LSAP-POSITIONIERUNG: Kandidaten mit Bodenhaftung

Eine Wahlversammlung mit Talkshow zeigt, dass die LSAP wieder eine linke Volkspartei sein will. Weil aber dabei die Fehler der Vergangenheit vertuscht werden, erscheint der Kurswechsel fragwürdig.

Gegen den Liberalismuswahn, für soziale Errungenschaften, diesseits und jenseits der Mosel.

Feierlich betritt das Paar den Festsaal des Wasserbilliger Kulturzentrums, hundert Paar Hände klatschen Beifall. Arbeitsminister Nicolas Schmit, in schwarzem Anzug und mit purpurfarbener Krawatte, hält den Arm einer Frau mit kastanienbraunen Haaren, die ebenfalls einen dunklen Hosenanzug trägt. Ihnen folgen Wirtschaftsminister Etienne Schneider, Außenminister Jean Asselborn und weitere Prominente.

Nein, es handelt sich nicht um eine Hochzeitszeremonie, sondern um eine Wahlversammlung des Ostbezirks der LSAP. Die Frau, der Schmit nun hilft, die Bühne zu betreten und sich in einem der vier hellroten Designersofas niederzulassen, ist die die an Multipler Sklerose erkrankte SPD-Politikerin Malu Dreyer. Seit Anfang des Jahres neue Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, ist sie eine eher links orientierte, beliebte und allseits respektierte Figur. Ihre Anwesenheit an diesem Abend soll vor allem die grenzüberschreitende Zusammenarbeit und Solidarität zwischen GenossInnen unterstreichen.

Zu Dreyers Rechten sitzt der Spitzenkandidat im Osten, Nicolas Schmit, zu ihrer Linken der landesweite Spitzenkandidat Etienne Schneider. Am anderen Ende der Bühne sitzt Francine Closener, die für die LSAP im Zentrum kandidiert. Die ehemalige RTL-Journalistin hat die Ellbogen breit auf die Lehnen gestützt, sie moderiert das Gespräch. „Wenn ein grenzüberschreitendes Ausbildungsabkommen zustande kommt, dann nehmen am Ende noch die Luxemburger den Deutschen die Ausbildungsplätze weg“, behauptet Closener provozierend, gleich nachdem die Gäste dem Publikum vorgestellt wurden und Malu Dreyer das Thema großregionaler Arbeitsmarkt angeschnitten hat. Closener stellt alles andere als Gefälligkeitsfragen, den ganzen Abend über wird sie mehr wie eine Journalistin als eine Parteisoldatin moderieren – allerdings bohrt sie nicht nach, wie sie es zu RTL-Zeiten getan hat.

Die Internationale!

Malu Dreyer gibt sich natürlich nicht für ein Luxemburg-Bashing her, sie erinnert an die vielen Jugendlichen ohne Ausbildung, die eine zweite Chance benötigen, und betont die Vorteile der Zusammenarbeit. „Ich hoffe, dass es einfacher wird“, stimmt Nicolas Schmit mit ruhiger Stimme zu. Die Ministerpräsidentin hält fest, dass viele Deutsche in Luxemburg arbeiten, weil sie mehr verdienen. Sie sei sehr neidisch, sagt sie mit einem breiten Lächeln, und kritisiert die Sozialpolitik der deutschen Regierung: „Bei uns sind noch immer keine Mindestlöhne eingeführt.“ Eine spontane Diskussion hat sich ergeben, das Publikum lauscht angestrengt, vielleicht sind die Themen doch ein bisschen technisch für einen Freitagabend.

Etienne Schneider greift Dreyers Kritik auf, warnt vor dem Druck aus der Wirtschaft gegen Index und Mindestlohn. Er redet in ernstem Ton, sein entrücktes Lächeln, erinnert an die Wahlplakate, die überall hängen. Der LSAP-Spitzenkandidat wiederholt: „Es geht um sehr viel. Mit einer Rechtsregierung stünde das alles zur Disposition.“ Schmit setzt noch eins drauf, schließlich befindet sich seine Genossin im Wahlkampf-Endspurt: „Die deutschen Wahlen sind für Luxemburg sehr wichtig.“ Als Sozialdemokraten wolle man faire Löhne, gute Löhne. Schmit, sonst eher staatsmännisch, wird richtig aufgeregt:. „Wir müssen Europa wieder eine soziale Dimension geben.“

Marc Thiltgen, der LSAP-Bezirkssekretär, dürfte zufrieden sein. „Wir wollten mal etwas anderes versuchen, als die Versammlungen mit den lokalen Kandidaten, wo nur ein Dutzend Leute kommen“, hatte er mir vor der Versammlung erklärt. Er finde es auch wichtig, dass man darüber diskutiert, wie man arbeitslose Grenzgänger unterstützt. In der Tat, Besetzung und Themen sind originell und interessant, doch den Pressetisch musste der woxx-Journalist mit niemandem teilen.

