Obdachlose schlucken eben nicht alles. Die Initiativen einiger Bewohner des Foyer Ulysse haben in letzter Zeit für ziemlichen Rummel bei „Caritas Accueil et Solidarité“ sowie im Familienministerium gesorgt.
„Wir würden Herrn H. auch eine Wohnung und Arbeit organisieren, damit er aus dem Centre Ulysse und den Umständen der Obdachlosigkeit herauskommt“, so André Manderscheid, Commissaire de Gouvernement im Familienministerium. Was muss passiert sein, dass man sich auf ministerieller Ebene so engagiert um ein Einzelschicksal sorgt?
Eigentlich war es ein alltäglicher Vorgang: H., seit Jahresbeginn „sans domicile fixe“, war entsprechend der Luxemburger Gesetzgebung verpflichtet, eine „Domiciliation“ zu beantragen, auch um soziale Ansprüche geltend machen zu können. Dazu wurde H. beim Foyer Ulysse, das von Caritas Accueil et Solidarité“ (CAS) betrieben wird, vorstellig. Hier erhält ein Antragsteller eine Wohnbescheinigung nur, falls er gleichzeitig im Foyer eine Bleibe sucht und den vorgelegten Wohnvertrag unterzeichnet. „Dieser Wohnvertrag ist eine ‚erzwungene, illegale Vormundschaft'“, ärgert sich H. Die meisten Betroffenen würden diesen Wohnvertrag unterschreiben, weil sie auf die Bleibe angewiesen sind, so H., doch viele hätten ihn überhaupt nicht verstanden. „Wenn du diesen Vertrag unterschreibst, dann bist du gefangen in ihrem System. Du bist kein freier Mensch mehr – nicht nur was die Geldverwaltung betrifft. Ich habe es abgelehnt, diesen Vertrag zu unterschreiben“, sagt H. Schaut man sich den kritisierten Wohnvertrag an, entdeckt man etliche Grauzonen, die die Aussagen von H. zu belegen scheinen. Unter der Überschrift „Leistungen“, unter der optionelle Angebote des Centre Ulysse aufgelistet werden, steht wie beiläufig: „Obligatorische Verwaltung von CAS asbl der persönlichen Finanzen“. Zwar ist weiter unten im Wohnvertrag eine Staffelung von obligatorischer bis autonomer Geldverwaltung vorgesehen. Jedoch: „Wenn hier steht, eine autonome Verwaltung sei möglich, dann ist das nur dummes Gerede“, bekräftigt T., ein weiterer Ulysse-Bewohner, „Sie sagen, dass sie die Leute nicht abhängig machen wollen – aber genau das geschieht, indem sie dein Geld verwalten. Durch die Vormundschaft wird es für Caritas einfach leichter, das Foyer zu führen.“
Teure Sozialleistung
Im Wohnvertrag steht weiter, dass die Bewohner „zwei Drittel des Mindesteinkommens einer Einzelperson, 680 Euro ab Datum der Unterzeichnung“ überweisen sollen. 340 Euro seien Unkostenbeitrag für Kost und Logis. Der andere Teil des Einkommens kann „auf Entscheid der Direktion von CAS-asbl“ und „nach Absprache zur Verfügung gestellt werden für: Tilgung von Schulden, Finanzierung eines Wohnprojektes.“
„Caritas Accueil et Solidarité bezahlt hier deine Schulden zurück – egal welche das sind“, so H. Seine Kritik richte sich nicht dagegen, dass die Schulden überhaupt zurückgezahlt würden, sondern gegen die Unmündigkeit, in die die Leute teilweise gezwungen werden. Normalerweise könne jeder Mensch selbst entscheiden und Prioritäten setzen – auch die Gläubiger betreffend. Nicht so nach Unterzeichnung des Wohnvertrages: „Dann bist du ein Gefangener in ihrem System.“
Die Kritikpunkte von H. haben mittlerweile auch beim Familienministerium Gehör gefunden. So hat ein Treffen mit Caritas dazu geführt, dass der alte Wohnvertrag in Teilen verändert wurde: „Fortan sind die ersten dreißig Tage gratis, dann erst werden die 680 Euro fällig. Vorher wurden die Leute der ’strukture d’accueil‘ angehalten, sofort zu bezahlen, da viele Bewohner plötzlich abgetaucht sind. In den ’structures à long séjour‘ konnten die Bewohner entscheiden, ob sie per Dauerauftrag monatlich abrechnen wollen“, erklärt René Kneip, Chargé de Direction von Caritas Accueil et Solidarité.
