Der Anti-Drogen-Krieg der internationalen Gemeinschaft ist erfolglos – und geht zu Lasten der Menschen in den Anbauregionen. Auch Luxemburg mischt mit.
Groß ist derzeit in Europas politischer Klasse die Empörung über Geheimgefängnisse der CIA innerhalb und außerhalb der EU, in denen mutmaßliche Terroristen möglicherweise unter Folter verhört worden sind. Groß ist auch die Doppelmoral, die dahinter steckt. Denn zur gleichen Zeit werden von den selben Akteuren hinsichtlich der Drogenbekämpfung Allianzen geschmiedet, innerhalb derer man hinsichtlich der Methoden teilweise nicht zimperlicher ist.
So sprachen sich der russische Präsident Wladimir Putin und Nato-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer anlässlich eines Treffens im vergangenen Juni für eine verbesserte praktische Zusammenarbeit im Kampf gegen Drogen und Drogenschmuggel aus. Rauschmittel, so Putin, seien „eines der größten Probleme unserer Zeit“. Der russische Präsident aber ist für seine rücksichtslosen Methoden bekannt.
Das hinderte jedoch auch Luc Frieden nicht daran, Russland vor kurzem für seine Rolle im Kampf gegen Drogen zu loben (siehe auch woxx 823). Um an der Einmütigkeit in dieser Frage keinen Zweifel zu lassen, wurden die Dankesworte zudem in einem Pressekommuniqué publiziert. Denn Luc Frieden weiß: Russland und die benachbarten ehemaligen Sowjetrepubliken sind wichtige Transitwege für Heroin aus Afghanistan Richtung Europa.
Und von diesem Heroin kommt, wie eine in der vergangenen Woche veröffentlichte Studie zeigt, immer noch jede Menge hierzulande an. Der Jahresbericht 2005 der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EBDD) weist zudem darauf hin, dass auch Einfuhr und Konsum von Kokain zugenommen haben. Das Büro für Drogen und Kriminalität der Vereinten Nationen (UNODC) kommt in seinem Weltreport 2005 zu ähnlichen Ergebnissen. Den Schätzungen der Institution zufolge nutzen mittlerweile 16 Millionen Menschen Opiate, davon gebrauchen zwei Drittel Heroin. Der Kokainkonsum habe sich auf 14 Millionen Menschen ausgedehnt. Ihr Fazit: Der Drogenkonsum nimmt auf globaler Ebene zu.
Auch im Großherzogtum ist keine Verbesserung der Situation abzusehen. „Luxemburg ist in Westeuropa das Land mit dem höchsten Grad des Opiummissbrauchs, gefolgt von Portugal, dem Vereinigten Königreich, Italien und der Schweiz“, resümiert das International Narcotics Control Board (INCB) der UN. Vor allem die Konsummuster haben sich hierzulande geändert, wie Alain Origer, nationaler Drogenkoordinator im Gesundheitsministerium, sagt: „Es gibt eine größere Vielfalt von Substanzen“. Zudem würde der Reinheitsgrad der Substanzen immer unterschiedlicher. „Man hat überhaupt keinen Überblick mehr, was für eine Qualität man bekommt.“
Die Ergebnisse der Evaluierung der drogenpolitischen Maßnahmen in Luxemburg, die im EBDD-Bericht erläutert werden, gehen auf den alten, bis 2004 gültigen nationalen Aktionsplan zurück, wie Alain Origer erläutert. Als Vorsitzender des luxemburgischen EBDD-Knotenpunkts hat er auch den entsprechenden Part der EU-Expertise verfasst. „Der alte Aktionsplan war ein Notfallplan, weil im niedrigschwelligen Bereich viel zu tun war“, sagt er, „da ging es zu hundert Prozent um Gesundheitspolitik“. Der neue Plan hingegen sehe Aktivitäten auf verschiedenen Ebenen vor. Er beziehe das Justizministerium ebenso mit ein wie den Fonds de lutte contre le trafic des stupéfiants. Dieser investiere viel in die internationale Kooperation, so Origer.
