PERSPEKTIVEN DER NATION: Weniger ist nicht mehr

Das „Zukunftspaket“ der Regierung will mit der Behäbigkeit der Vergangenheit aufräumen. Das Ergebnis ist größtenteils einfach nur liberal und unsozial – und das ist nicht wirklich neu.

Die Becking-Brüder, Surabaya 1894. Gleiches Kindergeld für jedes Kind führt dazu, dass es bei mehr Kindern weniger Geld gibt! Foto: Wikimedia / PD

„Fünf Jahre danach sage ich es noch einmal: Wir müssen die Staatsfinanzen in den Griff kriegen. Diesmal sagt die Regierung das aber nicht nur, sie tut es auch.“ Xavier Bettel begann seine Budgetrede am vergangenen Dienstag mit einem geschickten Kunstgriff. Der fünf Jahre zuvor mit diesem Satz die Begrenzung der Staatsverschuldung angemahnt hatte, war niemand anderer als Jean-Claude Juncker. Bettel zitierte seinen Amtsvorgänger genüsslich, um seine Aussage von damals als leeres Gerede zu entlarven. Die Staatsschuld habe sich seit 2009 mehr als verdoppelt, führte Bettel an. „Verantwortung übernehmen heißt handeln, politischen Mut zeigen und auch schwierige und unpopuläre Entscheidungen treffen.“

Eigentlich müsste dieses Budget mit mindestens 55 von 60 Stimmen von der Chamber verabschiedet werden, schien Bettel sagen zu wollen: neben den Stimmen von DP, LSAP und Grünen auch noch den 23 von der CSV. Doch statt sich zu freuen, dass endlich Ernst gemacht wird mit der Entschuldung, kritisierte die CSV die Regierungsvorschläge – wie es sich für eine Oppositionspartei gehört. Allerdings – und hier scheint Bettels Rechnung aufzugehen – wussten die Christlich-Sozialen nicht, ob sie eher eine noch orthodoxere Sparpolitik fordern oder aber gegen die sozialen „Grausamkeiten“ wettern sollten. Wohl deshalb konzentrierten sie ihre Kritik auf Aspekte wie den Umstand, dass das Budget den Abgeordneten auf hübschen türkisfarbenen USB-Sticks statt in Form eines papiernen Wälzers übergeben wurde.

Die digitale Form passt zu Bettels Zukunfts-Rhetorik: Zukunftspaket, Zukunftsperspektiven, eine Zukunftskasse, die mit einem Zukunftsbeitrag finanziert wird. Gewiss, die Vortragskunst des neuen Premiers kann es
– noch? – nicht mit jener seines Vorgängers aufnehmen, doch er hatte seine Rede gut formuliert und die Themen clever ausgewählt. Bettel hielt bemerkenswerte Plädoyers, zum Beispiel für den Bau des Trams. Seine verbale Großzügigkeit gegenüber der Entwicklungshilfe, den „einem hohen Armutsrisiko ausgesetzten Alleinerziehenden“ und „allen, die hier leben und arbeiten“ – also auch den GrenzgängerInnen – hinterlässt allerdings einen schalen Nachgeschmack, wenn man sich die für sie vorgesehenen Maßnahmen ansieht.

Bettelonomics

258 Spar-Ideen hat die Regierung gesammelt, die sie in den nächsten vier Jahren umsetzen will – 2018 sollen sie den Haushalt um 510 Millionen Euro entlasten. Bei der Erläuterung beschränkte sich der Premier, ebenso wie Finanzminister Pierre Gramegna tags drauf, auf ein paar Beispiele. Zwar steht die Liste seit Mittwoch auf www.budget.public.lu online, doch zu vielen Maßnahmen gibt es bisher kaum Details – außer den eingesparten Summen, deren Spannweite von 1.000 Euro – für das Sportmuseum – und 68.319.000 Euro für die Erziehungszulage reicht. Auf der Liste finden sich viele „Grausamkeiten“, aber auch so manche Maßnahme, die man wohl schon längst hätte realisieren sollen. So zum Beispiel die Abschaffung des „Trimestre de faveur“ für in Rente gehende Staatsbeamte (2,5 Millionen Euro) oder die Entprivatisierung der Bewachung des Armeehauptquartiers (96.000 Euro). Bei den substanzielleren Einsparungen im 7- und 8-stelligen Bereich überwiegen allerdings die Grausamkeiten. Und Maßnahmen von zweifelhafter Effizienz, wie die Abwälzung von Ausgaben auf die Gemeinden.

