Eines der letzten traditionellen Familiengeschäfte verlässt demnächst seinen Stammsitz und zieht um.
Verloren geht dabei die erzählende Kulisse einer anderen Zeit.
Wenn man an den gefliesten Eingangssäulen der Maison Lassner vorbei in die Haushaltswarenabteilung tritt, fällt einem gleich auf, dass hier noch der Geist einer anderen Zeit herrscht: Das Personal berät die Kundschaft in hellblauen Arbeitskitteln. Was noch auffällt: Die Waren sind herabgesetzt und mit handbemalten gelben Preisschildern versehen.
Schlängelt man sich an den Auslegtischen mit Küchenutensilien, den beleuchteten Regalen, bestückt mit Restbeständen floraler Porzellankollektionen sowie dem Kaffeeservice im Goetropa-Design vorbei, gelangt man zu einer schmalen Treppe. Die Stufen im Terrazzo-Stil führen zur ersten Etage – der Spielzeugabteilung – wo ein alter, knarrender Holzdielenboden den Kunden empfängt.
Ein großer verwinkelter Raum, die Wände ausgekleidet mit bombierten Glasvitrinen und Holztheken von anno dazumal, ein Geruch von hundert Jahren Betriebsamkeit und altem Mobiliar schaffen das Flair einer anderen Zeit. In den Regalen und Auslagen stapeln sich Puzzle- und Gesellschaftsspiele. Manche sind neueren Datums, manche stammen aus den Kindertagen der Eltern. Ein altes Werbeschild der Carrera-Rennbahn, urige Stofftiere und traditionelle Kasperlefiguren, eine Ecke für Märklin-Modellspielzeug-Liebhaber, alte Puppenhäuser neben modernen Dreirädern, Plastikdinos, Zirkusmaterial und vieles mehr sorgen dafür, dass sich der Besucher erstaunt die Augen reibt.
Wer verbindet nicht Kindheitserinnerungen mit dem ehrwürdigen Geschäft am Knuedler? Hatte nicht die eigene Großmutter sich hinreißen lassen, einen Miniaturnachttopf für den Kommunions-Setzkasten zu erwerben?
Die „Maison Lassner“ ist eine Institution – eigentlich nicht aus dem Stadtbild wegzudenken. Und doch sind ihre Tage mittlerweile gezählt: Anfang Februar wurde das Haus an zwei private Promoter verkauft, und bis September müssen alle Waren draußen sein.
Abschiednehmen von dem alten Familienbetrieb fällt schwer, etwa für Pierre Simonis, Mitinhaber des Ladens seit 1945. „Im Moment ist es mir nicht so zum Feiern“, so Simonis. „Es eilt langsam. Gerade richten wir uns im ehemaligen ‚CD-Buttek‘ in der rue de la reine neu ein, wo wir – auch aus Platzgründen – nur noch Spielsachen verkaufen wollen.“
Hundert Jahre Porzellan
Angefangen hat alles mit dem Urgroßvater Lassner, der aus Schlesien kam und als Kunstmaler in der Porzellanmanufaktur bei Villeroy & Boch gearbeitet hat. Zusammen mit der Urgroßmutter hat er um 1860 ein erstes Geschäft in der „Kinneginsgaas“ eröffnet. Nachdem um 1900 der Baugrund am Knuedler zum Verkauf anstand, hat die Familie zugegriffen und das jetzige Lassner-Haus errichtet, mit den grünen Fassadenkacheln und der floralen Steinornamentik im historischen Stil.
„Verkauft haben meine Urgroßeltern zuerst nur Porzellan. Dann haben sie Haushaltswaren dazugenommen. Damals war in der jetzigen Spielzeugabteilung das Lager des Geschäftes und zwei Etagen drüber waren die Wohnungen“, erinnert sich Pierre Simonis. „Damals hatte man zum Personal eher ein persönlicheres Verhältnis. Die Verkäufer-Innen haben in den Mansarden des Hauses gewohnt, welche von der Ausstattung her recht primitiv waren.“
Erst ab den dreißiger Jahren konnte man im Lassner-Haus auch Kinderspielzeug erwerben. Wie das mit den Spielwaren gekommen war, weiß Simonis nicht mehr; an den Krieg jedenfalls kann er sich erinnern. „Die Zeit im Krieg war nicht einfach“, erzählt Simonis. „Man versuchte das Personal zu halten, obwohl fast nichts da war, das man verkaufen konnte. Man bekam kaum Nachschub oder nicht viel und versuchte sich mit dem bisschen, was man bekommen konnte, über Wasser zu halten.“ Während des Krieges hätten seine Eltern viele Scherereien gehabt, auch seien sie ziemlich antideutsch gewesen. Sein Vater habe einige junge Männer im Warenlager versteckt gehalten. „Mein Bruder und ich waren als ‚enrôlé de force‘ die meiste Zeit des Krieges über nicht zuhause. Unsere Eltern wussten lange nicht, wo wir waren: Während ich in Frankreich als réfractaire war, wurde mein Bruder in Russland gefangen genommen.“
