Im europäischen Multi-Kulti-Musterland fehlen immer noch Konzepte für eine gezielte Immigrationspolitik. Der Conseil économique et social machte diese Woche zaghafte Vorschläge – jedoch ohne neue Visionen zu entwickeln.

„Betruechte mer also wann ech gelift, haut wéi gëschter, d’Migratioun als eppes fundamental Positives, als eng Beräicherung an net nemmen als eng Noutléisung, wann et mol zoufällesch net genuch Letzebuerger méi géif“. Für den LSAP-Abgeordneten Ben Fayot war der Bericht, den die Spezialkommission „Immigration“ vor zwei Jahren in der Chamber vorstellte, „am Fong gehol e bëssen enk gerëppt“. Die darin beschriebene Immigrationspolitik zentriere sich nahezu ausschließlich auf die Bedürfnisse der Wirtschaft.
Zwei Jahre später sehen die Luxemburger Visionen für eine moderne Immigrationspolitik nicht viel anders aus. Und dafür, dass Fayots Parteikollege, der für die Immigration zuständige Minister Nicolas Schmit, die anstehende Reform des Immigrationsgesetzes von 1972 anders angehen wird, gibt es bislang wenig Anhaltspunkte. Überzeugen konnte man sich davon am Mittwoch, als der von ihm angefragte Avis des „Conseil économique et social“ (CES) vorgestellt wurde. In der Immigration sehe man in erster Linie einen „apport de main dºoeuvre“ für Luxemburg, stellte Raymond Hencks, Präsident des CES gleich am Anfang klar, als er der Presse den Bericht im Beisein des delegierten Außenministers Nicolas Schmit präsentierte. Ein Apport, der deswegen notwendig ist, weil es nicht genug LuxemburgerInnen gibt. Also doch: Migration als Notlösung für die bedürftige Luxemburger Wirtschaft.
Über 30 Seiten lang spricht sich das Gremium, in dem neben dem Patronat auch Gewerkschaften und öffentliche Hand vertreten sind, deshalb für eine aktive Immigrations- und Integrationspolitik aus – und beschränkt seine konkreten Vorschläge dabei vor allem auf eine Vereinfachung der Prozeduren bei der Vergabe der Arbeitserlaubnisse.
Bevorzugt gesucht: kulturell Nahestehende
Dass Handlungsbedarf besteht, zeigen unter anderem die demografischen Projektionen des Statec. „In Luxemburg verläuft die Entwicklung im Vergleich zu den Nachbarstaaten bislang umgekehrt“, sagt Jean Langers, Conseiller économique beim Statec gegenüber der woxx. Während die Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter in diesen Ländern abnimmt, ist bei den Arbeitnehmern in Luxemburg das Gegenteil der Fall. Schuld daran ist die in den vergangenen Jahren ständig steigende Zahl der GrenzgängerInnen. Dem CES präsentierte Langers seine in diesem Monat veröffentlichte Studie über den „demografischen Wandel in Luxemburg und Europa“. Darin rechnet er verschiedene Zukunfts-Szenarien vor. Im Jahr 2055 könnten demnach bei einem Wirtschaftswachstum von drei Prozent in Luxemburg nahezu 320.000 ausländische Arbeitskräfte gebraucht werden.
Angesichts der zu erwartenden Entwicklungen in der Großregion und in der Europäischen Union müsse sich Luxemburg darauf vorbereiten, mehr und mehr nicht-europäische Immigranten aufzunehmen, die zunehmend von weiter weg kommen und deren Ethnie, Religion und Kultur „très différentes de celles de la population autochtone“ sein werden, so der CES in seinem Avis. Luxemburg sei bekannt als eine offene und tolerante Gesellschaft – allerdings setzt der CES, so Raymond Hencks, hier einen „bémol“ drauf: In der Bevölkerung habe das positive Bild des Migranten in den vergangenen Jahren gelitten. Illegale Immigration und Angst vor Kriminalität hätten unter anderem dazu beigetragen. Im Avis spricht der CES gar von einer „peur de la ‚Überfremdung‘ par d’autres cultures“. Zweifelhaftes Fazit des CES: Luxemburg sollte „dans lºintérêt dºune intégration plus facile“ eine Immigration fördern, „en provenance de pays culturellement proches du nôtre“.
Ob nun die ebenfalls von der CES erwähnte „peur de ne plus être compris dans leur langue“ der LuxemburgerInnen tatsächlich in den vergangenen Jahren zugenommen hat, ließe sich kaum messen, sagt Fernand Fehlen, Chargé de Cours an der Uni Luxemburg, der vom CES zum Thema soziale Kohäsion gehört worden war. Trotz des wirtschaftlichen Booms gebe es LuxemburgerInnen, die nicht vom Wohlstand profitieren würden und für die der Rückzug auf die Luxemburger Identität einen gewissen Reiz darstelle. „Die Sprache wird dann als Barriere gegen ausländische Konkurrenz benutzt“, so Fehlen. In den vergangenen 20 Jahren habe sich die Sprachensituation in Luxemburg stark verändert. Fehlen plädiert deshalb für eine offensive Sprachenpolitik, die sich sowohl das Erlernen des Luxemburgischen für AusländerInnen wie auch die Förderung der Mehrsprachlichkeit der LuxemburgerInnen zum Ziel setzt. „Die Reform des Sprachenregimes in der Schule ist ein guter Anfang“, sagt Fehlen, „das Angebot der Sprachkurse für Ausländer müsste jedoch ebenfalls verbessert werden.“
Eine Forderung, die der CES im letzten Kapitel „pour une politique d’intégration active“ zurückbehält. Konkret werden neben einer Reform des Sprachenregimes in den Schulen unter anderem die Einführung eines Integrations-Kits mit praktischen Infos für den Einwanderer vorgeschlagen.