Auch die EU wendet sich in der Drogenbekämpfung zunehmend der globalen Ebene zu: „Ich hatte vor zwei Monaten ein langes Gespräch mit Franco Frattini“, erinnert sich EBDD-Vorsitzender Marcel Reimen gegenüber der woxx. Er und der Vizepräsident der Europäischen Kommission seien sich einig gewesen: „Wir müssen uns um die Wege des Drogenhandels kümmern, während wir bislang nur den Drogenkonsum im Blickfeld hatten.“ In der EU habe sich diesbezüglich ein Wechsel der Perspektive vollzogen, erläutert Reimen. Deshalb sollen die Kompetenzen seiner Institution auf die auswärtigen Beziehungen ausgeweitet werden. Die neue EU-Strategie beinhalte außerdem eine stärkere Kooperation mit Südamerika und Russland.
Rekord im Giftsprühen
Doch wie sieht das internationale Engagement in den Ursprungsländern der Drogen aus, an dem sich die europäische Gemeinschaft bereits heute rege beteiligt? Die Drogenbekämpfung in Kolumbien beispielsweise liest sich im jüngsten UNODC-Länderbericht im ersten Moment wie eine Erfolgsstory: „In den vergangenen vier Jahren hat der Kokaanbau um 51 Prozent abgenommen, eine der höchsten kontinuierlichen Reduzierungen illegalen Anbaus der jüngeren Weltgeschichte.“ Doch dies ist nicht der einzige Rekord, den Kolumbien erzielt. So ist im oben erwähnten INCB-Bericht zu lesen, dass die Giftsprühaktivitäten im Jahr 2004 „ein nie zuvor da gewesenes Ausmaß erreichten“. Pro Hektar Land wurden 10,4 Liter des Pflanzengifts „Round Up“ per Flugzeug entleert – auf einer Gesamtfläche von 136.000 Hektar. Die ihrer Existenzgrundlage beraubten Bauern pflanzten in ihrer Not zum Teil auf den selben Agrarflächen Gemüse an und brachten so giftstoffhaltige Nahrungsmittel auf den einheimischen Markt.
Auch die brutalen Folgen des von der EU und den USA finanzierten „Plan Colombia“ zur Bekämpfung von Guerilla und Drogen sind hinlänglich bekannt. Sie finden jedoch in den Berichten der Vereinten Nationen keinerlei Erwähnung: Vor einigen Jahren waren etwa Mitglieder verschiedener Landgemeinden in Europa unterwegs, um über den mörderischen Terror, dem sie ausgesetzt sind, zu berichten, eingekeilt zwischen Armee, Paramilitärs und Guerilla. „In dem vollständig militarisierten Konflikt findet unsere Stimme überhaupt kein Gehör“, lautete ihr Resümee. Da nützt es wenig, dass sich Europa vom militärischen Teil des Plans distanziert. Genutzt haben die Maßnahmen sowieso nichts: Die ausfallenden Ernten aus Kolumbien wurden von den Nachbarländern Peru und Bolivien im selben Zeitraum mehr als kompensiert.
In Afghanistan, dessen Opiumproduktion 87 Prozent des Weltmarktes abdeckt und etwa 60 Prozent des einheimischen Bruttosozialprodukts ausmacht, stellt sich der Sachverhalt nicht viel anders dar. Nachdem die afghanische Regierung im vergangenen Jahr zugesagt hatte, die Schlafmohnproduktion komplett zu verhindern, konnte sie diesen November immerhin noch die Reduzierung der Anbaufläche um 21 Prozent verkünden. Experten vermuten jedoch, dass wegen intensiverer Bewirtschaftung die kommende Ernte noch ertragreicher sein wird als die Rekordernte des Vorjahres. Gegenläufig zur Verfügbarkeit des Opiums sind deshalb auch die Preise ständig am Fallen, bestätigt das UNODC. Der Trend weise überdies auf eine weitere Zunahme der Opiumproduktion in Afghanistan. Die UNODC- Schwesterbehörde, das INCB, unterstreicht, dass alle Bemühungen, den Anbau von Opium und anderen Drogen zu reduzieren, davon abhängen, eine „nachhaltige alternative Lebensgrundlage für die Bauern zu schaffen“.
