luxemburg mittelfristig eine Reihe von Herausforderungen stellen. Wir dürfen nicht den Kopf in den Sand stecken, sondern müssen politisch handeln. Demgegenüber ist die Sichtweise der Gewerkschaften kurzfristiger, und sie versuchen, alles zu verhindern, was die Interessen ihrer Mitglieder tangieren könnte.

Damit sind weitere Konflikte zwischen Partei und Gewerkschaft vorprogrammiert, die beide Seiten in Mitleidenschaft ziehen werden.

Wir sind sicherlich momentan in einer Phase, in der das Verhältnis schwieriger ist. Wir haben aber während des Konflikts um das Sparpaket auch gezeigt, dass es eine Reihe von Gemeinsamkeiten gibt. Wäre die LSAP nicht einerseits in der Regierung und andererseits in Kontakt mit den Gewerkschaften gewesen, hätte das Sparpaket am Ende sicherlich etwas anders ausgesehen.

In der Vergangenheit haben sich Sozialdemokratie und Gewerkschaftsbewegung für universelle sozialstaatliche Leistungen anstelle von Almosen und privaten Versicherungen eingesetzt. Das LSAP-Sommeratelier hat sich für einen „selektiven Sozialstaat“ ausgesprochen. Eine 180-Grad-Wendung?

Für uns heißt Selektivität nicht, dass künftig die staatlichen Transfers nur noch an Menschen gehen sollten, die einem tatsächlichen Armutsrisiko ausgesetzt sind, so dass die gesamte Umverteilungspolitik nur noch auf 15 bis 20 Prozent der Bevölkerung ausgerichtet wäre. Man sollte nicht zu schematisch vorgehen: Die Chambre de Commerce schlägt zum Beispiel vor, das „revenu médian“ als Kriterium zu nehmen. Weil dieses in Luxemburg relativ niedrig liegt, würde das in der Praxis den gesamten Mittelstand ausschließen. Diese Leute würden zwar noch Steuern bezahlen, aber nie etwas von der öffentlichen Hand zurückbekommen. Darin sehe ich eine große Gefahr für den sozialen Zusammenhalt und die Akzeptanz der Sozialpolitik. Andererseits benötigen Personen mit hohen Einkommen nicht unbedingt immer zusätzliche Hilfen vom Staat. Deswegen glaube ich schon, dass man die Bereiche überprüfen muss, in denen der Staat undifferenziert Geld ausbezahlt.

„Wenn die Wirtschaft langsam wächst, sind zwei Indextranchen pro Jahr zu viel, und die jetzt beschlossene Begrenzung kann verlängert werden.“

Wo würde sich diese Selektivität denn konkret auswirken, und wo nicht?

Bei den Wohnbeihilfen stand zur Diskussion, das „revenu médian“ als Kriterium anzusetzen. Es war richtig, diese Sparmaßnahme zurückzuziehen. Insbesondere war nicht ersichtlich, wie sich das in eine allgemeine Wohnungsbaupolitik einfügen würde. Selektivität muss je nach Politikfeld und Zielsetzung verschiedenartig definiert werden – beim Wohnungsbau können andere soziale Kriterien eine Rolle spielen als bei der Familienpolitik. Eine Idee für soziale Selektivität könnte zum Beispiel die Besteuerung des Kindergelds sein. Sie würde die Geringverdiener nicht oder nur geringfügig treffen, die höheren Einkommen dagegen müssten einen Teil des Kindergelds abführen.

Kurz vor dem Kompromiss mit den Gewerkschaften Ende September wurde die LSAP-Führung von der Parteilinken scharf kritisiert. Die Abgeordnete Vera Spautz drohte sogar, gegen das Sparpaket zu stimmen. Dieser Konflikt schwelt weiter. Wie wird die Partei damit umgehen?

Als linke Volkspartei müssen wir solche Situationen regeln können. Dass Abgeordnete ankündigen, ausscheren zu wollen, kommt vor, auch bei der CSV. Bei uns muss man allerdings vorsichtig sein, denn die Geschichte zeigt, dass das öfter zu Spaltungen führt. Meine Rolle als Parteipräsident ist es, diese Widersprüche so zu handhaben, dass die Kritiker noch mit der Partei zurechtkommen und nicht den Weg des Austritts wählen. Das setzt natürlich voraus, dass die Gemeinsamkeiten überwiegen, und dass man die Entscheidungen mitträgt, die die Partei in einem demokratischen Prozess getroffen hat.