Permis unique als konkreteste Vision
Abseits davon überwiegen beim CES Reformvorschläge, die vor allem auf eine Erleichterung der langwierigen und nicht sehr transparenten Prozeduren bei der Vergabe der Permis de Travail für diejenigen, die nicht aus den 15 alten EU-Staaten kommen, abzielen. Zwar betreffen diese Erlaubnisse nicht einmal zehn Prozent der arbeitenden Bevölkerung – dennoch sind sie je nach Branche ein nicht zu vernachlässigender Faktor. Laut Rapport dºactivité des Arbeitsministeriums wurden im Jahr 2004 über 4.000 Arbeitserlaubnisse ausgegeben. Die meisten der Antragsteller kamen aus Afrika oder Osteuropa. Dass insgesamt nur 545 Anträge abgelehnt wurden, liegt vor allem daran, dass nur der Arbeitgeber einen Permis beantragen kann und somit eine vorhandene Arbeitsstelle garantiert ist. Die Vergabe des ebenfalls notwendigen Permis de séjour hängt vom Erhalt des Permis de travail ab – beide Prozeduren sollten laut CES zusammengelegt und schneller als bisher abgewickelt werden. Zudem sollte eine Verlängerung des dann geltenden Permis unique auch vom Arbeitssuchenden und nicht einzig und allein vom Arbeitgeber beantragt werden können.
Die Vergabe der Permis sollte transparenter werden, so der CES, der entsprechende Vorgaben im reformierten Immigrationgesetz eingefügt wissen will. Vor allem die Gewerkschaften, die ebenfalls im CES vertreten sind, pochen auf diesen Punkt. Bei der Vorstellung des Avis war im Übrigen kein Syndikatsvertreter präsent. „Aus Zeitgründen“, sagt André Roeltgen vom OGBL, „wir stehen jedoch voll und ganz hinter dem Avis und haben konkrete Kriterien ausgearbeitet, um die Vergabe der Permis einzugrenzen.“ Vor allem der Rückgriff auf billige Arbeitskräfte statt der Schaffung langfristiger Arbeitsplätze sollte verhindert werden, so Roeltgen. Die im Text zurückbehaltenen Kriterien lesen sich jedoch eher wie eine Wunschliste der Arbeitgeber auf der Suche nach spezialisierten Arbeitskräften für bestimmte Projekte.
Dafür, dass vor allem Flexibilität und weniger Transparenz im reformierten Immigrationsgesetz groß geschrieben wird, sprechen auch die Reaktionen des Ministers auf den Avis des CES. Besonders die Anmerkungen zum permis de travail habe er sehr aufmerksam gelesen. Man werde sehen, was davon für die Reform, die laut Schmit bis 2008 vollzogen sein soll, zurückbehalten wird. Permis unique? – „Dat schengt mer eng gudd Piste ze sin“, war die konkreteste Äußerung, die dem Minister zu entlocken war.
Wirtschaft definiert Immigration
Zwischen den Zeilen war jedoch eine Stoßrichtung herauszuhören, die auf eine gewisse Kontinuität der Luxemburger Immigrationspolitik deutet: Wer nach Luxemburg kommen will, muss zunächst eine Basis für seinen Lebensunterhalt haben. Mit anderen Worten – nur wer Arbeit hat, darf bleiben. Das entspricht dem aktuellen Konzept. Ob permis de travail oder de séjour – auch künftig werde dieses kostbare Dokument an die Aussicht auf einen Arbeitsplatz gebunden sein. Die Flexibilität richte sich nach den Bedürfnissen der Wirtschaft. „Daraus ergibt sich dann die Definition der Immigrationspolitik“, stellt Schmit klar. Die Idee von Quoten befürworte er nicht unbedingt, allerdings müsse man überlegen, ob man nicht privilegierte Beziehungen mit bestimmten Ländern aufnehmen soll. Als Beispiel könne er sich den Balkan vorstellen.
Zudem versprach Schmit einmal mehr, was schon seit Jahrzehnten im Gespräch ist: Künftig wolle man eine gezieltere Integrationspolitik machen. Auf diese Notwendigkeit weist unter anderem die ASTI seit Jahren hin. „Die Permis de travail betreffen nur einen Bruchteil der ausländischen Arbeitnehmer“, sagt Serge Kollwelter von der ASTI. „Wir müssen uns verstärkt um die Integration der EU-Ausländer kümmern, die längst hier leben.“ Im Immigrationsministerium scheint dieses Feld jedoch noch Neuland zu sein. Für Integration ist in der Regierung bislang die Familienministerin zuständig. In der von ihr einberufenen informellen Arbeitsgruppe ist kein Mitglied des Immigrationsministeriums vertreten.