THEATER: Eine Welt außerhalb der Zeit

„Von der Liebe Augenblick“ im TNL entführt den Zuschauer in eine fremde Welt, in der nur die Gesetze der Natur gelten. An der Grenze zwischen Wildnis und Zivilisation prallen mit dem Auftauchen eines Reporters die zwei Welten aufeinander.

Wenn er nicht verwundert in die Welt blickt, steht dem Reporter (Pitt Simon) der Wahnsinn ins Gesicht geschrieben.

Ein Mann und eine Frau, die seit vielen Jahren abseits jeder Zivilisation in der Wildnis leben und schon fast zu Naturwesen geworden sind, treffen in ihrer quasi zeitlosen Welt auf einen Fremden – oder vielmehr trifft der Fremde, ein Reporter, an dem geheimnisvollen Ort auf sie. Der Reporter weiß weder, wo er sich befindet, noch was auf ihn zukommt – das Publikum kann seine Angst und Beklemmung förmlich spüren. So die Ausgangssituation in Fabienne Bievers Theaterstück „Von der Liebe Augenblick“, das unter der Regie von Wolfram Mehring vergangene Woche im TNL uraufgeführt wurde. Aus den Dialogen des nur etwa einstündigen Stücks und der Interaktion des Paares mit dem Reporter enthüllt sich den ZuschauerInnen nach und nach ein einschneidender Vorgang im Leben der beiden Naturwesen – das diese traumatisiert, letztlich aber nur noch mehr zusammengeschweißt hat. Während der Mann den Eindringling misstrauisch beäugt und einmal sogar würgt, scheint die alte Frau mit dem jungen Mann zu flirten. Und sie ist ganz von der Idee getrieben, ihm die traumatische Geschichte zu erzählen. „Er kennt die Abgründe – wir teilen eine Geschichte. Machen Sie eine Reportage draus!“, fordert sie ihn mit leuchtenden Augen auf. In einer Sprache, die sie längst verloren zu haben glaubte, schildert sie die erste Begegnung mit ihrem Mann, einem „Wahnsinnigen, so wie ich“. Einerseits verstört wie ein verletztes Tier, andererseits selbstbewusst und kokettierend, berichtet sie von einem Mord, den die beiden begingen, als einst ein Fremder, wie der Reporter, in ihre Welt eindrang und die Frau unter den Augen ihres geknebelten Mannes vergewaltigte. Die Rolle der Frau bleibt bis zuletzt unbestimmt, ihr Verhalten mäandert zwischen Wahnsinn, Koketterie und Mütterlichkeit. Michèle Clees füllt diese facettenreiche Rolle mit Leidenschaft aus und überzeugt in ihr. Sie ist die starke geheimnisvolle Charakterfigur in dem Stück. Die Rolle des Reporters (Pitt Simon) ist undankbar, bietet sie doch wenig Raum für Nuancen. Entsetzensstarr, mit weit aufgerissenen Augen blickt er in den für ihn fremden und bedrohlichen Naturkosmos – ein großer Junge, der voller Verblüffung in die Welt hinaussieht. Dabei spiegelt sich in ihm die gesamte Geschichte. Er fungiert als Scharnier zwischen Zivilisation und Wildnis. Das Paar aber ist ganz mit der Natur verschmolzen. Die Bedürfnisse des Alltags stillt es in der Natur und trotz ihrer starken Zuneigung zueinander sind Triebe und Egoismus so weit fortgeschritten, dass eine Liebeserklärung an den anderen unweigerlich in einer Liebeserklärung an sich selbst mündet: „Ich liebe Dich. – Ich mich auch“ bekunden sie einander. „Von der Liebe Augenblick“ ist im Ganzen ein zähes Stück, das aber denjenigen, die es zulassen, die Möglichkeit bietet, in eine Traumwelt einzutauchen. Das recht kreative Bühnenbild, eine Natur, die erstarrt ist und sich dennoch zu verändern scheint, wirft dieselbe Frage auf wie das Stück selbst: Was ist wahr und was irreal? So hat der Zuschauer am Ende eine Geschichte präsentiert bekommen, die auch ein (Alp-)traum gewesen sein könnte. Globale politische Fragen stellt das Stück leider nicht. Und trotz der beachtlichen schauspielerischen Leistung von Michèle Clees bleibt am Ende eine dumpfe Leere zurück. Eine Lerche macht eben noch keinen Sommer.

Noch am 6., 7. und 9. Mai, jeweils um 20 Uhr im TNL.


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