In aller Stille wird das Lärmgesetz verabschiedet. Zu hoffen ist, dass durch das neue Gesetz nicht nur der Lärm verwaltet – sondern auch die Ruhe geschützt wird.
Vogelgezwitscher, Wasserplätschern, ein Kakaduruf vor gemächlich dahinklimpernder Pianomusik – so ertönt der telefonische Standby-Modus im Umweltministerium. Friedlich und paradiesisch wie das Umweltministerium sich mit dem Wartemodus gibt, werden auch gewisse Tagesgeschäfte in aller Stille abgewickelt – darunter nicht zuletzt das Gesetzesprojekt „relative à la lutte contre le bruit“.
Bei dieser Initiative handelt es sich um eine europäische Direktive, die Luxemburg – mittlerweile fast schon Europameister im verspäteten Hausaufgabenmachen – theoretisch bis zum 18. Juli 2006 verabschiedet haben sollte. „Das zu ratifizierende Gesetzesprojekt Nø5206 ist eine fast exakte Übertragung der europäischen Direktive“, stellt Brigitte Chillon, parlamentarische Mitarbeiterin in der Chamber, fest. Ziel der europäischen Direktive, die das bestehende luxemburgische Lärmgesetz von 1976 modifiziert, sind im wesentlichen drei Dinge: Zum einen soll eine EU-weite Harmonisierung der Messverfahren herbeigeführt werden, anhand welcher strategische Lärmkarten der Agglomerationen, des Straßen- und Schienenverkehrs sowie der Flugbewegungen entworfen werden. Zum anderen werden die so ermittelten Lärmzonen dazu benutzt, Aktionspläne zu erstellen. Schließlich soll die Öffentlichkeit informiert werden.
Dass diese europäische Direktive bisher nur in beschränktem Maße auf Luxemburg zutrifft, da sie auf Ballungsgebiete von 250.000 Bewohnern und auf Schienenachsen mit 60.000 Zugbewegungen pro Jahr ausgelegt ist, sei laut Brigitte Chillon kein Problem: „Es ist logisch, dass zunächst nur die großen Verursacher erfasst werden. Im Moment fällt Luxemburg mit den Straßen, dem Flughafen und einer kurzen Zugstrecke zwischen der Hauptstadt und Esch-Alzette unter die Direktive.“
Akustischer Abfall
Auch wenn die europäische Vorlage bislang weder Grenzwerte festschreibt noch erwähnt wie die zu erarbeitenden Aktionspläne konkret aussehen sollen: Der Gewinn des neuen Gesetzes liege darin, dass nun erstmals eine Lärmregistrierung auf nationaler Ebene erfolge, meint Claude Bellon von der Abteilung ‚Service protection contre le bruit‘ im Umweltministerium. „Neu ist außerdem, dass das Transportwesen miteinbezogen wird. Bislang gibt es in Luxemburg eine Lärmschutzregelung vor allem im Bereich von Unternehmen und Baustellen; bei eingereichten Klagen wird der Lärmpegel gemessen. Falls Privatleute Beschwerde einreichen, ist die Polizei oder die Gemeinde gefordert.“ Doch gefordert ist eigentlich auch die gesamte Gesellschaft, denn gerade der Lärm, verursacht durch Verkehr, Industrie und Freizeit, wird als eines der wichtigsten lokalen Umweltprobleme angesehen. Insgesamt wird geschätzt, dass etwa 25 Prozent der EU-Bevölkerung Lärmpegeln ausgesetzt sind, die als untragbar gelten: Lärm ist nicht nur lästig – er schränkt auch die Lebensqualität ein und gilt als gesundheitsschädigend. Lärm kann zu Hörschäden führen, stört den Schlaf, beeinträchtigt die Konzentration, verursacht Stress sowie Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Bislang wurde der Lärmbelastung in Luxemburg trotz steigender Verkehrsprobleme und einer dichter werdenden Besiedlung kaum umweltpolitische Priorität eingeräumt.
Allgemein wird davon ausgegangen, dass sich der Lärmpegel in den Großstädten seit den siebziger Jahren fast verdoppelt hat. Die Polizei braucht, um sich im Getöse der Städte Gehör zu verschaffen, Sirenen die bis zu vierzig Dezibel lauter sind als noch zu Anfang des Jahrhunderts. Und dies, obwohl die Geräuschemissionen von PKW und LKW sowie die Lärmschleppen der Flugzeuge enorm verringert wurden. Flüsterbelag, Schallwände, verkehrsberuhigte Zonen oder Vereine gegen fremdbestimmte Beschallung in öffentlichen Einrichtungen sowie ein ganzer Wirtschaftszweig, der sich der Stille und Entspannung widmet, haben nur Erleichterungen, aber keine Lösungen gebracht. Denn leisere Motoren werden durch den quantitativ zunehmenden Verkehr, die räumliche und zeitliche Ausdehnung des Verkehrs sowie durch zunehmende Freizeitaktivitäten kompensiert. Lärm entsteht eben sobald man sich bewegt. Viele, die über Verkehrslärm klagen, benutzen das eigene Auto. Insgesamt scheint die Gesellschaft vor einem Phänomen zu resignieren, das sie selbst im Rahmen der technisch-ökonomischen Aufrüstung permanent selbst erzeugt.