Unmittelbar nach dem Krieg habe Simonis im Laden der Eltern angefangen. Auf die Frage, ob seiner Meinung nach das Lassner-Geschäft eine eigene Philosophie habe, wiegelt Simonis ab: „Wenn man lange im Geschäft ist und ein Kunde sich freut, weil er das, was er gesucht hat, gefunden hat, dann stellt sich eine gewisse Genugtuung ein.“ Auch wenn die eigene Familie manchmal kritisiert, dass das Geschäft längst hätte renoviert werden sollen, würden ihm die meisten Kunden das nicht nachtragen: „Sie sagen: ‚Als ich klein war, war ich hier – jetzt bin erwachsen und komme mit den eigenen Kindern zurück.'“ Man könne halt nicht jeden zufrieden stellen, die Familie und die Kunden. „Wie heißt das Sprichwort: ‚On ne peut contenter tout le monde et son père.'“
Überdauerndes Provisorium
Jedoch kennt Simonis auch die andere Seite der Medaille, dass sich nämlich die Dinge sehr schnell ansammeln: „Besonders bei den Spielsachen, wo immer viel Neues auf den Markt kommt, können sich die Waren schnell stapeln“, so Simonis. „Durch das Fernsehen weiß jeder, was neu ist, und die Kunden wollen dann genau das, was ihre Kinder gerade im Fernsehen gesehen haben. Dann muss man als Verkäufer einerseits versuchen, so weit wie möglich diese Dinge zu haben. Andererseits muss alles verkauft werden. Wenn dann erst einmal Spielsachen im Lager landen, dann besteht die Gefahr, dass man sie aus den Augen verliert.“
Trotzdem glaubt Simonis nicht, dass die Zeit, aggressive Moden und Verkaufsstrategien einen negativen Einfluss gehabt haben. Ihm liege vor allem ein gutes Warenangebot am Herzen: „Man versucht immer die zeitgemäße Ware zu haben, die die Kunden haben wollen. Im Moment fehlt natürlich sehr viel, weil wir den Einkauf seit sechs Monaten gebremst haben. Was die aggressiven Moden anbelangt, die Aufmachung unseres Geschäftes, das sehen Sie ja selbst, da machen wir keine aggressiven Moden mit. Da sind wir eher auf das Traditionelle orientiert“, meint Pierre Simonis ironisch.
Dass sein Geschäft von seinem Erscheinungsbild her eine andere Zeit widerspiegelt, liege an einer ganzen Reihe von Umständen. „Ein Teil der Spielzeugabteilung wurde vor Jahren renoviert, dann wurde nichts mehr verändert. Man wollte abwarten … wie es manchmal geht: ‚Ce n’est que le provisoire qui dure‘. Auch wird es schwieriger, etwas zu verändern, wenn man sich erst einmal daran gewöhnt hat.“ Zumindest die alten Schauvitrinen sollen mitgenommen werden. „Es ist gerade ein schwieriger Moment,“ so Simonis, „weil man sich von vielem trennen muss.“
Auch die Mitarbeiter sollen teilweise übernommen werden. Die Frage, ob denn seiner Meinung nach in Familienbetrieben in Punkto Personal eher noch soziale Motive mitspielen, verneint Simonis. „Früher war das einmal so. Wenn ich heute jemanden einstelle, achte ich darauf, wie er ist und wie er arbeitet. Wenn jemand mit Schwierigkeiten zu mir kommt, versuche ich dem Rechnung zu tragen, so gut es geht. Aber ich suche jetzt niemanden mit Schwierigkeiten, um ihm zu helfen.“ Auch was das Alter der Verkäuferinnen betrifft, hätten sich die Zeiten geändert. „Früher wurden die Leute alt in ihrem Beruf – wirklich altes Personal haben wir heute kaum mehr. Von den Verkäuferinnen sind viele eher kurz da, weil sie nach ein paar Jahren lieber etwas anderes machen oder heiraten.“ Ein wichtiges Einstellungskriterium sei für ihn vor allem die Sprache gewesen: „Ich habe immer darauf gehalten, dass die Verkäuferinnen, die ich einstelle, egal woher sie kommen, Luxemburgisch reden, damit sie mit den Kunden längere Gespräch führen können.“
Zukunftsaussichten
Was nun mit dem alten Lassner-Haus geschehen soll, das weiß Simonis nicht. Er glaubt jedoch, dass zumindest die Fassade des Hauses unter Denkmalschutz steht.
Auch bleibt der Betrieb nach dem Umzug gewissermaßen in Familienhänden: „Im Prinzip gehört die Gesellschaft meinen Kindern. Da aber jeder eine eigene Arbeit hat, sind sie nicht selbst im Geschäft drin.“ Das neue Geschäft sei keine direkte Weiterführung der Maison Lassner, obwohl die alten Kunden übernommen werden sollen. „Insgesamt muss der Kunde urteilen.“
Zwischen dem Verlassen der alten Familien- und Betriebsgemäuer und dem nun anstehenden Neubeginn gibt sich Pierre Simonis eher verhalten: „Ich bin weder Optimist noch Pessimist, was Zukunftsaussichten betrifft. Mit dem einen betrügt man sich selbst und mit dem anderen macht man sich krank. Man muss sehen, wo aktuelle Schwierigkeiten liegen. Alles andere ist reines Ablenkungsmanöver.“