KOALITIONSABKOMMEN: Rote Rosinen im schwarzen Kuchen

In der CSV wurde das Koalitionsabkommen fast einstimmig begrüßt. Die sozialistische Basis tat sich schwer damit. An Gründen dafür fehlt es nicht: Mammerent, Werteunterricht, Euthanasie und Wohnungspolitik.

Viel Glück, kleine Lokomotive
(Foto: Tom Wagner/SIP)

„Die meisten unserer Ideen wurden in das Koalitionsabkommen aufgenommen“, versicherte die LSAP-Führung den KongressteilnehmerInnen am Freitag vor einer Woche wieder und wieder.“ Glauben mochte das niemand so recht. Etwas anderes bewirkte, dass sich am Ende eine breite Mehrheit der Delegierten für die schwarz-rote Koalition aussprach: die Überzeugung, dass bei den Verhandlungen nicht mehr zu holen war. Die Verhandlungsspielräume wurden allerdings nicht dazu benutzt, mehr Forderungen aus dem LSAP-Wahlprogramm durchzusetzen. Dafür schaffte die LSAP-Delegation, etwas, das kaum für möglich gehalten wurde: Außen-, Schul- und Wirtschaftsministerium kommen in die Hände von SozialistInnen.

Tram und Tripartite

Viele „schwierige“ Ressorts werden von der LSAP besetzt, bemerken KritikerInnen: Die „Santé“ mit dem Krankenkassendefizit, Transport mit der anstehenden CFL-Restrukturierung und natürlich die Schulpolitik mit Pisa und Reformstau. Die CSV setze darauf, dass sich ihre Juniorpartnerin daran die Finger verbrenne und bei den nächsten Wahlen abgestraft werde. Nico Wennmacher, Präsident der Eisenbahnergewerkschaft FNCTTFEL, der auf den LSAP-Listen kandidierte, sieht das anders. Gegenüber der woxx sagt er: „Statt Ministerien nach wahltaktischen Kriterien zu beurteilen, sollte man fragen, wo wir etwas bewegen können. Das ist in Ressorts wie Transport und Schule der Fall.“

Im Transportbereich geht das Koalitionsabkommen in die richtige Richtung, so das Urteil Nico Wennmachers. Die Tramlinie Gare-Findel-Kirchberg sei nun abgesegnet. Er erhofft sich einen psychologischen Effekt davon, dass bis 2009 die erste Tram fahren kann. Die Anbindung des Stadtzentrums bleibe weiterhin Thema. In der Tat: “ Le concept train-tram assurera l’interopérabilité entre le réseau ferré en place et ses extensions futures par des infrastructures légères vers le centre, voire l’ouest et le sud-ouest de la Ville de Luxembourg“, heißt es im Koalitionsabkommen. Außerdem wird das kurz vor den Wahlen von DP und CSV durchs Parlament gepeitschte Gesetz zur Organisation des öffentlichen Verkehrs überarbeitet.

Vor allem aber freut sich Nico Wennmacher darüber, dass sich die Regierung verpflichtet hat, eine Eisenbahntripartite einzusetzen. „Unsere Sorge war, dass die Eisenbahndirektion erst einmal die CFL in Teilgesellschaften aufstückelt und danach erst eine Tripartite nur über die Frage des Eisenbahnerstatuts stattfindet.“ Nun soll die Restrukturierung als Gesamtpaket verhandelt werden. Die Eisenbahngewerkschaft wird sich dafür einsetzen, dass eine einheitliche Betriebsstruktur erhalten bleibt.

Nico Wennmacher war für den Eintritt in die Regierung. „Nachdem das Verhandlungsergebnis feststand, wäre eine Ablehnung das falsche Signal gewesen.“ Die LSAP hätte damit darauf verzichtet, die Errungenschaften im Koalitionsabkommen umzusetzen. Als Beispiele nennt er die Möglichkeit, AsylbewerberInnen eine Arbeitsgenehmigung zu erteilen und das Pilotprojekt eines einheitlichen Werteunterrichts.

Ganz klar: Bei der Suche nach den roten Rosinen im Koalitionskuchen wird man fündig: Ausbau der Kindertagesstätten, Rückzug der „Lex Greenpeace“, Überarbeitung des Gesetzentwurfs zur Euthanasie. Bitterer Beigeschmack: Die Ausgestaltung dieser drei Programmpunkte übernehmen CSV-MinisterInnen. Zu vage sind die Formulierungen, als dass die LSAP dort fortschrittliche Ansätze einfordern könnte. Zur Euthanasie heißt es beispielsweise: „Le projet de loi (…) fera l’objet d’un réexamen à la lumière des avis du Conseil d’Etat et des autres organismes consultés. Il sera également tenu compte de l’évolution du dossier sur le plan international.“ Auch Nico Wennmacher ist wenig begeistert von der gesellschaftspolitischen Ausrichtung des Koalitionsprogramms. „Manches kann da gar nicht drinstehen, weil es nicht einmal in unserem Wahlprogramm stand. Wir leben nicht gerade in einer fotschrittlichen Zeit“, bedauert der Gewerkschafter.

