Sascha Lang ist nach einer Augenkrankheit erblindet. 2010 hat er das Internetradio „Slang Radio – Radio für ein barrierefreies Leben“ aufgebaut. Die woxx sprach mit ihm über sein Radioprojekt und den Protesttag der Menschen mit Behinderungen.
woxx: „Slang Radio – Radio für ein barrierefreies Leben“- ist das Radio von Nutzen, wenn es darum geht, die Belange von Menschen mit Behinderungen zu vertreten?
Sascha Lang: Entstanden ist „Slang Radio – Radio für ein barrierefreies Leben“ am 5. Februar 2010, und ich glaube schon, dass wir einiges bewegt haben, dass wir Dinge verständlicher machen konnten – auch wenn wir bisher leider nur im Internet senden, da wir uns keine terrestrischen Frequenzen leisten können. Natürlich ist unser Ziel noch lange nicht erreicht. Wir wollen Menschen ohne Behinderung sensibilisieren, mein Leitmotiv ist jedoch, ebenso auch Menschen mit Behinderungen zu sensibilisieren: Wir müssen unsere Rechte kennenlernen aber auch andere Behinderungen und ihre speziellen Erfordernisse. So gab es vor kurzem in Deutschland eine Diskussion über die Nullabsenkung der Bürgersteige: die dient den Rollstuhlfahrern, jedoch nicht den Blinden. Das Thema Barrierefreiheit betrifft vor allem Menschen mit Behinderungen – allerdings nicht ausschließlich, auch im normalen Leben treffen wir auf eine ganze Reihe von Barrieren. Sogar wenn jemand mit seiner Familie in ein kinderfreundliches Restaurant geht und die Kinder gelernt haben, sich vor dem Essen die Hände zu waschen, ist das Waschbecken meistens so angebracht, dass es für Kleinkinder nicht erreichbar ist. Kinderwagen kommen nicht überall hin, und auch ältere Leute haben oft Probleme. Barrieren reichen weit über das Thema Behinderung hinaus. Und das sind Dinge, auf die wir hinweisen wollen, aber bis wir die Barrieren aus den Köpfen bekommen haben, ist es noch ein weiter Weg.
Sie haben sich schon früh mit dem Medium Radio befasst. Was gab bei der Gründung von Slang Radio den Ausschlag?
Der Name „Slang Radio“ ist einerseits eine Abkürzung aus meinem Vor- und Nachnamen, andererseits steht Slang für eine „andere Sprache“ über das Thema Behinderung jenseits des Mainstream. Sehr oft ergeben sich Veränderungen im Leben aus irgendeinem Frust, so war es auch bei der Gründung des „Slang Radio“. 1989 habe ich angefangen, Radio zu machen, 1995 wechselte ich zu den kommerziellen Radios in Luxemburg, habe es dort jedoch nie bis zu einer Festanstellung geschafft, da die technischen Möglichkeiten mir als Vollblindem nicht zur Verfügung gestellt wurden und es in Luxemburg keine persönliche Assistenz gibt. Daraufhin habe ich für ein deutsches Radio gearbeitet, das aber insolvent wurde, und so bin ich schließlich auf den Gedanken gekommen, es mit Internetradio zu versuchen. Nach einigen weiteren Erfahrungen als Moderator hatte ich mir irgendwann genug Know-How angeeignet und auch ehrenamtliche Mitarbeiter gefunden, um Slang Radio zu gründen. Anders als bei anderen Internetsendern müssen die ehrenamtlichen Moderatoren von Slang Radio für das Radio-Machen nicht bezahlen. So engagieren sich bei uns nur Personen, die wirklich Bock aufs Radio haben. Wir sind kein kommerzielles Radio – natürlich würde ich gerne meine Mitarbeiter bezahlen -, und die Idee des Formatradios ist für mich nicht verbindlich. Bei uns wird ein Interview in voller Länge gesendet, und die Aussagen einer Person werden nicht auf ein bestimmtes Format hin zurechtgeschnitten. Es liegt nicht in meinem Ermessen zu entscheiden, was eine andere Person sagen
wollte.
Auf Ihrer Internetseite steht: „Wir sprechen über die Themen, die andere Medien für nicht kommerziell genug halten“ – was machen die üblichen Radios hierbei falsch?