Erinnern wir uns: Als einzige der drei Regierungsparteien hatte sich die DP im Wahlkampf ohne Einschränkung für die Budget-Konsolidierung ausgesprochen (woxx 1239). Bei der Ausarbeitung der Sparmaßnahmen holte sie sich Hilfe bei einer privaten Consultingfirma. Das Ergebnis: eine halb naive, halb rücksichtslose Aufzählung, die kaum der visionären Politik entspricht, die Bettels Zukunfts-Rhetorik beschwor. Entsprechen tut sie allerdings seinem Verschuldungs-Lamento, bei dem er mit unsinnigen Beispielen, wie der Pro-Kopf-Verschuldung von 14.000 Euro und dem Ausfall der E-Commerce-TVA – Größenordnung des Verlusts: die Kosten für zehn neue Gymnasien – hantierte. Bemerkenswert nur, dass er kein einziges Mal die Hauptursache der rapide gestiegenen Staatschuld erwähnte, nämlich die von den Finanzmärkten verschuldete Wirtschaftskrise.

Kaum verwunderlich, dass es für die Pläne der Regierung zur Haushaltskonsolidierung Beifall von Seiten der ArbeitgeberInnen gab, die allerdings den hohen Anteil an Neueinnahmen kritisierten. Auch die Gewerkschaften bemängelten die mit diesen einhergehende Belastung der Privathaushalte und Schwächung der Kaufkraft – man könnte fast meinen, sie seien grundsätzlich gegen jede Steuererhöhung.

Kanner, oh quel malheur!

Während die CSV-Kritik recht oberflächlich blieb, lief die ADR Sturm gegen die Sparmaßnahmen, die die Familien betreffen. Déi Lénk kritisierte generell die unsoziale Ausrichtung der Spar- und Steuerpolitik. Und verspottete Grüne und LSAP, die den Liberalen einfach „nachdackelten“. In der Tat, bei Maßnahmen wie der Kürzung des Kindergeldes stellten sich die FraktionssprecherInnen der Koalitionspartner einfach hinter die Regierung. Viviane Loschetter beteuerte, die neue Regelung sei „absolut tragbar, auch für eine Familie mit mehreren Kindern“, und verwies auf den politischen Mut, den man brauche, um die Staatsverschuldung abzubauen. Etwas geschickter führte Alex Bodry die Verbesserung der Sachleistungen als Kompensation für die Kürzung der Geldleistungen an – ohne aber zu erwähnen, wer dabei leer ausgeht: Eltern ohne „reguläre“ Arbeitszeiten und GrenzgängerInnen.

Dass dem Kindergeld und der Erziehungszulage so viel Aufmerksamkeit zuteil wird, hat gute Gründe. „Kinder, die heute zur Welt kommen, sind die Zukunft unseres Landes, und die Regierung stellt sie in den Mittelpunkt einer neuen Familienpolitik“, hatte Xavier Bettel angekündigt. Fakt ist, dass der Staat für Kinder, die nach Inkrafttreten der neuen Familienpolitik zur Welt kommen, erst einmal weniger Geld bezahlt als zuvor – eine Art „Fluch der späten Geburt“. Für das Spar-, pardon, Zukunftspaket stellt das einen erklecklichen Beitrag dar: Über 25 Millionen Euro bereits 2015 und fast 90 Millionen im Jahr 2018.

