KLIMAWANDEL: Zwei Grad zu viel!

Die Erderwärmung schreitet voran. Zwar wird weiter darüber verhandelt, wie man sie stoppen kann, doch Lösungen zeichnen sich nicht ab. Wird es Zeit für eine radikale Wende, oder sollte man sich auf das Unvermeidliche vorbereiten?

Klimaschutz ist
kein Win-win-Unternehmen, sondern eine Art Spiel,
das die gesamte Menschheit gegen den Teufel spielt.

Es gibt eine beruhigende Botschaft, sie lautet so: Am 26. November beginnt die 18. Welt-Klimakonferenz. Bis zum Jahre 2015 verständigt sich die Welt auf eine neue Klima-Rahmenkonvention. Dank ihrer wird dann ab 2020 der globale CO2-Ausstoß langsam aber sicher zurückgehen, sodass die Erderwärmung unter den als kritisch erachteten zwei Grad bleibt. ? Das ist die Botschaft, die man uns ab kommender Woche wieder wieder verkünden wird. Aber immer weniger Experten glauben noch an sie.

Ihren Zweifeln ist der Zeit-Journalist Frank Drieschner Mitte Oktober in einem aufsehenerregenden Beitrag nachgegangen. Er wundert sich, dass „die angeblich alarmistische und politisch infiltrierte Klimaforschung ihre beunruhigendsten Erkenntnisse für sich behält“. Denn selbst wenn man in den Industrieländern eine Energiewende hinbekäme und die Schwellenländer auf diesen Entwicklungspfad einschwenken würden, müsste man mit einem Temperaturanstieg um vier, nicht zwei, Grad rechnen. Drieschner zeichnet die Perspektive einer Welt, die „gefährlicher, unwirtlicher, lebensfeindlicher werden wird, als sie es in der gesamten Menschheitsgeschichte je war“. Und fordert von den Klimaschützern, nicht weiter „aus Gründen politischer Korrektheit an einem Ziel festzuhalten, das sie schon darum nicht glaubhaft vertreten können, weil sie selbst längst nicht mehr daran glauben“.

Nicht minder aufrüttelnd ist der jüngste Bericht an den Club of Rome. Wurde vor 40 Jahren im ersten Bericht von den „Grenzen des Wachstums“ im Allgemeinen gewarnt, so liegt der Fokus nun auf dem Anstieg der CO2-Emissionen und der Notwendigkeit politischer Weitsicht. „Wir müssen eine Lösung für die extreme Kurzsichtigkeit im Kapitalismus und in der Demokratie finden“, mahnt Jorgen Randers, Herausgeber des Berichts. Dabei seien die Europäische Union und die chinesische KP noch vergleichsweise erfolgreich gewesen – wohl, weil „beide nicht so direkt der demokratischen Kontrolle unterstehen wie die meisten Politiker“. Als vor 20 Jahren in der Folge der ersten Rio-Konferenz die Diskussion um Nachhaltigkeit und Klimaschutz begann, sah es so aus, als ob die Wissenschaft die Politik nur überzeugen müsse, damit diese sich bereit findet, die – technisch lösbaren – Probleme in Angriff zu nehmen. Mittlerweile sind es nicht mehr die Politiker, die den Wissenschaftlern misstrauen, sondern es verhält sich umgekehrt: Von Panik ergriffen angesichts des Scheiterns der Klimapolitik, sympathisieren wohl immer mehr Forscher mit dem Rekurs auf einen, wie es Randers formulierte, „wohlwollenden Diktator“, um die Welt zu retten.

Nix passiert

Dass die 18. Klimakonferenz in Doha stattfindet, wird sicherlich in den kommenden Wochen ausgiebig kommentiert werden. Nicht nur in Luxemburg hat sich das Image Katars gewandelt: Stand der Kleinstaat noch vor kurzem für einen modernen und weltoffenen Islam, so gilt er mittlerweile als finanzkapitalistische „Heuschrecke“ und Drahtzieher des triumphierenden Islamismus. Was weniger thematisiert werden wird, ist seine energiepolitische Ausrichtung: Das Land steht nicht nur für ungebremste Öl- und Gasförderung, sondern hat jüngst den Einstieg in die Atomenergie vollzogen. Doch da derzeit die Politik der großen Staaten kaum eine andere ist, ist das wohl keine Schlagzeile wert.

