VOKALENSEMBLE: A capella der Krise

In schwarzem Frack, mit gescheiteltem Haar und viel Schmalz in der Stimme, gelingt es den „Berlin Comedian Harmonists“ noch heute an den Erfolg ihrer Vorgänger anzuknüpfen. Und das obwohl das Repertoire größtenteils aus schnulzigen Schlagern besteht.

Das beste Krisenprodukt seit über 80 Jahren: Die „Berlin Comedian Harmonists“.

Schon vor rund achtzig Jahren sorgten die „Comedian Harmonists“ mit Liedern voller spießbürgerlicher Sorglosigkeit vor dem Hintergrund der Weltwirtschaftskrise mit ihrer Massenarbeitslosigkeit und der Verelendung breiter Schichten für gute Laune. Mit Pomade im Haar und viel Schmalz in der Stimme, rhythmisch präzise und mit parodistischem Witz unterlegt, besangen sie den Lenz, den kleinen grünen Cactus, Wochenend und Sonnenschein oder stimmten das bekannte „Ich wollt‘ ich wär‘ ein Huhn“ an.

Rund zehn Jahre beglückte das Berliner Vokal-Ensemble seine Zuhörer, dabei verfügte das Gros des Sextetts über keinerlei akademische Gesangs- oder Musikausbildung. Einzig die Aufnahmen der US-amerikanischen Gruppe „The Revelers“ dienten Anfang der dreißiger Jahre der Gruppe als Vorlage sowie viele Monate harten Probens in einer kleinen Mansardenwohnung. Doch der Einsatz hatte sich gelohnt: Anfang der 1930er erfolgte der Durchbruch des „Comedian Harmonists“ mit Revue-Songs, Varieté- und Operetten-Schlagern bis hin zu deutschen und europäischen Volksliedern. Vorwiegend ohne Pianobegleitung und ohne sonstige Instrumente vermochte die A-Capella-Gruppe, deren Gesang auf Close Harmony-Effekten beruht, zu begeistern. Dem Durchbruch folgte ein jähes Ende als Adolf Hitler 1933 an die Macht kam: Da drei der sechs Mitglieder der „Comedian Harmonists“ jüdischer Herkunft respektiv „Nichtarier“ waren, kam es zu ersten Absagen vertraglich vereinbarter Konzerte -und dann zum endgültigen Auftrittsverbot.

In die Fußstapfen ihrer bekannten Vorgänger sind seit einigen Jahren die „Berlin Comedian Harmonists“ getreten, jenes Nachfolge-Ensemble, das derzeit wie wohl kein zweites den Geist der großen Originale heraufzubeschwören versteht – und erneut ist Wirtschaftskrise. Ob es sich nun um ein schlechtes oder ein gutes Omen handelt, dass die Truppe zur Zeit der Euro-, Schulden- und Banken-Krise nun Anfang Januar live in der Philharmonie auftreten, wird sich zeigen. Das Bedürfnis nach Schlagern der 30er scheint zumindest auch in Luxemburg ungebrochen, denn das Konzert ist längst ausverkauft.

Und sicher wird auch die jüngere „Boygroup“ nicht enttäuschen: In maßgeschneidertem Outfit, mit hoher Virtuosität und unaufdringlicher Professionalität, bieten die Tenöre Holger Off und Ralf Steinhagen, die Baritons Olaf Drauschke und Philipp Seibert, der Bass Wolfgang Höltzel begleitet von Pianist Horst Maria Mey bekannte Klassiker der „Comedian Harmonists“. Aber auch neue Nummern im Geiste der Originale hat die Gruppe einstudiert.

Das musikalische Bühnenspiel mit vom Klavier begleitetem Gesang enthält auch Erzählungen samt passendem 1930er Jahre-Jargon über die Zeit der großen Originale. Das etwas anderes Hörerlebnis – wenn auch ohne Grammophonrauschen.

Zu hören am Donnerstag, dem 12. Januar in der Philharmonie.


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