Als entmündigend wird von einigen Ulysse-Bewohnern auch die gängige Praxis der Gutscheine angesehen. Anstatt den Leuten Geld zu geben, erhalten die meisten Bons, die vom eigenen Guthaben abgerechnet wurden. Auch wenn diese Handhabung bei ‚Süchtigen‘ eventuell angebracht erscheint, fühlen sich andere Betroffene mit über einen Kamm geschert. „Wenn du einen Gutschein von 30 Euro für den Frisör bezahlt hast und der Haarschnitt kostet nur 19 Euro, dann erhälst du die Differenz nicht zurück. Wohin geht das Geld?“, fragt sich H. Nicht nur in diesem Fall erscheinen den Bewohnern die finanziellen Praktiken undurchschaubar. Ein Betroffener erzählt, dass er im Foyer vier einzelne Tagestickets für den öffentlichen Transport für 20 Euro insgesamt gekauft habe. Im Bahnhof dagegen könne man für 20 Euro ein ‚Carnet‘ mit fünf Tickets beziehen. Einige Bewohner fühlen sich von Caritas finanziell über den Tisch gezogen. Auch der monatliche Kostenbeitrag sei zu hoch für die vorhandenen Leistungen: „Für 680 Euro, also rund 23 Euro pro Tag, hast du erst ab 19 Uhr Zugang zu deinem Zimmer, das du teilweise mit vier Anderen teilst. Und du kannst nur zu gewissen Zeiten essen“, sagt H. „Die Handhabung der einzelnen Fälle ist insgesamt einfach zu verwaltungstechnisch. Es wird nicht geschaut, wohin die jeweiligen Leute – Alkoholiker, Drogenabhängige oder Obdachlose – gelenkt werden können. Die im Wohnvertrag versprochene Hilfe zum ‚Wiederaufbau eines selbständigen Lebens außerhalb der Einrichtung‘, wird kaum geleistet. Die Leute sitzen über Jahre im Ulysse und später sitzen sie ewig in den ‚Réseau-Haiser‘.“
Ohne Perspektive
Auf Nachfrage von woxx, verweist Kneip darauf, dass Ulysse nur eine Eingangstür, eine Übergangsstruktur sei: „Das Foyer verfügt über 64 Betten, 600 bis 700 verschiedene Leute übernachten hier pro Jahr, ein Drittel der Bewohner pro Tag sind ‚Langzeitpatienten‘. Schwierig ist, dass die Betroffenen meistens drei bis vier Probleme gleichzeitig haben.“
Als Caritas-Verein sei man bemüht Alternativen zu finden, etwa Wohnungen anzumieten oder weitergehende Beschäftigungsstrukturen zu schaffen: „Wir fordern gegenüber dem Staat weitere Räumlichkeiten für betreutes Wohnen. Es müssten preislich erschwingliche Wohngelegenheiten in einem normalen Umfeld entstehen, wo die Leute nicht in einer Institution sind. Wir wünschen uns mehr Beschäftigungsmöglichkeiten. Bisher gibt es im Ulysse im wesentlichen nur d’Téistuff mit Essensvergabe und Aufenthaltsmöglichkeit. Für weitere Aktivitäten gibt es kein Personal.“ Acht ErzieherInnen und zwei-ein-halb Posten für SozialarbeiterInnen würden 64 Bewohner betreuen. „Wir drehen uns im Kreis. Bei vielen, die seit 4-6 Jahren auf der Straße sind, kann man den ersten Arbeitsmarkt vergessen. Einige können in Strukturen wie dem Eilerenger Wäschbuer, dem Atelier Valeriushaff beschäftigt werden. Es fehlen Pisten, um das Phänomen Obdachlosigkeit in den Griff zu bekommen. Das ist nicht möglich in einer großen Struktur wie dem Foyer“, so Kneip.
Aufgrund der auf der Kippe stehenden Wirtschaftslage sowie der wachsenden Arbeitslosenzahlen werden fortan sicher nicht weniger Menschen auf der Strasse landen. Welche Perspektiven gibt es für Betroffene – wo doch zur Zeit schon das Foyer Ulysse nur eine kleine Pannenhilfe leistet, auf dem Weg ins Nirgendwo?