Theater: Zerbrechliche Kriegerin

Stefan Maurer bringt Kleists „Penthesilea“ stark gerafft, doch schlüssig in einer rauschenden Inszenierung auf die Bühne des TNL. Und Nora Koenig überzeugt in der Rolle der charakterstarken Amazonenkönigin.

Verletzliche Amazonen: Penthesilea und ihre Vertraute Prothoe. (Foto: Bohumil Kostohryz)

Bis heute heißt es, das Stück sei zu vielschichtig und im Grunde unspielbar. „Penthesilea“, Heinrich von Kleists zweites Trauerspiel, 1808 veröffentlicht und erst 1876 uraufgeführt, ist in der Tat alles andere als leichte Kost. Widerspruchsvoll ist bis heute auch die Rezeption des Stücks, das Goethe schroff zurückwies und das die Autorin Christa Wolf etwa 100 Jahre später aus feministischer Sicht in ihre Erzählung „Kassandra“ verwob.

Schauplatz ist der Trojanische Krieg: Im Kampf zwischen Griechen und Trojanern löst das auf dem Schlachtfeld erscheinende Amazonenheer allgemeine Verwirrung aus, denn es schlägt sich nicht auf eine Seite, sondern sucht wahllos Gegner. Und die Amazonenkönigin Penthesilea verliebt sich in Achilles, der seinerseits die Begegnung mit ihr sucht. Damit nimmt die Tragödie ihren Lauf, denn im Frauenstaat der Amazonen gibt es keine Männer. Die Besiegten werden lediglich heimgeführt, um den Nachwuchs zu sichern. Das hat Penthesilea auch mit Achilles vor, doch wird sie verwundet und fällt in Ohnmacht. Um ihr die Schmach der Niederlage zu ersparen, bittet ihre Vertraute Prothoe (Monke Ipsen) Achilles, sich als Verlierer auszugeben, und Penthesilea durchschaut das Spiel nicht …

Kleists Penthesilea ist eine schillernde Frauenfigur. Hin- und hergerissen steht sie außerhalb ihrer Lebensbezüge, weil sie das Amazonengesetz gebrochen hat. Sie sieht sich als gescheitert, weil sie glaubt, Achilles Liebe nicht gewonnen zu haben und die Gesetze gebrochen hat. Am Ende vermag die zerbrechliche Herrscherin keine klare Entscheidung mehr zu fällen und fällt über ihn her. In der Verschränkung von Krieg und Liebe enthüllt Kleist die Liebe als Kampf der Geschlechter. Und er zeigt die Liebe als ein unbedingtes, sich über alle Regeln hinwegsetzendes Gefühl, das in Todeswut und Raserei kulminiert.

Stefan Maurer, der bereits 2011 am TNL „Amphitryon“ inszenierte, hat den komplexen Stoff stark gerafft und auf vier Figuren reduziert. In seiner rauschenden, 100-minütigen Inszenierung konzentriert er sich auf den Geschlechterkampf. Penthesilea ist Jägerin wie Gejagte.

Kulisse wie Kostüme sind kompromisslos in die Gegenwart gezogen. An einem langen Konferenztisch, unter dem Gemälde einer blutigen Schlacht, sitzt anfangs ein müder Odysseus (Germain Wagner) und liest Zeitung. Die antiken Figuren hat Maurer ebenfalls in die Moderne übersetzt: Kaffee oder auch giftgrüne Smoothies aus Coffe-to-Go-Bechern schlürfend, stolzieren sie in Business-Anzügen und -Kostümen auf und ab, so dass man sich in einer Team-Besprechung wähnt. Doch bevor SIE die Bühne betritt, wird noch flugs an ihrem Mythos gestrickt. In Odysseus` Rede ist sie „Pen-the-si-lea!“, die Verhasste, Unnahbare, Herrschsüchtige. Wagner spuckt, während er den Amazonen-Krieg verwünscht, ihren Namen, jede Silbe betonend, förmlich heraus … Bis Nora Koenig in der Rolle der Amazonenkönigin zwischen Überheblichkeit und Achilles gegenüber teenagerhafter Unsicherheit schwankend, auf die Bühne schreitet und sich noch schnell einen Spritzer Odol in den Mund sprüht. Daniel Mutlu gibt den jungen, vor Energie förmlich berstenden Achilles, allerdings mehr experimentierfreudiger Jüngling, als gestandener Krieger.

Die Büroatmosphäre wird schnell durchbrochen, die Bühne in schummriges Licht getaucht, und die vier Figuren fallen, in rosa Tutus tanzend, in einer rauschenden Orgie übereinander her. Die blutige Schlacht wird als wilde Sex-Orgie realisiert – untermalt vom Kill-Bill-Soundtrack und mit geköpften Rosen garniert.

Und obwohl man meinen könnte, nun sei die Luft raus, läuft Nora Koenig, „halb Furie, halb Grazie“ erst jetzt zu Hochform auf und entblößt Schicht um Schicht ihrer zerbrechlichen Persönlichkeit. Das Machtspiel zwischen Penthesilea und Achilles transportiert sich körperlich und über Dialoge – wenn er sie beispielsweise am Schopf packt: „Wer bist du, Unbegreifliche?“ Schnell gerät er in ihre Fänge, und sie weist ihn kühl ab: „Nun denn, mich rufen so mancherlei Geschäfte!“ Und bevor sie, fast den Verstand verlierend, zusammenbricht, schreitet sie resolut durch die Publikumsreihen des TNL, um Krieger zu aquirieren. Doch als das Heer der Amazonen sie ruft, stürzt sie sich wie im blinden Wahn auf Achilles und reißt ihn in Stücke. Erst, als sie aus der Trance erwacht, wird sie ihrer Tat gewahr: „Wer von euch war das?!“

Seine Penthesilea-Kreation inszeniert Maurer so als blutigen, doch zeitlosen Geschlechterkrieg. Und Nora Koenig verkörpert brillant die widerspruchsvolle, zerrissene Frau, die an den Zwängen der emanzipierten Gesellschaft ebenso zugrunde geht wie an sich selbst. Ein rauschender, leidenschaftlicher und blutiger Abend!

Am 5., 10., 12. und 13. Mai um 20 Uhr im TNL.


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