NETZNEUTRALITÄT: Die guten ins Töpfchen?

Filtertechnologie ermöglicht es, Internet-Datenpakete selektiv zu behandeln. Doch wenn die Netzbetreiber bestimmte Inhalte bevorzugt behandeln, benachteiligen sie andere. Damit ist die Online-Freiheit auch in der westlichen Welt bedroht.

Ohne Netzneutralität droht das Internet, wie jetzt bereits das Fernsehen, von Medienkonzernen beherrscht zu werden. Zeichnung von Titom zur
De-facto-Zensur im
belgischen Fernsehen. (ILLU: TITOM – LICENCE CREATIVE COMMONS BY-NC-ND 2.0 BE)

Für das Internet gilt das Gleiche wie für andere neue Technologien: Manche sehen es als Hort des Bösen, andere preisen es als Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Dem Internet feindlich gesonnen sind auch autoritäre Regierungen, die entweder die Online-Bewegungsfreiheit stark einschränken oder ihren Bürgern den Zugang zum Netz grundsätzlich erschweren, wie der zweite Beitrag dieses Dossiers belegt. Welche neuen Möglichkeiten das Internet eröffnet, zeigt der dritte Beitrag über neue Formen der Erinnerungskultur. Voraussetzung für solcherart kreative Nutzungsformen ist allerdings die Freiheit ? für die Teilnehmenden genauso wie für die InitiatorInnen. Dazu gehört die Zugänglichkeit solcher Websites, also die Offenheit des Internet. Ein Bereich, in dem die sogenannte freie Welt vor allem aufgrund von kommerziellen Interessen dabei ist, Freiheiten stark einzuschränken.

Alle Pakete sind gleich …

Was seit Jahren international Thema ist, wird seit Anfang des Jahres auch in Luxemburg diskutiert. Im Anschluss an eine grüne „Interpellation“ zur Netzneutralität im vergangenen November bereitet die Medienkommission zurzeit eine parlamentarische Orientierungsdebatte zu diesem Thema vor. Dabei geht es darum, dass Internet-Dienstanbieter, also Anbieter von „Internet-Anschlüssen“ wie etwa die Post, bei der Datenübertragung alle „Pakete“ gleich behandeln. Auf einer tieferen technischen Ebene werden nämlich alle übers Internet gesendete Daten, egal ob E-Mail oder Video-Stream, in Internet-Protocol-Pakete zerlegt.

Ursprünglich sollte das Internet alle Pakete gleich behandeln, und die Qualität der Verbindung nur vom Übertragungsvolumen und der im Abonnement vorgesehenen Datenrate abhängen, nicht von Ursprung und Typ der übertragenen Daten. Ist diese Voraussetzung gegeben, kommt einerseits eine reine Text-Mail schneller an als eine mit Video-Anhang, andererseits lädt ein bildschirmfüllendes Werbefoto genauso schnell wie eine politische Karikatur. Es gibt allerdings technische Argumente dafür, von dieser Neutralität abzuweichen: Wenn man die Datenpakete entsprechend ihrem Inhalt behandelt, lässt sich gegebenenfalls die Übertragung optimieren. So ist bei einem Telefongespräch die Gleichzeitigkeit besonders wichtig, eine Videoübertragung dagegen kann ruhig verzögert beginnen, dafür muss die Datenrate konstant gehalten werden.

Doch den Kritikern der Netzneutralität – der Lobby der Netzbetreiber – geht es längst um mehr als um Optimierung. Zum einen lässt sich Geld verdienen, wenn man mit den Anbietern von Inhalten Verträge abschließen kann, zum Beispiel darüber, dass man ihre Video-on-Demand-Filme besonders schnell überträgt. Zum anderen lassen sich Inhalte der Konkurrenz ausbremsen oder gar blockieren. Bekanntestes Beispiel sind die Kundenverträge beim Internet-Mobilfunk, die eine Nutzung von „Voice over IP“, also Programmen wie Skype, untersagen.

Tote Skype-Leitung

Solche Vorgehensweisen bewegen sich derzeit in einer rechtlichen Grauzone. Einerseits bedrohen sie sowohl die Handels- als auch die Meinungsfreiheit. Andererseits hat sich die EU-Kommission bisher nicht dazu entschließen können, klare Regeln vorzugeben. 2009 wurde die Neufassung der Telekom-Richtlinie lediglich durch ein Bekenntnis zur Netzneutralität ergänzt – im Anhang, und damit unverbindlich. Ein neuer Bericht der europäischen Regulierungsbehörden scheint eher die Neutralitätsgegner zu stärken – zu denen auch die Auftraggeberin, die Digital-Agenda-Kommissarin Neelie Kroes, zählt. In der jüngsten Ausgabe der Computerzeitschrift „c`t“ wird ihr vorgeworfen, „Etikettenschwindel“ zu betreiben, weil sie sich öffentlich zur Netzneutralität bekenne, tatsächlich aber keine Regulierung anstrebe, sondern auf Markt und Konkurrenz setze.

In Luxemburg verläuft die Diskussion etwas anders, auch weil, wie Medienminister François Biltgen selber zugibt, Skype hierzulande ansässig ist. Es besteht ein breiter Konsens darüber, dass Netzneutralität zu den Fundamenten des Internet gehört. Sogar der größte Internetzugangs- und Mobilfunkbetreiber, die Post, hält sich mit Vorschlägen für eine Filterung der Inhalte zurück. Laut Regulierungsbehörde ILR gibt es derzeit auch kein Neutralitätsproblem bei den Luxemburger Netzzugängen. Bei der geplanten Orientierungsdebatte wird es darum gehen, ob gesetzliche Vorschriften erforderlich sind, und wenn ja, welche. Zur Debatte steht neben dem Prinzip der Netzneutralität zum Beispiel auch der Vorschlag von Claude Adam (Déi Gréng), einen „Service universel“ einzuführen, der einen Internetzugang „mit vernünftiger Bandbreite zu einem vernünftigen Preis“ garantiert – also eine Art sozialer Netzneutralität zu schaffen.

Die Debatte über die Netzneutralität ist bedeutsam, denn es geht um mehr als nur die Freiheit der Medien-Kosumenten. Die Entscheidung zwischen Regulierung und Laisser-faire beinhaltet auch die Frage nach der Natur des Internet: Ist es Spielfeld für kommerzielle Interessen oder öffentliches Gemeingut? Außerdem erinnert uns diese Diskussion daran, dass in der freien Welt längst nicht alles so frei ist, wie es scheint. Die Aufgabe des Prinzips Netzneutralität würde auch den „Feinden des Internet“, um die es im zweiten Beitrag geht, eine neue Rechtfertigung liefern. Wenn im Westen der Zugang zu Informationen aus schnöden kommerziellen Gründen eingeschränkt würde, dann erschiene die politisch begründete Zensur weniger skandalös.

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