ALEJANDRO GONZALEZ INARRITU: Über das Leben

In „Biutiful“ zeichnet Alejandro González Iñárritu nicht nur ein intensives Charakterporträt, sondern bündelt das Leid der heutigen Gesellschaft wie eine Lupe Sonnenstrahlen.

Schwermut ist sein Los: Javier Bardem in „Biutiful“.

„Manchmal ist das Schicksal wie ein Sandsturm, der unablässig die Richtung ändert. Du änderst deine Richtung aber der Sandsturm verfolgt dich … Der Sturm kommt nicht von irgendwo her, als hätte er nichts mit dir zu tun … Du selbst bist der Sturm“, heißt es im Trailer zu „Biutiful“. Atemlos folgt der mexikanische Regisseur Alejandro González Iñárritu in linearer Erzählform nicht nur seinem Hauptcharakter, dem geschiedenen, zweifachen Familienvater Uxbal (Javier Bardem), sondern reflektiert in schneller Folge das vielschichtige, schwierige Umfeld, in dem er sich bewegt. Er spricht dabei viele Tabuthemen an: Sei es der afrikanische Schwarzmarkthändlerring, illegale chinesische Bauarbeiter, die für einen Hungerlohn schuften, schwule Liebe zwischen Migranten, eine psychisch kranke Mutter oder Krebs.

Trotz diesen weitgefächerten Themen, geht es Iñárritu nicht darum, durch ständige Wendungen für Spannung zu sorgen. Stattdessen schlägt er einen schwermütigen Grundton an, sein Film ist voll von Momenten der Kontemplation: Ameisen, die in Nahaufnahme durch die bunten Lichtfelder der einströmenden Straßenbeleuchtung eines Fensters wuseln, das Kräuseln des ausgeblasenen Zigarettenrauchs, eine wabernde Vogelschwarmwolke, die im einfallenden Abenddunkel ihre Runden drehen oder ein Mann, der in seinem heruntergekommenen Bad steht, gezeichnet von einer Prostata-Krebs-Erkrankung im Endstadium. Atmosphärisch in dunklen Blautönen gehalten, untermalt mit der treibenden Gitarre des argentinischen Musikers Gustavo Santaolalla, gelingt es Alejandro González Iñárritu die urbane Unterschicht Barcelonas in all ihren Facetten einzufangen. Vor allem stellt er ein Thema in den Mittelpunkt: die Bedeutung der Väter in der heutigen Zeit. Sein Protagonist Uxbal versucht der bestmögliche Vater zu sein, der seine Kinder vor Unglück zu bewahren sucht. Er ist ein aufrechter, ein guter Mensch, der nur bei der Wahl seiner Methoden, an Geld für seine Familie zu kommen, den Weg des Illegalen nicht scheut, dabei jedoch nie den Blick für sein Gegenüber verliert, egal ob es sich dabei um illegale Einwanderer aus Afrika oder Asien handelt oder nicht. Uxbal kämpft still gegen seinen Krebs, er muss sich alleine durchschlagen und findet keinen Rückhalt bei seiner psychisch kranken Frau. Zudem hat er die Last zu tragen, indirekt für den Tod von 25 Menschen verantwortlich zu sein.

In der Anhäufung von Trostlosem ist „Biutiful“ unschlagbar: Jedem emotionalen Tiefschlag folgt ein weiterer. Das schwermütige Melodrama lebt dabei von den hervorragenden Interpretationen des Hauptdarstellers Javier Bardem und der Nebendarstellerin Maricel Àlvarez. Und trägt die unverkennbare Handschrift Iñárritus: Es geht ebenso um die Schönheit des Moments, die Vergänglichkeit, wie um Globalisierung, eine ungerechte Welt, wo sich jeder selbst und seiner Familie der Nächste ist.

Auch wenn das knapp zweieinhalb Stunden lange Werk mitunter überladen wirkt, und man sich am Ende ähnlich erschöpft fühlt wie Uxbal, so ist „Biutiful“ sicher nicht nur der intimste, sondern auch der beste Film von Alejandro González Iñárritu. Beautiful halt.

Im Utopia.


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