VIDEOÜBERWACHUNG: Vom Recht auf Kameras

Die längst überfällige Studie zur Wirksamkeit der Kameras am hauptstädtischen Bahnhof und in der Oberstadt liegt vor. Das Ergebnis ist nur auf den ersten Blick positiv.

„Die Videoüberwachung in der Stadt Luxemburg hat sich bewährt.“ Beim Lesen dieses Satzes in der Schlussfolgerung der Visupol-Studie über die Wirksamkeit der Videoüberwachung in der Stadt Luxemburg kommt der Verdacht auf, es handle sich um eine Gefälligkeitsstudie. Das ist aus zwei Gründen nicht der Fall.

Zum einen wird, wer das 60-seitige Dokument studiert, merken, dass der Autor an das glaubt, was er schreibt. Professor Manfred Bornewasser ist „Fan“ der Videoüberwachung und wenig besorgt über ein Abdriften der Überwachungsmaßnahmen in Richtung Polizeistaat. Konsequent empfiehlt der Experte, „alle gesetzlichen Bestimmungen und Auflagen, die von Zweifeln an der Rechtmäßigkeit der Nutzung und des Einsatzes der Videoüberwachung geprägt waren“, zu überprüfen und gegebenenfalls zu beseitigen. Befreit vom „Dauerverdacht des Daten- und Überwachungsmissbrauchs“ könnte dann die „Prozesskette von der Entdeckung bis hin zur finalen Sanktionierung“ optimiert werden – Judge Dredd lässt grüßen.

Zum anderen löste Bornewassers Vortrag in der Commission de l’Intérieur nicht nur bei den Grünen einige Skepsis aus: „Die Kriminalität wurde an den Orten, an denen sich die Videokameras befinden, reduziert. Es gab aber eine Verlagerung hin zu Stellen, wo sich keine Kameras befinden?, hat Kommissionspräsident Ali Kaes von der CSV laut Wort festgehalten. Auf das gesamte Kriminalitätsaufkommen bezogen, das gibt Bornewasser zu, hat die Videoüberwachung einen kaum messbaren Effekt. Ihr Image als polizeiliche Wunderwaffe dürfte die Installation von Kameras damit verloren haben.

Doch Bornewasser sieht das nicht wirklich als Problem. Mehrfach insistiert er, wie wichtig die Bekämpfung sozialer Ursachen sei – auch wenn man sich manchmal fragt, welche Form der „Bekämpfung“ nach seinem Geschmack ist. Lohnend sind die Kameras nach Ansicht des Professors allein schon weil die „störenden Anlässe und Vorkommnisse (…) auch den Wirtschaftsstandort Luxemburg insgesamt gefährden“. Und die Kameras – das bestreiten auch die Kritiker nicht – schaffen tatsächlich ein Gefühl der Sicherheit.

Das aber wirft die Frage der Verhältnismäßigkeit auf. Bei polizeilichen Mitteln, die entscheidend dazu beitragen, Verbrechen zu verhindern oder aufzuklären, muss man sicher bis zu einem gewissen Grad Einschränkungen der Grundfreiheiten in Kauf nehmen. Doch bei Mitteln, die Kriminalität nur verdrängen und deren einziger Erfolg eine Verbesserung der „gefühlten“ Sicherheit ist, wird man sehr genau überlegen wollen, ob Eingriffe wie großflächige Videoaufzeichnungen von Privatpersonen im öffentlichen Raum zu rechtfertigen sind. Hier ist die Studie erwartungsgemäß keine Hilfe, denn Datenschutz ist für den Autor ein Fremdwort. Lapidar stellt er fest: „Mehr Sicherheit ist eingetreten, ohne einen Verlust an Privatheit. Einschränkungen der eigenen Privatheit werden an keiner Stelle [der Bürgerbefragung] thematisiert.“

Doch eine andere Frage wird sich in den kommenden Monaten stellen. Nehmen wir einmal an, die Regierungsparteien finden, die Verhältnismäßigkeit sei gegeben und die Kameras sollten bleiben. Dann wird man die durch die Verdrängung der Kriminalität erzeugten Probleme angehen müssen, die in der Studie angeführt werden: Drogendelikte in der Umgebung der Schule in der Rue du Fort Weddell, Verlagerung der Drogenszene nach Bonneweg bis hin zu einer „Ghettobildung“ zwischen Kirche und Gleisanlagen.

Der Ruf nach mehr Kameras wird laut werden, zuerst im Bahnhofsviertel und in Bonneweg, dann in Hollerich, Gasperich und im Petruss-Park. Was für das eine Viertel recht ist, muss für das andere bllig sein, werden Bürgerinitiativen und Lokalpolitiker argumentieren. Wem Verdrängung und Sicherheitsgefühl als Gründe für Videoüberwachung ausreichen, der muss in letzter Konsequenz eine flächendeckende Überwachung in der ganzen Stadt, ja, im ganzen Land befürworten. Dann hätten wir endlich ein sauberes Luxemburg.


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