Wir wissen Bescheid

Grenzüberschreitende Probleme gibt es nicht nur im sozialen Bereich. Francine Closener fragt nach den Forderungen für eine Schließung von Cattenom aufgrund der Sicherheitslücken: „Ich glaube weder an die Sicherheit, noch an die Schließung“, scherzt Malu Dreyer. Sie erinnert an den erfolglosen Besuch des luxemburgischen Außenministers in Paris. „Die französische Umweltministerin hat das nicht überlebt“, wirft Jean Asselborn ein, der in der ersten Reihe sitzt. Gelächter. Der Außenminister steht auf, man bringt ihm ein Mikrofon. Er erläutert kurz die Lage und warnt davor, eine Einbindung Luxemburgs in das französische Frühwarnsystem könne auch als stillschweigendes Einverständnis verstanden werden.

Noch immer spielt die LSAP ihre Rolle als Volkspartei, deren Mandatäre mit Sachverstand und Erfahrung der Bevölkerung die politischen Geschehnisse und Begleitumstände nahebringen. Eine Publikumsfrage zu den Eisenbahnverbindungen nach Deutschland bestätigt diesen Eindruck. Guy Greiveldinger, Präsident der Eisenbahnergewerkschaft FNCTTFEL, ist im Saal anwesend, erhebt sich ebenfalls und bestätigt, dass es demnächst keine vernünftigen Fernverbindungen mehr geben wird – etwas, wogegen man gemeinsam mit den deutschen Eisenbahnern demonstriert habe. Um das zu verhindern, brauche man eben einen Regierungswechsel in Deutschland, setzt die Ministerpräsidentin hinzu.

Doch nicht alle Publikumsfragen laden zur Selbstzufriedenheit ein. Warum die LSAP den Index verteidige, will ein älterer Herr ganz hinten im Saal wissen, wo er doch nicht gerecht sei. Das stimme, antwortet Etienne Schneider, jeder erhalte gleich viel, proportional gesehen. Aber der Index sei eben nie eine soziale Maßnahme gewesen, er diene nur dem Erhalt der Kaufkraft. „Wer viel verdient, bekommt mehr Inflationsausgleich, weil er ja auch zuvor mehr Kaufkraft hatte.“ Der Wirtschaftsminister argumentiert auf einer Linie mit der vom OGBL vor drei Jahren verfassten Index-Apologie. Darüber hinaus helfe der „gedeckelte“ Index, auf den der Fragesteller wohl anspielt, den kleinen Unternehmen nicht. Dieser von der CSV vorgebrachte Vorschlag, ab dem 2,5-fachen Mindestlohn nur noch einen fixen statt eines proportionalen Inflationsausgleichs auszubezahlen, würde in Sektoren mit niedrigen Löhnen keine Erleichterung bringen. „Das würde nur den Banken nutzen, die uns die ganze Krise eingebrockt haben“, trumpft Schneider auf.

Den Index retten

Leicht peinlich wird es, als ein Zuschauer das Wort ergreift, um über die Privatisierung der Post zu klagen: „Statt eines Briefträgers liefert nun ein schmuddeliger, ungewaschener Franzose von Michel Greco die Pakete bei mir zu Hause ab.“ Ohne auf die fremdenfeindliche Spitze einzugehen, erklärt Nicolas Schmit, dies sei ein europäisches Problem. „Alle Kräfte, die gegen diesen Liberalisierungswahn sind, müssen diese Tendenz jetzt stoppen.“ Doch Etienne Schneider stellt richtig: Die Firma Michel Greco gehöre der Post – für die er als Wirtschaftsminister zuständig ist. „Die steht unter einem solchen Preisdruck, dass es billiger wird, eine Firma zu kaufen, als neue Postbeamte einzustellen.“ Und fügt hinzu: „Ob die Lieferer nun ungewaschen sind oder nicht, das weiß ich nicht.“ Der Versuch, den fremdenfeindlichen Ton des Fragers zu überspielen, wird mit zustimmendem Gelächter aus dem Publikum quittiert – so manchen Genossen war der Punkt wohl peinlich.

Zum Abschluss erläutert Schneider die Position seiner Partei zur Koalitionsfrage: Man mache für die eigenen Ideen Kampagne, nicht gegen die CSV. Eine Dreierkoalition sei eine Option, sie funktioniere ja auch in anderen Ländern. Doch unterm Strich solle man die LSAP wählen, denn: „Nur wenn wir drin sind, bleibt der Sozialstaat erhalten.“ Nicolas Schmit steht auf und wünscht Malu Dreyer alles Gute für die Wahlen. Ihr sei es zu verdanken, dass die SPD in Rheinland-Pfalz wieder Zulauf habe. „Das wünschen wir uns auch in Luxemburg.“ Dreyer lächelt, Etienne Schneider sieht nachdenklich aus – ob er das wohl bewirken kann? Mit Blumensträußen, Kandidaten-Präsentation und Ehrenwein geht die Veranstaltung zu Ende.