Auch der wirtschaftsliberale Flügel tanzt häufig aus der Reihe, zum Beispiel Robert Goebbels und Jeannot Krecké bei Gentechnik und Index.

Wie in anderen europäischen sozialdemokratischen Parteien gibt es in der LSAP verschiedene Tendenzen. Auf der einen Seite stehen diejenigen, die einen realpolitischen Kurs fahren, die Schwierigkeiten der Wirtschaft zur Kenntnis nehmen und dann sagen: Bevor wir umverteilen können, muss der Reichtum erst einmal erwirtschaftet werden. Auf der anderen Seite sind die, für die Prinzipien und Systemkritik im Vordergrund stehen. Dem entspricht einerseits die politische Kultur einer Regie-rungspartei – wir waren in der Nachkriegszeit über zwei Drittel der Zeit in Regierungsverantwortung. Andererseits gibt es eine Art Nostalgie der Opposition, wo man realpolitischen Aspekte nicht berücksichtigen und unpopuläre Entscheidungen nicht mittragen muss – sogar wenn man erkennt, dass sie unvermeidbar sind. In der Opposition kann man eine puristische Position einnehmen, wie es „Déi Lénk“ tut, die das System insgesamt ablehnt und sich dadurch eine Reihe von Fragen nicht mehr stellen muss. Die LSAP bedient eigentlich auch zwei verschiedene Wählerprofile. Sobald wir einen Schritt nach rechts machen, fängt es links an zu bröckeln, und umgekehrt.

„Die LSAP bedient zwei Wählerprofile. Sobald wir einen Schritt nach rechts machen, fängt es links an zu bröckeln, und umgekehrt.“

2002 hatten Sie den Rush auf die politische Mitte kritisiert und auf das linke Profil der LSAP gepocht. Ein realpolitischer Kurs lässt dieses Profil aber verschwimmen.

Als Regierungspartei wandert man immer auf einem schmalen Grat. Derzeit ist es in ganz Europa bequemer, in der Opposition zu sein. Grüne und DP können lauthals nach Strukturreformen schreien und doch jeden unpopulären Vorschlag mit formalen Argumente ablehnen. Bei der anstehenden Reform des öffentlichen Dienstes zum Beispiel plädiert die DP – die ansonsten die größten Veränderungen fordert – dafür, alles so zu lassen, wie es ist.

Hätte es die LSAP in einer anderen Regierungskoalition einfacher?

In der Frage der Allianzen war ich nie ein absoluter Fan der Zusammenarbeit mit der CSV. Doch wenn ich mir die Positionen der verschiedenen Parteien in sensiblen Dossiers anschaue, dann kann ich in einer Reihe von Punkten nicht unbedingt mehr Gemeinsamkeiten mit der DP und nicht einmal mit den Grünen erkennen als mit den Christlich-Sozialen. DP und Grüne vertreten derzeit in der Index-Frage das Gegenteil dessen, was in ihrem Wahlprogramm steht. Unsere Position zum Index vor den Wahlen war eine ähnliche, aber wir haben uns auch an sie gehalten.

In puncto Wahlergebnisse waren die CSV-LSAP-Koalitionen der letzten zwanzig Jahre kein gutes Geschäft für die Sozialisten. Wie wollen Sie diesen Trend umkehren?

Unser Hauptziel ist es, die Eigenständigkeit unserer Partei zu unterstreichen. Es ist zurzeit schwierig, unsere Politik nach außen hin korrekt darzustellen. Zum Beispiel ist es für unsere Wähler selbstverständlich, dass der Index erhalten bleibt. In der politischen Auseinandersetzung ist das nicht so selbstversändlich. Dafür, dass wir uns in dieser Frage weitgehend durchgesetzt haben, bekommen wir nicht die entsprechende Anerkennung. Seit Beginn dieser Legislaturperiode versuchen wir allerdings, bei wichtigen Fragen klarzumachen, dass diese Koalition kein einheitlicher Block ist, sondern aus zwei Parteien besteht. Beide haben unterschiedliche Analysen und Ausgangspositionen – auch wenn wir bestrebt sind, uns schlussendlich mit der CSV auf einen gemeinsamen Entschluss zu einigen. Diese Eigenständigkeit zu betonen, ist nervenaufreibend, sorgt für Irritationen beim Koalitionspartner und ist mit einem gewissen Risiko verbunden. Es ist mir aber lieber, dass die Differenzen zwischen den Parteien sichtbar werden, als dass der Eindruck entsteht, es gebe nur noch eine Position.


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