Seit der Konferenz in Kopenhagen 2009 befindet sich die weltweite Klimapolitik in der Sackgasse. Damals gab es statt des theoretisch geplanten Kyoto-2-Abkommens lediglich einen – formalen – Konsens über das Zwei-Grad-Ziel, der im Nachhinein als Erfolg verkauft wurde. Die Frage, wie dieses Ziel zu erreichen sei, wurde weder auf den beiden Nachfolgekonferenzen noch im vergangenen Sommer beim Rio+20-Gipfel beantwortet. Letzterer war von Linken als Riesen-PR-Veranstaltung für Ökokapitalismus kritisiert worden, doch am Ende entpuppte er sich als Non-Event.

In Doha tritt zwar ein im Amt bestätigter amerikanischer Präsident und eine neue chinesische Führungsspitze an. Doch dass die beiden größten CO2-Emittenten eine Wende in der Klimapolitik herbeiführen werden, ist unwahrscheinlich. Zu groß ist das Misstrauen Chinas gegenüber der westlichen Interessenpolitik, zu schwach andererseits die innenpolitische Position Barack Obamas, als dass sich beide auf die einschneidenden Klimaschutzziele verständigen könnten, die ihrer historischen Schuld und ihrem Wachstumspotenzial entsprechen. Bleibt die Staatengemeinschaft bei den derzeit vorliegenden, freiwilligen CO2-Reduktionszielen, so ist eine Überschreitung des Zwei-Grad-Ziels unvermeidlich – eine Perspektive, die das Ende der klimapolitischen Zusammenarbeit bedeuten könnte.

Was tun? Die Antworten von Klimaforschern und Umweltpolitikern variieren, je nachdem, ob sie das Problem als ein technisches, wirtschaftliches oder politisches angehen.

Man müsse Kohle und Erdöl durch eine CO2-ärmere Energieform ersetzen, lautet eine der Formeln für eine technische Lösung des Klimaproblems. Je nachdem, welche Lobby gerade spricht, geht es dabei um Kernfusion, Atomenergie oder Erdgas. Letzteres stellt tatsächlich eine „Brückentechnologie“ dar, die hilft, die Zeit bis zum Erreichen eines niedrigen, weitgehend auf erneuerbare Quellen zurückgreifenden Energieverbrauchs zu überbrücken. Sie kann diese Umstellung aber nicht ersetzen.

Wunderlösungen

Ein anderes beliebtes Modell – CO2-bindende Energiepflanzen anbauen und das bei der Verbrennung entstehende Treibhausgas unterirdisch speichern – stößt nicht nur an technische, sondern auch an politische Grenzen: Schon jetzt werden die Anbauflächen für Nahrungsmittel knapp, und das Landgrabbing durch Industrie- und Schwellenländer gefährdet das Überleben von Millionen Menschen. Und allgemein gilt: Was auch immer sich als technisch machbar erweisen wird, wird mit Sicherheit hohe Kosten verursachen. Das macht die Senkung des CO2-Ausstoßes umso attraktiver.

Die Erderwärmung durch den Kostenfaktor, also über einen ökonomischen Mechanismus, in den Griff zu bekommen, ist keine neue Idee. Im Rahmen des Kyoto-Abkommens wurden mehrere Emissionshandelssysteme ins Leben gerufen – an deren Wirksamkeit es allerdings erhebliche Zweifel gibt. So wurde kürzlich bekannt, dass in Luxemburg die den Unternehmen zustehenden Emissionsrechte um über zehn Prozent überschätzt wurden – eine Überallokation, die diese auf der CO2-Börse verkaufen konnten.