Warlords profitieren
Viel Geld ist deshalb international in solche Projekte geflossen. Auch der luxemburgische Fonds de lutte contre le trafic des stupéfiants hat einen großen Teil seines Budgets für Modelle „alternativer Entwicklung“ verwendet. Der Effekt tendiert gegen Null. Warum, haben peruanische Bauern einem BBC-Journalisten so erklärt: Als er wissen wollte, wieso sie keine legalen Agrarprodukte anbauen, wurde er wortlos in den nächsten Laden geführt: Dort gab es „alle Sorten an Nahrungsmitteln und Gemüse zu kaufen, importiert vor allem aus den Vereinigten Staaten und der EU“. Und zwar zu Preisen, mit denen die lokalen Bauern selbst auf dem heimischen Markt niemals konkurrieren könnten. Dieser Umstand wird von NGO’s wie der ASTM oder Frères des hommes bereits seit Jahren kritisiert.
Und so bleiben Drogen, deren Umsätze acht Prozent des Welthandelsvolumens ausmacht, weiterhin die „Bank des Waffenhandels“, wie Marcel Reimen sagt. Afghanistan, schließt sich das INCB an, habe sich in ein Land verwandelt, „in dem die Wirtschaft, die Kultur und das politische Leben vom illegalen Drogenhandel dominiert werden, der die Wiederaufbaubemühungen bedroht und rechtmäßige ökonomische Aktivitäten sowie die Errichtung der Rechtsstaatlichkeit unterminiert.“
Wenn nun die Nato erneut ihr Truppenkontingent in Afghanistan aufstockt und künftig möglicherweise auch eine deutsche Spezialeinheit in den Anti-Drogen-Kampf involviert wird, dann ist das Resultat bereits abzusehen. Dennoch könnte auch Luxemburg auf diesem Terrain bald eine Rolle spielen, wenn man die jüngsten Verlautbarungen von Frieden in diese Richtung interpretiert. An der Finanzierung des Terrorismus und der Warlords mit Drogengeldern ändert sich dadurch nichts.
„Als die Taliban aus dem Drogenhandel ausgestiegen sind, hat sich das auf dem Weltmarkt auch nur ein Jahr lang bemerkbar gemacht“ erinnert sich Alain Origer. Von der Bekämpfung des Drogenanbaus in den Anbauländern hält er deshalb nicht viel. „Höchstwahrscheinlich wäre es effektiver, die Repression entlang der Grenzen auszuweiten“, sagt er. Doch auch damit wird nur wenig erreicht, wie das Beispiel Russland zeigt. Obwohl den dortigen Drogenfahndern jüngst einige spektakuläre Beschlagnahmungen gelungen sind, konstatiert das INCB „eine rasche Ausweitung des Problems der illegalen Drogen in dieser Region“.
Legalisierung aller Drogen
Immer wieder betonen Kritiker die Vorteile einer generellen Liberalisierung unter staatlichem Reglement: In den Herkunftsregionen der Rohstoffe könne legal angebaut werden, die Warlords müssten sich neue Finanzierungsquellen suchen und auf dem Verbrauchermarkt gäbe es weniger Beschaffungskriminalität, gleichbleibende Qualität und deshalb weniger Drogentote. So fordert das international tätige Institut Senlis Council die Legalisierung des Opium-Anbaus in Afghanistan und die Verwendung der Ernte für schmerzlindernde Mittel.
„Das ist eine verständliche Debatte“, sagt Drogenkoordinator Origer, „die Liberalisierung hätte auch einige Vorteile“. Allerdings warnt er davor, sie als Wundermittel zu sehen, da ein Parallelmarkt, etwa für Minderjährige, kaum zu verhindern sei. Irgendwann werde es aber wohl „eine Entwicklung in diese Richtung geben, wenn die Staaten den Krieg gegen die Drogen nicht verlieren wollen“.
Es bedarf also einer Debatte über die Liberalisierung aller Drogen, innerhalb derer DrogenkonsumentInnen nicht vorrangig als Kranke betrachtet und auch die gesellschaftlichen Bedingungen reflektiert werden, unter denen sich der Drogenkonsum vollzieht. Bis dahin werden sich die Drogenhändler auf den nächsten „erfolgreichen Schlag“ gegen einen Kokain- oder Opiumring freuen, der endlich die Preise wieder nach oben treibt.