Die anderen Radios reden zu wenig über Behinderung. Gerade kürzlich gab es anlässlich des „Europäischen Protesttages der Menschen mit Behinderungen“ in der Gemeinde Luxemburg eine Pressekonferenz zur „Semaine de sensibilisation“ – und es war kein einziger Radio- oder Fernsehjournalist anwesend! Das ist für mich genau das, was falsch läuft. Die Stadt Luxemburg vereinigt 29 verschiedene Betroffenenorganisationen von Menschen mit Behinderungen um das Projekt – das Ausmaß wird von den Medien total unterschätzt. Das Problem scheint darin zu bestehen, dass einige Medien sich nicht an das Thema herantrauen, nicht Bescheid wissen, aber auch nicht bereit sind, sich informieren zu lassen zum Beispiel über spezifische Sportarten. Als aktives Mitglied der behinderungsübergreifenden Selbstvertreter-Organisation „Nëmme Mat Eis!“ verfassen wir gerade zusammen mit der Gehörlosen und Schwerhörigen-Organisation „Daaflux“ einen Brief, in dem wir das RTL-Fernsehen auffordern, endlich seine Nachrichtensendung durch einen Gebärdendolmetscher zu übersetzen. RTL hat einen öffentlichen Auftrag, deshalb müssen zumindest seine Nachrichtensendungen auch allgemein zugänglich
sein!
Slang Radio erarbeitet derzeit ein Konzept, nach dem zwei Sendungen „Sporttreff – das Magazin rund um den Behindertensport“ und „Infopoint – das Magazin zu den Themen Behinderung, Gesundheit und Entertainment“ wöchentlich in Gebärdensprache übersetzt werden sollen. Wie soll das aussehen?
Die Idee ist – da wir aus finanziellen Gründen natürlich nicht immer auf einen Gebärdesprachdolmetscher zurückgreifen können -, dass wir mit Relay-Diensten für hörgeschädigte Menschen zusammen arbeiten. Diese stellen den Dolmetscher zur Verfügung. Wenn gerade Musik läuft, ist nur eine weiße Wand auf der Internetseite sichtbar, und wenn sie vorbei ist, tritt der Dolmetscher, der per Tonsignal live zugeschaltet wird, in Aktion. Eine solche Übertragung wollen wir auch von den Paraolympics aus London machen, wobei der Dolmetscher dann irgendwo in Deutschland sitzt.
Wie gelingt es, die unterschiedlichen Interessensgebiete der verschiedenen Behinderungsformen abzudecken?
In meinen Sendungen bin ich nicht auf meine eigene Behinderung, das Blindsein, fokussiert, sonden lege sehr viel Wert darauf, die Bandbreite der Behinderungen zu thematisieren. In den anderen Sendungen macht es jeder so, wie er es möchte. So hatten wir eine Sondersendung über den Hörfilmpreis, eine Konferenzübertragung aus dem Deutschen Bundestag zum Thema „gute Arbeit unbehindert“ und wollen demnächst die Konferenz von Annika Pabsch der „European Union of Deaf“ aufzeichnen. Wir versuchen, die verschiedenen Behinderungen themenspezifisch abzudecken. Jedoch ist die Blindenlobby in Europa extrem stark, es gibt sehr viele Infos – so dass es schon vorkommt, dass wir plötzlich eine Sendung haben, bei der sich ein großer Teil der Themen im Blindenbereich situiert. In so einem Fall muss man die Bremse ziehen. Wünschenswert wäre, dass andere Behinderungsgruppierungen in ihrer Lobbyaktivität genau so effizient sind. Andere Informationen, die wir senden, etwa zur UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen oder juristische Informationen, sind für alle Behindertengruppen wichtig. Slang Radio sendet zudem die erste wöchentliche Behindertensportsendung im deutschen Radio. Wir machen Interviews und Reportagen über ehemalige Paraolympiker und stellen jede Woche einen Behindertensportverband aus Deutschland vor. Wir werden Veranstaltungen der Special Olympics in München besuchen. In der letzten Sendung hatte ich ein Interview mit den Lux-Rollers, in der es um das Thema Sportbehinderung in Luxemburg ging. Wir berichten auch über kulturelle Veranstaltungen, allerdings wird da im Blinden- und Sehbehindertenbereich in Luxemburg kaum etwas geboten. Geplant ist, mit einer Sängerin ein Konzert im Dunkeln zu veranstalten. Und ich habe eigentlich schon länger die Idee, auch ein Theaterstück im Dunkeln und im zweiten Teil in Gebärdensprache zu machen. Es gibt kaum Filme mit Audiodeskriptionen. In Deutschland hat man jetzt die interessante Strategie entwickelt, Subventionen an die Audiodeskription zu koppeln – das müsste auch in Luxemburg so sein. Es heißt bei so etwas zwar immer, das kostet Geld, vergessen wird dabei jedoch, dass wir auch Arbeitsplätze schaffen. Wir helfen mit, neue Berufszweige zu entwickeln.
Werden Sie subventioniert?
