Am Montagabend fand im Exit07 ein Rundtischgespräch zum Thema Feminismus im Internet statt. Die Runde offenbarte Einblicke in die neue Praxis für die Bewegung.
Schuld mag das kalte Wetter gewesen sein: Jedenfalls hatten an diesem Dezemberabend nicht allzu viele Interessierte ins Exit07 gefunden; anders als bei der Versammlung im letzten Jahr. Damals war allerdings auch eine sehr grundsätzliche Frage gestellt worden: „Warum Feminismus?“.
Die paar leer gebliebenen Reihen jedoch beeinträchtigten die interessante – vom Cid-Femmes und der Stadt organisierte und von der woxx moderierte – Diskussionsrunde keineswegs.
Den Anfang machte Katrin Rönicke, Netzaktivistin der ersten Stunde und bereits seit ihrem 14. Lebensjahr im Internet unterwegs. Für sie war und ist der Feminismus allerdings nur ein Teil ihrer Online-Beschäftigung. Die Gewinnerin des BOB-Awards 2008, ausgezeichnet für das beste deutsche Weblog, konzentriert sich seit 2005 auf Politik in ihrem Blog: „Ich habe immer über politische Themen geschrieben und eben auch über feministische und habe früh gemerkt, dass diese eine größere Resonanz haben als andere“, so Rönicke. Der Feminismus im Netz hat für Rönicke eine wichtige soziale Komponente: „Früher fand man feministische Gruppen vor allem in urbanen Zonen, während die Frauen auf dem Land isolierter waren. Dank dem Netz steht niemand mehr alleine da.“
„Dank dem Netz steht niemand mehr alleine da.“ (Katrin Rönicke)
Dass das Netz dem Feminismus neue Chancen bietet, war auch die Meinung der zweiten deutschen Referentin in der Runde, Caja Thimm, Professorin für Medienwissenschaften und Intermedialität an der Universität Bonn und Verfasserin einer Netzkolumne in der von Alice Schwarzer gegründeten Zeitschrift „Emma“. „Netzfeministische Inhalte sind oft schärfer formuliert als in anderen Medien“, meinte Timm, „doch trotzdem sind die meisten digitalen Verbreitungskanäle immer noch männeraffin.“
„Auch in den Shitstorms, mit denen netzfeministische Seiten oft zu kämpfen haben, finden sich vor allem Männer.“ In den sogenannten Shitstorms, dem Überfüllen der Kommentarfunktion von Artikeln mit hassvollen und polemischen Beiträgen, sieht auch Gina Arvai von déi jonk Gréng ein Problem: „Jeder Post bedeutet auch die Öffnung einer Gefahrenzone.“ Trotz möglicher Bedrohungen im Netz ist dieses für sie ein ideales Mittel, um das öffentliche Bewusstsein zu formen.
Was sie dabei im Sinn hat, stellte sie anhand der – von den österreichischen jungen Grünen übernommenen – Kampagne „I Love my Vagina“ dar. In diesem Netzvideo äußern sich junge grüne Aktivistinnen zu verschiedenen Themen wie Recht auf sexuelle Selbstbestimmung, Sexismus und die Forderung nach einer kostenlosen Verhütung für jede Frau. Diese anfangs nur zögerlich in Gang gekommene Kampagne entwickelte sich dank dem Internet quasi über Nacht zu einem Selbstläufer. Und brachte ihnen auch prompt einen sexistischen Blog-Eintrag des ultra-konservativen luxemburgischen Politikers Fernand Kartheiser (ADR) ein, in dem die grünen Frauen als „dekadente Egoisten“ gegeißelt werden. Für Arvai ist trotzdem klar: „Viele kleine Entscheidungen führen zu einer Bewegung.“
Weniger überzeugt vom Nutzen des Netzes zeigte sich die luxemburgische Feministin der ersten Stunde und Aktivistin von déi Lénk, Tréis Gorza. Sie erinnerte an die Zeiten vor der digitalen Massenverbreitung, als sich dennoch – per Flyer und anderer Medien – abertausende Frauen mobilisieren ließen. Gegen das Abtreibungsverbot zum Beispiel: „Für mich sind Flashmobs etwas neues und ich zweifele an ihrer Nachhaltigkeit“, so Gorza.
