LESUNG: „Wozu das Ganze?“

Rosa Luxemburg ist angesagt. Eine Lesung aus ihren Gefängnisbriefen zeigt die Revolutionärin mehr als naturliebendes weibliches Wesen, denn als politischen Kopf. So wird auf schläfrige Weise an ihrem Mythos gekratzt.

Zur Gallionsfigur stilisiert …

Sie ist Mythos und Vorkämpferin der Linken und wird gerade in der heutigen Zeit zur Gallionsfigur stilisiert: die Revolutionärin Rosa Luxemburg. Ob auf der Bühne kämpferisch, überhöht, zum Teil trashig wiederbelebt oder in der Politik von Linken imitiert, wie durch Sahra Wagenknecht – Rosa Luxemburg erfährt ein Revival. Es sind weniger ihre theoretischen Schriften, die wieder gelesen werden. Im Vergleich zu anderen sozialistischen Ikonen ist sie die weitgehend unbefleckte Kämpferin, die weder dem elenden Reformismus der Sozialdemokratie, noch dem autoritär-stalinistischen Kommunismus zugerechnet wird. Sie taugt als Vorbild, doch einem inflationären Rekurs auf Rosa Luxemburg wohnt die Gefahr der Banalisierung inne. So etwa, wenn eine Lesung mit Gefängnisbriefen von „Rosa“ lockt und dann Naturbeschreibungen vorgetragen werden, die ihre Liebe zu Flora und Tierwelt offenlegen und sie als von Sehnsucht zerfressene Frau inszenieren, vor allem mit typisch weiblichen Attributen also. Es mag schwer sein, Rosa Luxemburg gerecht zu werden, war sie doch eine kluge und ergo von ihren Gefühlen zerrissene Frau. Erfüllung fand sie eher in der Politik als im Privaten. Ihre kämpferische Seite in der Politik stand im Widerspruch zu der haltlosen, emotional-sinnlichen Frau, wie es einige ihrer Gefängnisbriefe offenbaren. Und dennoch liegt irgendwo dazwischen, in der Leidenschaft Rosa Luxemburgs für das Leben und dem Mut, alles so zu nehmen, wie es kommt, die Wahrheit.

In einer jüdischen Familie aufgewachsen, erkrankte sie mit zwei Jahren an einem Hüftleiden und musste monatelang das Bett hüten. Zum Trost brachte ihre Mutter ihr Lesen und Schreiben bei. Sie studierte Staatswissenschaft, Geschichte und Ökonomie und erlangte durch eine Scheinehe die deutsche Staatsbürgerschaft. In Berlin schloss sie sich sozialistischen Kreisen an und begeisterte mit ihrer rhetorischen Brillanz schnell ihre GenossInnen. Als Chefredakteurin der Zeitung „Die rote Fahne“ während der Novemberrevolution in Berlin und Autorin des Spartakus-Programms forderte sie eine Räterepublik und die Entmachtung des Militärs. Bereits 1904 wurde „Rosa“ zum ersten Mal wegen Majestätsbeleidigung (Kaiser Wilhelm II.) zu drei Monaten Haft verurteilt. In ihrem Aufsatz „Die Krise der Sozialdemokratie“ rechnete sie mit der „bürgerlichen Gesellschaftsordnung“ und der Rolle der SPD ab, deren reaktionäres Wesen ihrer Meinung nach „den Krieg offenbahre“. Rosa Luxemburg befürwortete die Oktoberrevolution, kritisierte aber die Parteidiktatur der Bolschewiki. Immer wieder wurde sie wegen politischer Agitation verhaftet. Drei Jahre und vier Monate verbrachte sie zwischen 1915 und 1918 im Gefängnis – in der Festung Wronke bei Posen und ab August 1918 in Breslau. Genau am Tag ihrer Entlassung, im November 1918, wurde die Weimarer Republik ausgerufen. Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, die noch Ende Dezember 1918 die kommunistische Partei gründeten, galten als Rädelsführer der rätesozialistischen Revolution. Am 15. Januar wurden beide ermordet.

Ihre „Briefe aus dem Gefängnis“ schrieb Rosa Luxemburg von Juli 1916 bis November 1918 während ihrer Haft in Wronke und Breslau. – Maßgeblich an Sonja, die Frau Karl Liebknechts, die sie liebevoll „Sonitschka“ nennt. In der etwa einstündigen Lesung aus ihren Gefängnisbriefen im Kasemattentheater liest Christiane Rausch aus „Rosas“ Texten. Die schlichte Kulisse: Drei Banner, auf denen schemenhaft eine karge Gefängniszelle aufgezeichnet ist, davor ein einfacher Holztisch, an dem Rausch sitzt und mit tiefer Stimme aus ihren Briefen liest. Judith Lecuit begleitet die Lesung am Cello: Eine passende, unprätentiöse Kulisse und ein harmonisches Zusammenspiel, das unruhig durch eine Videoinstallation an der Seite des Zuschauersaals gebrochen wird, auf der eine nackte Frau mit schwarzer Farbe bemalt wird und sich lasziv rekelt.

„Sehnsucht. Das ist das Leben. Ich nehme es so und fühle mich glücklich in meiner Lage und möchte nichts ändern“, heißt es zu Beginn der Lesung. Was folgt ist eine bunte Zusammenstellung von Textauszügen mit detaillierten Beobachtungen der Naturwelt. Rosa schrieb an Sonitschka, vom „Wendehals“, einer grauen Spechtart oder erzählte, wie sie bei einem Spaziergang in Wronke einen auf dem Rücken liegenden Mistkäfer auflas, der von Ameisen verzehrt wurde – ein „lautloses Trauerspiel“. „Vielleicht bin ich gar kein Mensch“, schrieb Rosa, die sich im Garten unter summenden Hummeln wohler fühlte als auf einem Parteitag. „Mein innerstes Ich gehört mehr den Kohlmeisen, als den Genossen.“ Doch nur selten führen ihre Beschreibungen der Tierwelt zu politischen Fragen: „Wie kommt es, dass Menschen über andere Menschen entscheiden? Wozu gibt es Blaumeisen auf der Welt? Wozu das Ganze?“ Die Aufzählung der parabelhaften Naturbeschreibungen ist ermüdend, vergeblich wartet man auf Politisches. Nach zwei Jahren Haft schrieb Rosa Luxemburg: „Wir stehen hier und sind nur eins in Ohnmacht, in Schmerz und Sehnsucht“ – „Sonitschka, Liebste, seien Sie trotz alledem ruhig und heiter. So ist das Leben und so muss man es nehmen, tapfer, unverzagt und lächelnd – trotz alledem!“

… trotz alledem! Briefe aus dem Gefängnis von Rosa Luxemburg. Am 7. Juni um 20 Uhr in der Kulturfabrik Esch.


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