Jagd auf „Sans Papiers“ in den USA: Probe auf den Bürgerkrieg

von | 11.07.2025

Mit martialischem Aufgebot wird in den USA bildgewaltig Jagd auf Menschen ohne gültige Aufenthaltstitel gemacht. Das zynische Spektakel ist auch als Warnung an die gesamte Bevölkerung gedacht.

(Foto: EPA/CAROLINE BREHMAN)

Als die US-Anwältin Heidi Plummer Mitte Juni in einem Park in der kalifornischen Stadt Santa Ana spazieren ging, sah sie plötzlich mehrere Lieferwagen auf einen nahegelegenen Parkplatz fahren. Maskierte Bundesbeamte in militärischer Ausrüstung sprangen heraus und bahnten sich den Weg durch die Grünanlage. Auf ihren Uniformen trugen sie die Aufschrift „ICE“. Diese drei Buchstaben stehen für „Immigration and Customs Enforcement“, die größte Polizei- und Zollbehörde des Ministeriums für Innere Sicherheit der USA.

„Sie schnappten sich wahllos Leute, die in ihrer Nähe waren, und legten ihnen Handschellen an“, sagte Plummer der Tageszeitung „LA Times“. Auch die Anwältin mit US-amerikanischem Pass, die ein ecuadorianisches Elternteil hat, wurde festgenommen und in eine Haftanstalt verbracht. Anderthalb Stunden später ließ man sie wieder laufen. Ein „Klima der Angst“ herrschte laut Zeitungsartikeln an den darauffolgenden Tagen in der Stadt. „Es scheint so, als ob sie allen zu Leibe rücken, die Latinos sind“, wird ein Ladenbesitzer zitiert.

Situationen wie diese sind in den USA derzeit an der Tagesordnung, denn die Grenzschützer sind auf der Jagd nach Menschen ohne gültigen Aufenthaltstitel. Dabei werden Bilder produziert, wie man sie sonst aus Bürgerkriegen kennt. So auch am vergangenen Montagnachmittag, als ICE-Beamte und Einheiten der Nationalgarde in gepanzerten Fahrzeugen am „MacArthur“-Park in Los Angeles vorfuhren. „Was ich heute im Park gesehen habe, sah aus wie eine Stadt unter Belagerung, unter bewaffneter Besatzung“, sagte die dortige Bürgermeisterin, Karen Bass.

Sie glaube nicht, dass der Sinn der Aktion gewesen sei, jemanden festzunehmen. „Ich denke, das Ziel ist es, Angst zu verbreiten“, so Bass: „Es geht darum, den Immigranten in unserer Stadt der Einwanderer zu sagen, dass sie zu Hause bleiben müssen, nicht zur Arbeit, nicht zur Schule gehen sollten, weil man hinter ihnen her ist.“

Ein Großteil der US-Bevölkerung ist mit diesem Vorgehen nicht einverstanden, und auch die Gewerkschaften haben sich mit den „Papierlosen“ solidarisiert.

US-Präsident Donald Trump hat Massendeportationen versprochen; von ICE wird ein tägliches Soll von 3.000 Verhaftungen verlangt. Ein Großteil der US-Bevölkerung ist mit diesem Vorgehen nicht einverstanden, die Gewerkschaften haben sich mit den „Papierlosen“ solidarisiert. Ungeachtet dessen nimmt die ICE Menschen bei Hausdurchsuchungen, Razzien am Arbeitsplatz, Kontrollen vor Gericht, Verhaftungen in Gerichtsgebäuden, Verhaftungen in der Nähe von Schulen und religiösen Stätten fest. So will man sie Stück für Stück aus Öffentlichkeit und Alltag verdrängen: Um ihnen den Lebensunterhalt und die Teilhabe an der Gesellschaft zu verunmöglichen, und damit letztlich auch die Solidarität mit ihnen zu unterminieren.

Das bisherige Vorgehen der ICE wurde mit einem Budget von zehn Milliarden Dollar finanziert. Mit der Unterzeichnung des „Big, Beautiful Bill“ am Freitag vergangener Woche wird dieser Etat um 100 Milliarden Dollar aufgestockt. Dieses Geld muss bis 2029 ausgegeben werden. Hinzu kommen 45 Milliarden Dollar für Abschiebehaftanlagen nach dem Vorbild des kürzlich inmitten der lebensfeindlichen Sümpfe Floridas eröffneten „Alligator Alcatraz“. Während das Weiße Haus Memes von Krokodilen mit ICE-Baseballmützen publiziert, versichert der Präsident, Orte wie dieser seien für die „Schlimmsten der Schlimmsten“ reserviert. In Wahrheit liegt gegen die meisten der jüngst Festgenommenen strafrechtlich nichts vor.

Die ICE verfügt jetzt über mehr Geld als das US-Gefängnissystem, das FBI und die Drogenbekämpfungsbehörde zusammen. Demgegenüber seien die restlichen Bestimmungen des „Big, Beautiful Bill“ bloße Details, prahlte Vizepräsident JD Vance auf „X“. Zu diesen „Details“ zählt unter anderem, dass womöglich elf Millionen Menschen ihre Krankenversicherung und bis zu 16 Millionen Kinder ihr kostenloses Mittagessen verlieren. Kurzum: Das Gesetz, so Forscher*innen der Universität Yale, könnte jährlich bis zu 51.000 US-Bürger*innen das Leben kosten.

Unterdessen gehen die Bilder aus dem „MacArthur“-Park und von Camp „Alligator Alcatraz“ um die Welt. Natürlich sollen sie Menschen davon abhalten, sich auf den Weg in die USA zu machen. Doch die Message ist auch nach innen gerichtet. Der militärische Aufmarsch soll keinen Zweifel lassen: Diese Regierung ist bereit, einen Krieg gegen die eigene Bevölkerung zu führen. Schon jetzt sind dabei nicht nur jene ohne gültigen Aufenthaltstitel, sondern auch die Armen gemeint.

Auch in Europa ist der Kampf gegen „illegale Einwanderung“ längst zu einem gegen die Armen geworden. Deshalb klebt man so hartnäckig an dem Wort „Migration“, statt von Flüchtlingen zu sprechen. Man will verdrängen, dass auch Armut, mangelnde Perspektiven und das Klima nur allzu verständliche Fluchtgründe sind. Die Bekämpfung der Armut kann allein über eine andere Wirtschaftsweise gelingen. Für die Bekämpfung der Armen hingegen genügen Zäune, Waffen und Skrupellosigkeit.

Dat kéint Iech och interesséieren

EDITO

„Platzverweis renforcé“: Abriträrer Angriff?

In einem zweiten Gutachten gibt der Staatsrat zu Recht seine Bedenken zum vorgeschlagenen verschärften Platzverweis zu Protokoll. Denn dieser bedroht gleich mehrere Rechte, darunter auch das Versammlungsrecht. Fast anderthalb Jahre nach der ersten Vorstellung und mehr als dutzenden Gutachten sowie einigen Änderungen später verbleibt der...