THEATER: Entzweit und vergiftet

„Gift“ ist ein Zweipersonenstück über einen Mann und eine Frau, die erst ihr Kind, dann einander verloren haben und am Grab ihres Kindes ihre Beziehung wiederzubeleben suchen.

Stereotype Rollenmuster?

Das Stück hat es in sich. „Gift“ der niederländischen Autorin Lot Vekemans, 2009 in Gent uraufgeführt, erzählt von der Wiederbegegnung eines seit sechs Jahren getrennten Paares auf einem Friedhof, am Grab seines verstorbenen Sohnes. Die beiden treffen sich dort, weil ihnen brieflich die Umbettung des Grabs angekündigt wurde. Angeblich wurde Gift im Boden gefunden, müssen 200 Gräber umgebettet werden. Doch niemand von der Friedhofsverwaltung lässt sich blicken, und so sind die beiden sich selbst überlassen und versuchen, einander näherzukommen und das, was einst durch die Trauer über den Verlust des Sohnes zwischen ihnen zerbrochen ist, zu kitten – im Wissen „dass es nie mehr dasselbe sein kann“.

Am 31. Dezember 2008, zehn nach sieben, hatten sie sich getrennt und gehen seitdem ihre eigenen Wege, beide haben sie versucht – jeder auf seine Art und Weise – den Verlust zu bewältigen. Er, indem er versucht hat, ein neues Leben zu beginnen, sie, indem sie den Schmerz in sich hinein gefressen hat, tablettenabhängig geworden ist und noch immer an dem Geschehenen leidet. „Wir dachten, dass wir ohne ihn könnten und haben uns geirrt“, stellen sie in dem gut 90 Minuten dauernden Dialog fest. Zumindest eine Erkenntnis, die beide teilen. Ansonsten dominieren Uneinigkeit und Vorwürfe, alte Ressentiments kochen hoch. Das Zusammentreffen wird zur Rekonstruktion ihrer Beziehung, bei dem auch Zärtlichkeiten aufblitzen und klar wird, dass sie sich einst geliebt haben. Während eineinhalb Stunden sieht man den zerworfenen Expartnern dabei zu, wie sie sich erst vorsichtig abtasten und anfangs noch aufeinander Rücksicht nehmen, sich zu verstehen versuchen, um sich sogleich wieder zu entzweien und in alte Muster zurückzufallen. Es hagelt Beleidigungen und Verletzungen von ihrer Seite. Denn Sie (Désirée Nosbusch) hat sich zwar dazu entschlossen, weiterzuleben, aber zu mehr auch nicht: „Ich mache mit – mehr brauchst du von mir nicht zu erwarten.“ Wohingegen Er (Germain Wagner) in Alt-Herrenmanier versucht, sich im Alter zu verwirklichen und seinem Leben einen Sinn zu geben, indem er in einem Männerchor singt und ein Buch über sich schreibt. Sie findet das „pathetisch“. Wo er besonnen reagiert, weil er die Vergangenheit ein Stück weit hinter sich gelassen hat, ist sie zynisch und verbittert: „Wenn ich dich anblicke, sehe ich Unvollkommenheit und eine gescheiterte Geschichte“, wirft sie ihm an den Kopf, um ihm wenig später weinend in die Arme zu fallen.

Vekemans‘ Textvorlage ist das Psychogramm einer gescheiterten Beziehung, mit teils klugen, teils platten, weil arg holzschnittartigen Dialogen. Mit Désirée Nosbusch und Germain Wagner in den Rollen agieren zwei erfahrene Schauspieler, die mit den Textbausteinen gekonnt jonglieren und die beiden Rollen mit Pathos verkörpern. Dennoch plätschert die Handlung lange ziemlich monoton vor sich hin – ohne wirkliche dramaturgische Höhepunkte. Die Rolle der Frau, die letztlich nur Zuflucht in den Armen ihres Ex-Mannes sucht, wirkt arg reduziert, ihr Gegenpart mitunter gönnerhaft und arrogant. Beide Rollen hätten durch Regisseur Johan Leysen, der mehr als 50 Kino- und Fernsehfilme gedreht hat und auch mehrere Stücke im Grand Thèâtre inszeniert, wesentlich nuancierter angelegt werden können. Vorwürfe und eine starke Schulter zum Anlehnen mögen zwar typisch männliche Stereotype sein, doch diese dann auch noch eins zu eins auf der Bühne zu reproduzieren, wirkt doch etwas seicht.

Reduziert auf ein Minimum ist letztlich auch das karge Bühnenbild, das im Grunde keines ist – nichts als ein paar Stühle. Die Schauspieler spielen quasi im Publikum. So wird auf einen starken Text gesetzt, der mitunter seine Wirkung tut. Doch das Ende gleicht dann wirklich ganz und gar einer Soap. Das Paar fällt sich in die Arme und sucht noch einmal Halt beieinander, indes er „it must be so“ summt. Lakonisch steht am Schluss die Feststellung im Raum: „Das wars also, mehr können wir nicht machen.“ Man hätte mehr draus machen können!

Am 8., 11., 12., 14., 18. und 19. März um 20h im Kasemattentheater.


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