Auch die Hoffnung, dass die unklare Zukunft fossiler Energieträger die Konzerne ermutigen werde, auf erneuerbare Energien umzusteigen, hat sich nicht erfüllt. Zwar hat sich BP vor zehn Jahren werbewirksam in „Beyond Petroleum“ umbenannt, doch ist der Konzern mittlerweile wieder aus der Herstellung von Solarzellen ausgestiegen – und konzentriert sich auf sein viel profitableres „Core Business“. Und was die Zukunftsvisionen angeht: Das Schmelzen der Eiskappe am Nordpol ist für Energiekonzerne und Börsenexperten keineswegs eine abschreckende Perspektive: Denn dadurch werden dort neue Öl- und Gasvorkommen erschließbar, über deren Ausbeutung bereits jetzt verhandelt wird.

Glokal handeln

Diese Haltung der Ölindustrie hat Bill McKibben, einer der namhaftesten US-Umweltschützer, bereits im August im Magazin Rolling Stone angeprangert. Die Erderwärmung auf zwei Grad zu begrenzen, hält auch er für schwierig und zitiert Fatih Birol von der Internationalen Energieagentur: „Die aktuelle Tendenz passt perfekt zu einem Temperaturanstieg von etwa sechs Grad.“ In McKibbens Augen sind die nachgewiesene Vorkommen an Öl, Gas und Kohle der Energiekonzerne das Hauptproblem: Sie enthalten fünfmal mehr CO2, als die Menschheit bis 2050 noch in die Atmosphäre blasen darf. Von diesen Reserven hängt aber der Aktienkurs der Konzerne ab, und ein effektives Klimaabkommen mit einem Verbot ihrer mittelfristigen Nutzung würde eine gewaltige Spekulationsblase zum Platzen bringen. Verständlich, dass sich die Industrie wehrt und alles tut, um die Nachfrage nach fossilen Brennstoffen nicht abflauen zu lassen.

Hieraus leitet McKibben seine Strategie ab: Er will die Ölindustrie zum Feind der Menschheit erklären und ihr auf den Pelz rücken. Er erinnert an den Erfolg der Anti-Apartheid-Kampagnen vor 30 Jahren, als dazu aufgerufen wurde, alle Investitionen in Unternehmen mit Beziehungen zu Südafrika zu unterlassen. Wenn erst der politische Einfluss der Öl-Lobby gebrochen sei, könne man den entscheidenden Schritt vollziehen: den Preis fossiler Energie durch eine angemessene CO2-Taxe oder vergleichbare Maßnahmen so weit erhöhen, dass der Klimawandel gestoppt
wird.

In der Tat, McKibben hat den Akteur benannt, der eine wirksame Klimapolitik in den USA und in den Industrieländern verhindert. Würden die Konzerne gezwungen, endlich die negativen Auswirkungen der CO2-Emissionen in ihr Geschäftsmodell einfließen lassen, wäre eine substanzielle Senkung dieser Emissionen leichter zu erreichen. Wie andere ökonomische Lösungsansätze blendet aber auch dieser die Verteilungsfrage aus: Wenn sich Energie massiv verteuert, werden sich viele diese nicht mehr leisten können. Ein Agrokraftstoff-Boom zum Beispiel würde die Nahrungsmittel für viele Menschen unerschwinglich machen. Wenn der Lebensstandard zum Teil durch den Einsatz neuer Technologien gehalten werden kann ? wer sichert sich die Patente für sie? Die Länder Asiens und Afrikas werden nicht in einen Klima-Deal einwilligen, der zwar die Erderwärmung stoppt, aber ihre Entwicklungsperspektiven zu torpedieren droht.