Die Parteispitze entferne sich von ihrer Basis und gebe die linke Ausrichtung auf, so der Tenor der inner- und außerparteilichen Kritik an der LSAP. Solche Vorwürfe werden – zum Teil – durch die Realität widerlegt. Eine Partei, deren lokale Wahlversammlung hundert Leute anzieht, und dabei sozialdemokratische Politik schlüssig und qualifiziert vermittelt, ist eine funktionierende Volkspartei. Und bei Themen wie Index und Liberalisierung positioniert sich die LSAP in diesem Wahlkampf klar links.

Kleine Lügen

Ob diese Positionierung glaubwürdig ist, ist eine andere Frage. Themen wie die Großregion hat die LSAP – immerhin langjährige Regierungspartei – sträflich vernachlässigt. Und die Umweltproblematik, früher ein Bestandteil des fortschrittlichen Selbstverständnisses der Sozialisten, fristet im 2013er Wahlprogramm und in der Kampagne ein Schattendasein.

Wie dünn die rote Lackschicht ist, mit der die LSAP sich darstellt, sieht man am Spitzenkandidaten Etienne Schneider. Gewiss, wenn er an die Mosel kommt, ist er gegen Cattenom. Doch vom oberen Stockwerk des Forum Royal aus setzten er und sein Amtsvorgänger Jeannot Krecké die umstrittene Sotel-Leitung durch, welche die Einfuhr von französischem Atomstrom nach Luxemburg begünstigt.

Dass LSAP-Wirtschaftspolitiker die Werkzeugkiste der Mainstream-Ökonomie völlig unkritisch übernehmen, daran hat die Krise nicht viel geändert. Wenn Schneider in Wasserbillig gegen die Index-Deckelung plädiert, führt er auch das – zumindest theoretisch korrekte – Argument einer Nivellierung der Lohnhierarchie an. Das lehnt man natürlich ab, zumindest wenn man an das simplistische Menschenbild des „homo oeconomi-cus“ glaubt: „Warum sollte ein Chef noch Chef sein wollen, wenn er nicht mehr verdient als die, die unter ihm stehen?“

Schneider hat erklärt, er wolle Premier werden. Zumindest in puncto Flunkern kann er es durchaus mit Jean-Claude Juncker aufnehmen, das hat er am Freitag vor einer Woche demonstriert. Noch vor wenigen Monaten zeigte sich der Wirtschaftsminister überzeugt, dass man am Index etwas verändern müsste. In Wasserbillig aber versichert er, neun Jahre Erfahrung im Ministerium hätten gezeigt, dass der Index keinen Unternehmer abschrecke und die mit ihm verbundene Stabilität ein positiver Standortfaktor sei. Dass Schneider, wie sein Amtsvorgänger Krecké, ein Index-Saulus war, versucht der Spitzenkandidat zu vertuschen. Und warum er – für die Zeit einer Wahlkampagne – zum Paulus wird, kann man sich denken.

Gemeinsam mit seinem Kollegen Nicolas Schmit übt er sich in Wasserbillig auch in Geschichtsfälschung. So seien die Sozialdemokraten schon immer gegen den europäischen Liberalisierungswahn gewesen und hätten die entprechenden Direktiven in Bereichen wie Post und Wasser bekämpft. Sie unterschlagen, dass zum Teil sozialistische Minister hierfür zuständig waren und dass die Mehrheiten für Liberalisierungen im Europaparlament ohne die europäischen Sozialdemokraten nicht zustande gekommen wären.

So bleibt der Eindruck, dass die LSAP-Spitze sich weniger unter dem Eindruck der Krise als unter dem Druck der Basis und unter dem Einfluss des OGBL nach links gewandt hat – stärker als erwartet (woxx 1231). Für diese große Volkspartei stellt der Kontakt mit den „kleinen Leuten“ und die gewerkschaftliche Einbindung ein soziales Korrektiv dar, das zum Beispiel bei den Grünen nicht in diesem Maße vorhanden ist. Das reicht für eine Rückbesinnung auf die Verteidigung der sozialen Errungenschaften, nicht aber dafür, über das System hinauszudenken, ein Denken, das doch am Anfang der sozialdemokratischen Bewegung stand. Es wird auch dafür reichen, in Luxemburg wie in Deutschland, Juniorpartner in einer großen Koalition zu werden, nicht aber dafür, bei einer linken politischen Erneuerung Leadership wahrzunehmen.


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