EISENBAHN: Abgehängt

Die internationalen Hochgeschwindigkeitszüge fahren an Luxemburg vorbei. Der hiesigen Eisenbahn droht das Abstellgleis.

Der Ort des Treffens besaß hohen Symbolgehalt: Die beiden Eisenbahnergewerkschaften aus Belgien und Luxemburg wollten sich am Mittwoch in Jemelle auf halbem Wege entgegenkommen, um gegen die Verschleppung des Bahnprojekts Eurocap-Rail zu protestieren. Das Projekt soll die drei Europa-Hauptstädte Straßburg, Luxemburg und Brüssel miteinander verbinden. Auf der Teilstrecke zwischen den beiden letzteren Städten liegt der Bahnhof von Jemelle – fast genau in der Mitte.

Im besten Fall zwei Stunden und 13 Minuten dauert die Fahrt mit dem Zug von Luxemburg nach Brüssel. Für viele Reisende zu lange, denn die Züge zwischen den beiden Städten fahren mit einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von 130 Stundenkilometer. „Die Züge rollen an manchen Abschnitten im Regionalzugtempo“, sagt Christian Weber vom Verkehrsclub Deutschland. Auf der 1858 in Betrieb genommenen Strecke hat sich seit 1937 wenig getan: Damals legten die Züge schon ein Tempo von 120 Stundenkilometern hin.

Von Brüssel nach Straßburg dauert die Fahrt zurzeit fünfeinhalb Stunden. EU-ParlamentarierInnen, die zwischen den beiden Städten pendeln, steigen lieber ins Flugzeug, während sich ihre MitarbeiterInnen in volle Züge zwängen. Wenn 2007 der TGV Est von Paris nach Straßburg fährt und mit dem TGV Nord nach Brüssel verbunden ist, dann erreicht man die Elsass-Metropole von Brüssel aus schneller über die französische Hauptstadt als über Luxemburg. Das Großherzogtum und Wallonien drohen abgehängt zu werden, befürchten die FNCTTFEL und ihre Kollegen von der FGTB-CGSP.

„Luxemburg wäre dann im Niemandsland“, sagt der grüne EU-Parlamentsabgeordnete Claude Turmes. Die Hoffnungen der WallonInnen und LuxemburgerInnen ruhen auf dem Programm der Transeuropäischen Verkehrsnetze (TEN), für das die EU-Kommission bis 2020 rund 220 Milliarden Euro veranschlagt hat und das zu 20 Prozent von der Europäischen Union bezuschusst wird. Eurocap-Rail gehört zu den 42 Projekten der TEN. Doch der Ausbau der Strecke droht am innerbelgischen Zwist und an Geldmangel zu scheitern: Knackpunkt ist der kurvige Abschnitt durch die Ardennen zwischen Ciney und Libramont. Die gesamte Reisezeit von Brüssel nach Luxemburg könnte um mehr als 40 Minuten verkürzt werden, wenn die Strecke ausgebaut wird. Das würde jedoch mehr als eine Milliarde Euro kosten, eine Strecke für Geschwindigkeiten bis zu 300 Stundenkilometern sogar bis zu 1,794 Milliarden Euro. Das bisher zur Verfügung stehende Geld reicht jedoch gerade einmal für die nötigsten Korrekturen der Schienen aus. Luxemburg hat sich bereit erklärt, den Teilabschnitt zwischen Luxemburg Ville und der belgischen Grenze zu verbessern. Auf der belgischen Seite sperren sich hingegen vor allem die Flamen gegen höhere Investitionen in die wallonische Bahnlinie.

Strategische Fehler

Aber auch auf luxemburgischer Seite wurde nach den Worten von Claude Turmes entscheidende „strategische Fehler“ gemacht. Den Regierungen der vergangenen 20 Jahre bescheinigt der Grünen-Politiker „schlechte Arbeit“: Denn sämtliche Hochgeschwindigkeitszüge fahren an Luxemburg vorbei. Das ändert sich, wenn das Land an den TGV Est angebunden ist. Den finanziert Luxemburg nach einem Chamber-Beschluss vom vergangenen Jahr mit 117 Millionen Euro mit, so dass vier bis sechs direkte TGV-Züge pro Tag von Paris nach Luxemburg Stadt fahren können. Im Vergleich zu den momentan dreieinhalb Stunden würde man eine Stunde und 15 Minuten einsparen, von Straßburg nach Luxemburg etwa 45 Minuten. Die Sache hat nur noch einen Haken: Der genaue Standort des auf der grünen Wiese geplanten TGV-Bahnhofs zwischen Metz und Nancy ist noch nicht gesichert. Für Claude Turmes ist eines unabdingbar: Der Bahnhof muss an dem regionalen Eisenbahnknotenpunkt liegen.