Wie Lärm empfunden wird hängt nicht nur von der Lautstärke, sondern auch von der Art des Lärms und der Einstellung der Betroffenen ab. „Der eigene Hund macht keinen Lärm, er bellt nur“, schon für Kurt Tucholsky galt die goldene Regel: Den Lärm machen immer die anderen. Somit wird es nicht einfach, eigene Interessen zu vereidigen, und manchmal arten die Streitigkeiten in absurden Diskussionen aus, wie etwa im Fall des Flughafens Findel. Als Argument für den Findel (und seine Lärmbelastung) spreche, dass der Flughafen schließlich vor den Bauerschließungsgebieten der umliegenden Gemeinden da gewesen sei.
Lärm findet kaum Gehör
Erst kürzlich hatten betroffene Anwohner im Rahmen eines europaweiten Aktionstages gegen Fluglärm auf die Folgeschäden aufmerksam gemacht. Ziel der Aktionen war, die Politiker an ihre moralische Verantwortung zu erinnern, sich nicht nur von ökonomischen Beweggründen vereinnahmen zu lassen, sondern auch zu versuchen, Grenzwerte einzuhalten: „Il est évident que personne ne conteste la nécessité d’un aéroport au Grand-Duché pour garantir son indépendance au niveau des liaisons commerciales internationales et comme moteur et facteur d’emplois (…) En même temps il faut rester conscient aussi des nuisances importantes que les activités aéroportuaires génèrent pour les riverains“, heißt es in einem Pressekommunikee. Mitunterzeichner ist auch Leopold E. Wagner, Vorsitzender des Interessensverbandes Fetschenhof-Cents. „Auch wenn der Flughafen ausgebaut wird und die Gewerkschaften sich auf die vielen Arbeiter berufen, gibt es akustische Grenzwerte, die eingehalten werden müssen. Die 60.000 Flugbewegungen pro Jahr dürfen nicht überschritten werden. Wichtig ist, dass die Beschränkungen für Nachtflüge erhalten bleiben – immerhin ertragen etwa 20.000 bis 30.000 Anwohner den Lärm in den Einflugschneisen“, so Wagner. Problematisch seien auch die Abgase der Maschinen und dass durch den Ausbau des Flughafens die Wahrscheinlichkeit eines Unfalls größer werde. Seit 2004 hätten Betroffene Einspruch gegen den Ausbau des Findels beim Verwaltungsgericht vorgelegt und Recht bekommen. „Der Bau der neue Aerogare findet in einem illegalen Rahmen statt. Nur im Nachhinein hat es ein Kommodoverfahren für Einzelobjekte gegeben“, ärgert sich Leopold E. Wagner. Auch habe bis vor kurzem kein Flächennutzungsplan vorgelegen. Wagner kritisiert die mangelnde Informationspolitik der Betreiber und der Regierung: „Die Leute werden hingehalten. Die Verwaltungen rücken keine Informationen heraus. Hier wird Geheimniskrämerei betrieben“, so Wagner. Auch nachdem sie Ombudsmann Fischbach eingeschaltet hätten, sei die Regierung zäh geblieben. Als Bürger könne man sich mehr schlecht als recht über die gemessenen Lärmpegel informieren. „Auf jedem modernen Flughafen ist es normal, dass die Lärmpegel auf den Flugschneisen gemessen werden. Wer Grenzwerte überschreitet erhält eine Verwarnung und eine Strafe. Die Lärmpegel sind teilweise über Internet einsehbar. Hier in Luxemburg passiert das nicht. Mit Ach und Krach werden die wenigen Messpunkte erhalten.“
Informationsnotstand
Auch Marks Hubert, Präsident des Interessenvereins Hamm-Pulvermuhl, beklagt die Salamitaktik des Findel beim Kommodoverfahren. Die Wirtschaftlichkeit sei beim Ausbau des Flughafens ausschlaggebend, die Anrainer dagegen würden übergangen. „Während im Ausland den Bürgern ein akustischer Schutz in Form von doppelter Fensterverglasung zugestanden wird, hat Luxemburg in dieser Hinsicht bis jetzt noch nichts unternommen“, meint Marks. Und dies gerade zu einer Zeit, wo der Lärm mit seinen Folgen nicht nur eine Randgruppe in Mitleidenschaft zieht. Leider fehlen der Politik meistens konkrete Konzepte. Auch sind die Lobbys gegen Nachtflugverbote, leisere Autos oder Geschwindigkeitsbeschränkungen mächtig, so dass es fragwürdig bleibt, ob die neue Lärmdirektive hier andere Maßstäbe setzen kann. „Die Lärmkarten der neuen Richtlinie sind eine gute Handlungsbasis – allerdings hängt es vom politischen Willen ab, inwiefern man sich im Bereich des Lärmschutzes in Zukunft eine bessere Disziplin auferlegen wird“, meint Brigitte Chillon.
Das Lärmgesetz fällt unter die Arhus-Konvention, die das Informationsrecht einklagbar macht. Auf jeden Fall wird es so für die Verwaltungen schwieriger werden, mit Informationen hinter den Berg zu halten.