Schlechter Deal

„Unsere Partei hat zu wenig Profil“, findet auch Luc Mousel, Mitglied des LSAP-Generalrats. Gewiss, das Koalitionsabkommen sei besser als ein weiteres CSV-DP-Abkommen. Dennoch sprach er sich auf dem Kongress gegen eine Regierungsteilnahme aus. „Allein schon wegen der Mammerent wäre es sinnvoll gewesen, in der Opposition zu bleiben.“ Was Luc Mousel besonders stört: Die LSAP hatte die Mammerent zum Wahlkampfthema gemacht, gefordert, alle RentnerInnen und Mütter sollten in den Genuss der Erziehungszulage kommen. Stattdessen bekommt ein Teil der bisher ausgeschlossenen RentnerInnen nun 70 Prozent der normalen Mammerent (siehe woxx der vergangenen Woche). Und die Finanzierung der gesamten Erziehungszulage wird auf die Rentenkassen umgelegt, wie es die CSV bereits vor zwei Jahren vorgeschlagen hatte. „Mehr sei nicht drin gewesen, wurde auf dem Kongress erklärt. Mir ist das zu wenig“, hält Luc Mousel fest.

Auch den Werteunterricht betrachtet der LSAPler mit gemischten Gefühlen. „Gut ist, dass der Religionsunterricht ersetzt wird. Doch warum nur als Pilotprojekt?“, fragt er. Seine Sorge: Die Kirche werde nie einwilligen, dass so ein Kurs flächendeckend eingeführt werde, deshalb bleibe es für immer bei einem Alibi-Pilotprojekt.

Als Nörgler oder Nein-Sager sieht sich Luc Mousel keineswegs. „Ja zur CSV, lautete meine Aussage, aber nicht unter diesen Bedingungen.“ Das sei ihm schwergefallen, weil das Koalitionsabkommen auch sehr positive Maßnahmen umfasse. Er nennt die Individualisierung der Pensionsrechte. Die Formulierung fällt auch in diesem Fall vage aus: „… le Gouvernement retiendra les solutions appropriées en vue d’améliorer la compensation des interruptions de carrière d’assurance. En tout état de cause, le Gouvernement remettra sur le chantier le projet visant à introduire le ’splitting‘ en cas de divorce, quitte à revoir les différentes solutions possibles en l’occurrence.“ Zuständig für die Umsetzung ist allerdings – anders als bei der Euthanasie – der sozialistische Minister Mars di Bartolomeo.

Luc Mousel will jetzt erst einmal abwarten, wie viel die LSAP im alltäglichen Regierungsgeschäft durchsetzen kann. Wie Nico Wennmacher bedauert auch er eine gewisse Zurückhaltung seiner eigenen Partei. Gegen die Wohnungsnot zum Beispiel müsse man drastische Maßnahmen ergreifen: Bauland solle nur noch über Staat und Gemeinden weiterverkauft werden, um die Spekulation einzudämmen, schlägt der LSAP-Aktivist vor „Niemand traut sich, das zu fordern. Die Partei hat Angst, als kommunistisch abgestempelt zu werden.“

Finstere Zeiten

Darum braucht sich die LSAP wahrlich nicht zu sorgen. Eine Partei, die es geschehen lässt, dass die Vermögenssteuer abgeschafft statt erhöht wird, dass an der Uni Studiengebühren als Finanzierungsquelle vorgesehen sind, dass die Baulandspekulation wie in den vergangenen zehn Jahren weiterhin von Fernand Boden bekämpft werden soll, genießt gewiss das Vertrauen der Reichen und Schönen der Nation.

Auch in anderen Politikbereichen lenkt die Debatte über Mammerent und Werteunterricht ab von kleinen und großen Makeln des Koalitionsabkommens. So wird zwar die doppelte Staatsbürgerschaft eingeführt, die Zugangsbedingungen aber werden von Justizminister Luc Frieden erstellt. Beim von den Sozis als unzureichend kritisierten Partenariatsgesetz ist keine Reform vorgesehen, nur eine „évaluation“. Die von der LSAP geforderte zweite Regularisierung für Flüchtlinge wird es nicht geben. Am freiheitsbedrohenden Gesetz zum Geheimdienst wird nichts geändert, und die geplante Reform des Datenschutzgesetzes soll „Hürden beseitigen“, was auf eine Aufweichung des Schutzes hinauslaufen dürfte.

Dass sich die LSAP bei so einem Regierungsprogramm in den kommenden fünf Jahren als linke Kraft profilieren kann, ist unwahrscheinlich. Luc Mousel jedenfalls ist pessimistisch: „Wir werden nach den nächsten Wahlen kaum besser dastehen als diesmal.“


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