PIRATEN AUF KURS: Backbord?

Die recht junge Piratenpartei diskutiert noch immer über ihre programmatische Ausrichtung. Die Mischung aus neuen Ideen, Radikalität und Pragmatismus sorgt für interessante Denkanstöße.

„Sozialliberal“ will sie sein, die Piratenpartei – doch eines macht sie anders als die drei bis vier bereits im Parlament vertretenen sozialliberalen Parteien: Sie versucht nicht, es allen recht zu machen. Bestes Beispiel dafür ist der Antrag zur „Abschaffung der Herrschaftsprivilegien“, der auf dem Programm-Kongress am 27. Oktober angenommen wurde. Ziel ist, im Namen der Demokratie die Befugnisse des Großherzogs auf rein repräsentative Aufgaben zu reduzieren.

Auch in anderen gesellschaftspolitischen Fragen positionieren sich die lila Partei klar links von der Mitte. Zum Thema „Freie Selbstbestimmung und Familienförderung“ heißt es: „Auch gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften müssen Kinder bekommen, adoptieren und aufziehen dürfen.“ Abtreibung sollte nach Piratenmeinung gänzlich freigestellt werden; das geltende Gesetz, „welches klar katholische Werte vertritt“, sei daher stärker abzuändern als derzeit vorgesehen. Gegen Diskriminierung und Ausschluss schließlich führen die Piraten das Prinzip „Inklusion“ ins Feld, womit gemeint ist: Menschen muss die Teilnahme an der Gesellschaft ermöglicht werden, ohne dass ihnen unter dem Deckmantel der „Integration“ eine „Zwangsvereinheitlichung“ aufgezwungen wird.

In sozialpolitischen Fragen dagegen wird der neuen Partei oft Wirtschaftsliberalismus nachgesagt. In der Tat, die Piraten geben sich wirtschafts- und unternehmensfreundlich. So wollen sie zur Stärkung des Standorts Luxemburg „auf den verstärkten Einsatz von kleineren Unternehmen, die eine dezentrale Produktion betreiben“ setzen. Auch der Index soll gekappt werden, mit einer – allerdings nicht völlig unsozialen – Höchsttranche ab dem dreifachen Mindestlohn. Die Begründung dafür, nämlich dass der Index für die höheren Gehälter eine „extreme Gehaltsaufbesserung“ darstelle, nicht bloß einen Inflationsausgleich, zeigt, dass die wirtschaftspolitischen Grundlagen bei den Piraten auch nicht solider sind als bei den etablierten Parteien.

Dennoch, in sozialer und ökologischer Hinsicht setzt das Programm Zeichen. Staatliche Konjunkturprogramme werden durchaus befürwortet, die Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel soll kostenfrei sein. Für die letztere Reform wird eine Gegenfinanzierung vorgeschlagen, für die überwiegend der Autoverkehr steuerlich aufkommen soll. Grundsätzlich soll die Nutzung von natürlichen Ressourcen besteuert werden. Erfrischend neu sind die Überlegungen zum Strukturwandel: „Die Auflösung traditioneller Beschäftigungsverhältnisse und die Herausbildung neuer hybrider Formen zwischen abhängiger Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit erfordern eine grundlegende Reform des Sozialstaates.“ Hierbei setzen die Piraten auf die Idee des Grundeinkommens.

Das Dilemma der Linken, die im Namen des Individuums für Emanzipation eintritt, im Namen des Gemeinwohls jedoch die liberale Ideologie des Individualismus bekämpft, spiegelt sich im lilafarbenen wirtschaftspolitischen Programm wieder. Man betont „die Verantwortung [eines jeden] für sich selbst“, will den Menschen aber nicht als reinen „homo oeconomicus“ verstanden wissen. Interessant sind Forderungen, wie die nach der Freiheit, „neue Erwerbsentwürfe“ für sich zu definieren, und nach der Beschränkung des Staates auf „die notwendigen Eingriffe“. Für undogmatische Linke sind das willkommene Anstöße, über das Emanzipationspotenzial der wirtschaftlichen Freiheiten und über die Grenzen der Staatsgläubigkeit nachzudenken und zu diskutieren.

In manchen Fragen übernimmt die Piratenpartei allerdings recht unkritisch die liberale Mainstream-Diskurse. So sollen „über eine ausgewogene Geld- und Preispolitik die Verbraucher und Sparer geschützt werden“ – was dem Dogma der EZB von der Inflationsbekämpfung als oberstem Ziel – entspricht. Auch lässt die Forderung nach einer staatlichen Regulierung derjenigen Märkte, „die grundsätzliche Leistungen darstellen“, kaum Raum für die traditionelle Idee einer Daseinsvorsorge in öffentlicher Hand. Und schließlich: Das Positionspapier zum Bankgeheimnis, das sich „klar gegen jedweden automatischen oder systematischen Austausch von Bankdaten? ausspricht, liest sich, als sei es von der ABBL verfasst. In Zeiten, in denen nicht nur in den Ländern des Südens, sondern sogar innerhalb Europas der von den Piraten befürwortete „soziale Ausgleich“ durch Steuerflucht massiv behindert wird, steht eine solche Positionierung einer fortschrittlichen Partei, und sei sie auch nur „sozialliberal“, schlecht zu Gesicht.


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