Für einen Ausweg aus dem Klima-Notstand ist der Rückgriff auf wirtschaftliche Mechanismen unumgänglich. Technische Ansätze sind eine willkommene Erleichterung, doch das Fundament kann nur eine politische Lösung bilden. Klar ist, dass eine politische Herangehensweise andere globale Probleme berücksichtigen kann und dies auch muss: Schutz der Biosphäre, nachhaltige Entwicklung, soziale Gerechtigkeit, Umverteilung des Reichtums und Aufwertung von Gemeingütern. Ob eine solche Lösung im Rahmen des 1992 in Rio begonnenen Prozesses einer weltweiten Umweltdiplomatie erarbeitet werden kann, ist allerdings sehr umstritten.

Manche, wie der Globalisierungskritiker Ulrich Brand, warnen immer wieder vor dem „Mythos des globalen Umweltmanagements“ (Interview woxx 1146). Dieser Top-Down-Ansatz sei bisher kontraproduktiv gewesen: „Die Suche nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner auf internationaler Ebene verhindert nur, dass lokal gehandelt wird.“ Besser sei, „in unseren Ländern bei der Produktions- und Lebensweise anzusetzen, eine Vorreiterrolle einzunehmen“, statt auf ein internationales Abkommen zu warten.

Einfach aufgeben?

Dass Brand die internationale Kooperation nicht völlig abschreibt, liegt wohl auch daran, dass er dem Win-win-Diskurs misstraut. Auch wenn Europa Vorreiter würde und daraus ? dank des Technologievorsprungs – punktuell ökonomischen Nutzen zöge, wären Verteilungskämpfe, wie die um Energie, Atmosphäre und Rohstoffe damit nicht aus der Welt geschafft. Freiwilligkeit allein reicht nicht aus, und früher oder später sind internationale Abkommen vonnöten, um auf eine gerechte Weise den Klimawandel zu stoppen.

Radikalere Kritiker merken an, dass es die Zerstörungskraft des Kapitalismus ist, welche die Biosphäre bedroht. Daraus folgt, dass wir zuerst aus diesem System aussteigen müssen, bevor wir die Erderwärmung wirksam bekämpfen können. Und da ein Ausstieg wohl kaum das Ergebnis internationaler Verhandlungen sein wird, bliebe nur noch die Wahl zwischen Weltrevolution und Untergang …

Man könnte diesem Szenario Einiges abgewinnen, wenn die Zeit dafür reichte. Fakt ist, dass die meisten Wissenschaftler die Anhäufung von Wetterkatastrophen in den vergangenen Jahren als Folge der bereits erfolgten Erderwärmung um etwa ein Grad deuten. Kommt es nicht zu einer kurzfristigen Stabilisierung der CO2-Emissionen, wird die Menschheit als Ganzes ein für Klimatologen und Geophysiker sehr interessantes Experiment einleiten – und nachträglich beweisen, dass die „Klimaskeptiker“ unrecht hatten.

Wenn aber die Bekämpfung der Klimakatastrophe in einer Sackgasse steckt, wenn zwei Grad nicht mehr zu schaffen sind, wäre dann nicht die richtige Lösung, uns mit unseren Maßnahmen auf das Unvermeidliche und seine Folgen einzustellen? Dies ist der Schluss, den manche Experten und Politiker aus pessimistischen Einschätzungen wie den hier angeführten ziehen. Doch es ist ein Trugschluss: Der technologische Entwicklungsstand der Menschheit hat sie keineswegs von den natürlichen Lebensgrundlagen unabhängig gemacht. Ändern sich diese drastisch, so ist eine Anpassung sehr schwierig und mit unkalkulierbaren wirtschaftlichen und sozialen Kosten verbunden. Auch weiß niemand, in welchem Maße selbstverstärkende Mechanismen wie das Abschmelzen der Polkappen den Klimawandel beschleunigen oder gar irreversibel machen.

Bei allem Erschrecken über Vier-Grad-Prognosen, bei aller Skepsis gegenüber der Handlungsfähigkeit der Politik: Das Zwei-Grad-Ziel über Bord zu werfen, die lokale und globale Klimapolitik aufzugeben, wäre fatal.


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