Was die Luxemburger Regierung nach Meinung des EU-Abgeordneten bisher verschlafen hat, ist vor allem die Anbindung an Süddeutschland und Osteuropa. Die sei durch den täglichen Busverkehr der CFL von Luxemburg nach Saarbrücken gewährleistet, sagt der CFL-Direktionsbeauftragte Paul Polfer gegenüber der woxx, als eine Verbindung des Großherzogtums mit dem Bahnnetz bis nach Tschechien und Ungarn. „Einfach lächerlich“, meint Turmes. Vom Luxemburger Hauptbahnhof nach Saarbrücken verkehren jeden Tag vier Busse hin und zurück. Eine Stunde und 15 Minuten dauert die Fahrt mit einem der Überlandbusse, mit dem Privatauto ist man da mindestens eine Viertelstunde schneller. An einer Bahnstrecke nach Saarbrücken bestünde derzeit kein Bedarf, so Polfer. Dabei wäre diese konkurrenzlos für die PendlerInnen aus dem Saarland. Dass es hingegen Bedarf am Bau der Saarautobahn gegeben habe, sei der eigentliche Skandal, meint Laure Simon, Vertreterin des Mouvement écologique bei der Aktion öffentlicher Verkehr.

„Kaum eine europäische Stadt ähnlicher Größe hat eine so gute internationale Eisenbahnanbindung wie Luxemburg“, betont Laure Simon und fügt sogleich hinzu: „Zugleich hat aber kaum eine europäische Hauptstadt eine so schlechte Anbindung.“ Dies liegt nicht einmal an der Zahl der Züge, wie das Beispiel der Strecke Luxemburg-Trier beweist, auf der stündlich Züge verkehren, allerdings nur im Bummeltempo. „Das Problem sind die verschiedenen Stromsysteme“, erklärt VCD-Experte Christian Weber. „Auf der Strecke müssen entweder Diesellokomotiven fahren, die aber zu langsam beschleunigen, oder Mehrsystemlokomotiven. Und davon gibt es zu wenige.“ Nicht nur für die Trierer Einzelhändler ist eine gute Zugverbindung aus Luxemburg wichtig. Für die PendlerInnen sei eine direkte Anbindung an Luxemburg-Kirchberg wichtig, so Weber. Doch die Stadt Trier habe sich als „Vorort von Luxemburg“ nie richtig dafür eingesetzt. Auf der Konzer Brücke und in der Nähe des Bahnhofs Igel sind stellenweise Geschwindigkeiten von nur 17 Stundenkilometern möglich. Die Zugverbindung von Wasserbillig nach Koblenz hätte zwar laut Bundesverkehrswegeplan ausgebaut werden sollen. Nach dem deutschen Mautdesaster wurde das Projekt jedoch auf Eis gelegt.

Auch nach Norden hin zur Hochgeschwindigkeitsstrecke Brüssel-Lüttich-Köln ist Luxemburg nur ungenügend angebunden. Eine Fahrt von der Hauptstadt nach Lüttich dauert sage und schreibe zweieinhalb Stunden. Damit Luxemburg international nicht abgehängt wird, fordert die FNCTTFEL, dass zumindest Eurocap-Rail auf die Prioritätenliste der luxemburgischen Regierung kommt. Eine Variante ist ein Ausbau der luxemburgischen Teilstrecke für rund 215 Millionen Euro. Dazu gehört zum Beispiel der Bau eines Peripherie-Bahnhofs in Cessingen. „Sonst verliert die Strecke immer mehr an Wert“, warnt Nico Wennmacher. „Die Zeit drängt“, so der Präsident des Landesverbandes, „wenn der TGV erst rollt, ist Luxemburg nur noch eine Antenne.“ Denn über einen für die Hochgeschwindigkeitszüge tauglichen Bahnhof verfügt das Land nicht.


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