Im Moment finanziert sich das Ganze noch aus meinem privaten Geldbeutel. Allerdings haben wir nur ganz geringe Ausgaben – monatlich rund 200 bis 250 Euro. Wir müssen nur den Server, Telefonkosten und die Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte bezahlen. Zudem haben wir einige Werbeeinnahmen. Wir sind noch im Aufbau und werden auch pro Hörer bezahlt. Am größten ist die Zuhörerschaft zwischen 18.00 bis 24.00 Uhr, auch am Wochenende. Unser Team besteht aus 10 Personen, und wir senden rund 14 Stunden pro Tag. Wir sind ein wirklich gutes, inspiriertes Team, und es gibt kein eingefahrenes Programm. Die Mitarbeiter sind mehrheitlich blinde und sehbehinderte Menschen, wobei das nicht so geplant war. Bei ihrer Auswahl gibt es nur eine einzige Einschränkung: Menschen mit einer Sprachbehinderung können wir leider nicht als feste Moderatoren verwenden – das liegt in der Natur der Sache, ich bewerbe mich ja zum Beispiel auch nicht als Grafiker. Wir brauchen schon Moderatoren, die mit der Stimme arbeiten und mit Technik umgehen können. Wir moderieren komplett auf Deutsch. Mein Ziel wäre, dass wir einmal im Monat eine Sendung aus Luxemburg, eine aus Österreich und eine aus der Schweiz bringen könnten.
Soll Slang Radio noch professionalisierter werden?
Wir sind Teil des Berliner Vereins „inclusio medien“, einer Vereinigung, die sich aus Journalisten zusammensetzt, die das Thema der Behinderung in den Medien nach vorne bringen wollen. So haben wir neben dem Slang Radio wöchentlich eine Sendung auf dem Berliner Radio Alex, die über UKW läuft. Wir versuchen zusammen mit „inclusio medien“ als eingetragener Verein den Status der Gemeinnützigkeit zu erhalten, um dann an Subventionen zu kommen, so dass unsere Moderatoren irgendwann auch für ihre Arbeit bezahlt werden können.
Welches Programm hat das Slang Radio für den Europäischen Protesttag der Menschen mit Behinderung?
Ab 10.00 Uhr am Samstag, dem 05. Mai, senden wir eine 8-stündige Sendung mit Beiträgen und Infos zum Thema Behinderung. Wir haben einen Aufruf in Deutschland gestartet – da wir nicht überall Reporter hinschicken können -, in dem wir unsere Hörer bitten, uns Livebeiträge zu liefern. Aus Schleswig-Holstein, Bayern, Hessen, Berlin, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Luxemburg wird live von den Protestmärschen und den verschiedenen Forderungen berichtet.
Was liegt Ihnen persönlich an diesem Tag sehr am Herzen?
Für mich steht die Sensibilisierung im Vordergrund, also dass wir Behinderte uns mehr in die Gesellschaft hinein trauen und stärker wahrgenommmen werden, egal ob als Gehörloser, Rollstuhlfahrer oder Blinder. Wir müssen den Menschen Positives zeigen, die Talente, über die wir verfügen – es ist wichtig, dass die Leute uns nicht nur klagen hören. Es gibt Blindenfußball, Verena Bentele ist eine blinde Skilangläuferin, diese und viele andere Ausnahmetalente müssen wir mehr in die Medien bringen: Wir könnten noch viel mehr erreichen mit der persönlichen Assistenz – aber ohne sie bekommen wir in Luxemburg keine Selbstbestimmtheit hin. Ich wünsche mir, dass wir Menschen mit einer Behinderung unseren Assistenzpool selbst aufbauen und entscheiden können, wann wir wen brauchen und wie wir diese Person bezahlen. Es kann nicht hingenommen werden, dass der Staat die Verwaltung der Assistenz an sich zu ziehen versucht.
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Zur Person
Sascha Lang hat der woxx eine Biografie von 6 Seiten vorgelegt. Hier also nur ein Ausschnitt: Sascha Lang, 1975 in Luxemburg geboren, verheiratet und Vater von zwei Kindern, ist hauptberuflich Beamter im öffentlichen Dienst in Luxemburg. Seit über 20 Jahren beschäftigen ihn das Medium Radio und die Musik. Mit Tätigkeiten bei Sendern wie RTL Radio Luxembourg, Eldoradio und 100,7 sowie Antenne West in Trier hat er genug Erfahrung gesammelt. Für ihn muss Radio ein Erlebnis sein. Seit März 2011 ist er Pressesprecher der neu gegründeten Selbsthilfe Vereinigung „Nemme Mat Eis!“ für Menschen mit Behinderung in Luxemburg.
www.slangradio.de – www.inclusio-medien.de
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Siehe auch den Artikel „Sorry, no access!“