Die ersatzlose Streichung der Erziehungszulage erinnere an die ideologische Familienpolitik in der DDR, so die ADR. Warum die Regierung aufhören will, das traditionelle Familienmodell dadurch zu fördern, dass sie eine Kompensation vorsieht, wenn ein Elternteil den Beruf aufgibt um Kinder zu erziehen, hat Bettel allerdings klar begründet: Im Regelfall ist es die Frau, die die Erwerbstätigkeit aufgibt, und im Falle einer Scheidung dem Risiko sozialen Abstiegs ausgesetzt ist. Künftig soll – indem die Kinderbetreuung zum Teil unentgeltlich angeboten wird – das Doppelverdienermodell gegenüber dem traditionellen Modell gefördert werden. Die uneingeschränkte Unterstützung dieser Orientierung in linken Kreisen blendet aus, dass das Doppelverdienermodell, neben seiner emanzipatorischen Dimension, auch dem Wachstums- und Konsumwahn entgegenkommt.

Die falsche Steuerreform

Außerdem richtet sich die der Ausbau der Sachleistungen ganz klar gegen die GrenzgängerInnen, für deren Wohlergehen und Armutsrisiko sich die Regierung nicht zuständig fühlt. Unklar ist schließlich auch, ob die sich an den Stundenplan der Schulen anlehnende Gratis-Kinderbetreueung tatsächlich eine soziale Maßnahme darstellt. Denn gerade Niedrigverdienende müssen überdurchschnittlich oft zu unregelmäßigen Zeiten arbeiten. So scheint die neue Familienpolitik weniger auf Kindern und Frauen im Allgemeinen ausgerichtet zu sein, als auf in Luxemburg ansässige Mittelschichtfamilien mit einem oder zwei Kindern.

Zahlen müssen für den Ausbau der Kinderbetreuung dagegen alle, auch die, deren Kinder de facto oder de jure nicht von ihr profitieren. Mit der „Zukunftssteuer“ von 0,5 Prozent auf alle Einkommen – leicht reduziert für Niedrigverdienende – setzt die Regierung ein starkes Signal. Einerseits wird die angestrebte Haushaltskonsolidierung bis 2018 zu mehr als der Hälfte auf Neueinnahmen statt auf Sparmaßnahmen beruhen – ein klarer Sieg für LSAP und Grüne. Doch andererseits entsprechen die Erhöhung der Mehrwertsteuer und die Einführung einer Abgabe mit sehr geringer Progressivität eher liberalen Vorstellungen. Besonders störend ist, dass andere Vorschläge, wie die Reichensteuer, unter Verweis auf die anstehende „große Steuerreform“ vom Regierungstisch gewischt wurden. Ob diese die notwendige soziale Umverteilung und ökologische Ausrichtung bringen wird, ist zweifelhaft (siehe Edito).

Mit weniger lasse sich mehr machen, hatte die Dreier-Koalition versprochen und betont, dass „wir über unsere Verhältnisse leben“. Auch jetzt noch beteuern ihre VertreterInnen ungerührt, niemandem werde etwas weggenommen. Bettels Rede und die 258 Maßnahmen sprechen eine andere Sprache. Den Plädoyer für Frauen und Kinder stehen Kürzungen beim Kindergeld und bei anderen Leistungen gegenüber. Darüber hinaus werden vor allem bestimmte Gruppen von StaatsbeamtInnen zur Kasse gebeten. Und ebenso Arbeitslose und RMG-BezieherInnen, für deren Wiedereingliederung der Staat weniger zahlen will, die dafür aber stärker unter Druck gesetzt und nötigenfalls von Leistungen ausgeschlossen werden sollen. So können auch sie ihren Beitrag zur Konsolidierung leisten und neue Perspektiven für Luxemburg eröffnen.


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