Dem hielt Caja Thimm entgegen, dass die Vernetzung der sogenannten „Wutbürger“, vor allem nach den Protesten gegen den Stuttgarter Bahnhof, Stuttgart 21, die Politik durchaus zu Reaktionen gezwungen habe, wie immer man diese auch einschätzen mag. Für Katrin Rönicke bleibt die Begegnung von Netzfeministinnen im ?richtigen Leben` dennoch ein wichtiges Standbein und eine Garantie für den Erfolg der Bewegung selbst – als Beispiel nannte sie die „Slutwalks“, wo sich Aktivistinnen online organisieren, um dann auf der Straße zu demonstrieren.
„Für mich sind Flash-mobs etwas neues und ich zweifele an ihrer Nachhaltigkeit“
(Tréis Gorza)
Ein weiteres wichtiges Thema wurde ebenfalls von Tréis Gorza angeschnitten. Sie störte sich daran, dass nicht jede und jeder den gleichen Zugang zu den neuen Medien habe und so eine soziale Diskriminierung innerhalb der Bewegung entstehe. Dem pflichtete Caja Thimm bei und nannte hierzu einige Zahlen: Bei den Menschen im Alter von über 65 Jahren haben 60 Prozent einen Online-Anschluss. Davon sind nur 24 Prozent Frauen, bei den Frauen mit Migrationshintergrund über 65 sind es nur 3,8 Prozent. Also würden ganz klar bestimmte Gruppen ausgeschlossen, während andere das Netz regelmäßig mit Shitstorms übergössen.
Auf den Sexismus im Netz angesprochen, meinte Katrin Rönicke: „Dagegen kann man nichts machen. Um sexistische Kommentare einzudämmen, kann man nur eine konsequente Netiquette anwenden und soziale Netzwerke wie Twitter meiden.“ Dass es im Netz zuweilen von allen Seiten heftig zur Sache geht, kommentierte Rönicke mit dem Hinweis: „Im Netz muss man wieder lernen zu verzeihen“. Sicher eine ungewöhnliche Einsicht – doch sie zeigt auf, dass das Netz und damit der Netzfeminismus sich weiterentwickeln.
Birgt das Netz Emanzipationspotenzial?
(avt) – Social Media sind Trainingsgelände für die Selbstvermarktung – auch oder gerade, um an wirklich relevante Positionen in der Gesellschaft zu kommen. Sitzt man als Frau im Aufsichtsrat oder ist Ministerin, wird diese Form der Kommunikation Tabu oder dient als Presseabteilung. Für die Frauenbewegung waren „Selbsterfahrungsgruppen“ enorm wichtig, um eine kritische Distanz zur eigenen Sozialisierung einzunehmen und das Gemeinsame der Erfahrungen in der „Men‘s World“ zu erkennen. Aber können heute Blogs oder Facebook-Auftritte dasselbe leisten? In den Siebzigern hatte jede politische Gruppe zur Mobilisierung ein Flugblatt parat, Tausende kamen zu Demos gegen das Abtreibungsverbot. Hat sich durch das Internet die Mobilisierung lediglich verschoben? Feministische Blogs wie „maedchenmannschaft.net“ oder „Featurette.de“ peppen hoch und finden regen Anklang, Frauen empören sich via Twitter. Aber kann über Social Media eine internationale Solidaritätsbewegung entstehen? Klar wurde in der Diskussion eines: Auch Social Media folgt dem Mainstream und einer allgemeinen Sexualisierung des Bildes von Frauen in den Medien. Feministische Blogs und Netzkampagnen haben dennoch ihre kritische Wirkung. Es braucht sie, keine Frage! Aber sie sind vor allem eine wirksame Ergänzung zum Kampf gegen Ungleichheit und jede Form der Diskriminierung von Frauen. Und der findet auf allen Ebenen statt.