MALGORZATA SZUMOWSKA: Der Reiz der jungen Muscheln

Eine bürgerliche Journalistin der Frauenzeitschrift „Elle“ recherchiert über Studentinnen, die in Paris leben und sich ihr Studium über Prostitution finanzieren, und gerät dabei in den Sog der Leidenschaft – So in etwa ließe sich die Handlung von „Elles“ zusammenfassen.

Doch mehr als
eine Hommage an
die Schönheit von
Juliette Binoche?

Der Film fügt sich wie ein Puzzle zusammen. Während die Journalistin Anne (Juliette Binoche) ihre Interviews abtippt, werden in Rückblicken Gespräche gezeigt, die im Park oder im Hotel stattfinden und Szenenausschnitte von den Berichten von zwei Studentinnen.

Zwischen Pilates-Übungen, Einkäufen für das obligatorische Abendessen mit dem Chef ihres Mannes und ein paar schnöden Diskussionen mit ihren beiden Söhnen, sitzt Anne in ihrer geräumigen Pariser Wohnung versonnen vor ihrem PC und schreibt, raucht, masturbiert oder telefoniert mit ihrer Redaktion und ist dabei vor allem: schön anzusehen. So wundervoll, dass man meinen könnte, die Regisseurin habe eine Hommage an Juliette Binoche im Sinne gehabt.

Dass ihr Alltag monoton ist und trotz stets gut gefülltem Kühlschrank und Designerklamotten irgendwie der Kick fehlt, wird der Journalistin erst beim Zusammentreffen mit den komplett unterschiedlichen Lebensentwürfen der jungen Frauen bewusst. Sie entwickelt sexuelle Sehnsüchte – und schließlich Sehnsucht nach einem anderen Leben. Für die Journalistin Anne ist das freilich nicht ein Leben in finanzieller Freiheit wie im Fall der beiden Studentinnen, sondern die Flucht aus dem bürgerlichen Alltag. Was Luis Buñuel einst in „Belle de jour“ kunstvoll entwarf, wird in dem Film von Malgorzata Szumowska zum netten, doch belanglosen Unterhaltungsfilm, in dem ein Thema farbenfroh angeschnitten und damit latent verharmlost wird.

Der Film nimmt keinerlei Haltung ein, denn vom Alltag der beiden attraktiven jungen Studentinnen sieht der Zuschauer lediglich Ausschnitte. Bei der aus Polen stammenden Alicja, sieht man wie sie verzweifelt eine Wohnung sucht, und Charlotte beobachtet man wie sie im trostlosen Plattenbau der Eltern zu Abend isst, während der Fernseher läuft. Dann immer wieder Begegnungen mit Freiern, die sich die Beiden zumindest aussuchen. Einsame Männer, die ihre vorgeblich bürgerlichen perversen Fantasien mit Alicja und Charlotte ausleben. Ganz gleich, ob sie nackt am Küchentisch sitzen und singen, sie sie in Hotelzimmern aufsuchen und sie bepinkeln, ihnen gewaltsam eine Champagnerflasche reinschieben oder einfach nur weinen – die Kamera rückt nah an das Geschehen, hält drauf.

Nur wenige Klischees fehlen. Bei so vielen sexuellen Abenteuern wird der Journalistin natürlich ganz anders und irgendwann muss es raus, das zarte Fleisch der Jakobsmuschel, das Anne beim Zubereiten des Abendessens verzückt streichelt. Ginge es nicht etwas subtiler? „Du bist irgendwie komisch, seit du diesen Artikel über diese Nutten schreibst“, hält ihr der Ehemann vor, dem Annes Schwebezustand nicht verborgen bleiben kann. „Ach ja? Jeder Mann geht zu Nutten, aber Nutten sind also nur Nutten?“, lautet die furiose Antwort Annes und zugleich die einzig emanzipierte Erkenntnis, die die Zuschauerin aus dem Film mitnimmt.

Trotzdem ist „Elles“ ein bisschen mehr als ein Softporno für frankophile Männer. Es ist eine dieser leichten französischen Schmonzetten, wie man(n) sie gerade in Deutschland liebt. Die letzte Einstellung zeigt Anne im Kreise ihrer Familie am Frühstückstisch, das Marmeladenglas wird herumgereicht. Die Rückkehr zur Normalität als Ausschnitt aus einem Ikea-Katalog. War das schon alles?

Neu im Utopia.


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