Verlierer in Afghanistan ist eine sich jetzt selbst überlassene Generation, der westliche Solidarität vorgegaukelt wurde.
Egal wie man zum Einsatz in Afghanistan, der 2001 immerhin mit UNO-Mandat versehen war, stand oder steht: Das, was 20 Jahre später in diesem Land abläuft, lässt sich nur als Bankrotterklärung einer Politik bezeichnen, welche die Wahrung ureigener Interessen über das Versprechen stellt, eine authentische, demokratische Gesellschaft aufbauen zu helfen.
Die anfänglich schnellen militärischen Erfolge gegen Al-Qaida, gepaart mit dem Vertreiben der Taliban, mögen die einen als Erfolg, die anderen als scheinheiliges Manöver gewertet haben; was folgte, war jedenfalls ein bestenfalls halbherziger Versuch, menschenwürdige und demokratische Verhältnisse zu schaffen.
Dass am Ende aus dem Nationbuilding tatsächlich nur die Aufrechterhaltung eines korrupten Übergangsregimes wurde, hatten vor Ort viele schon früh erkannt, und nach anderen Maßnahmen und anderen Mitteln gerufen. Ihnen bleibt nun allein die schwache Hoffnung, die eigene Haut retten zu können.
Erst knapp eine Woche vor dem Sturm auf Kabul durch die Taliban entschied sich Deutschland für einen Abschiebestopp afghanischer Flüchtlinge. Auch Luxemburg hat – zumindest noch 2019 – nach Afghanistan abgeschoben. Dabei appellierten die Flüchtlingsorganisationen seit Jahren an die EU-Mitgliedstaaten, niemand dorthin zurückzuschicken. Dies nicht nur wegen der Bedrohung durch die Taliban, sondern auch aufgrund der Unfähigkeit der dortigen Regierung, für die Unversehrtheit der eigenen Bevölkerung zu sorgen.
Die Bedrohung der Menschen in Afghanistan war niemals nur theoretisch, sondern immer schon real und ist in den letzten Tagen nur noch drastischer geworden, wie die verzweifelten Rufe afghanischer Mitarbeiter*innen diverser Menschenrechts- und Hilfsorganisationen zeigen.
Man mag die Beteuerungen seitens der Taliban, diesmal gemäßigter vorzugehen, als Indiz dafür sehen, dass diese nicht mehr damit rechnen, die Weltgemeinschaft werde Menschenrechtsverletzungen einfach ignorieren. Es geht aber nicht nur um die mediale Wirkung. Es muss auch dafür Sorge getragen werden, dass sich entsprechende Verbrechen nicht im Stillen ereignen.
Es reicht nicht, jetzt noch schnell ein paar Flieger vollzustopfen.
Die häufig noch sehr jungen engagierten Menschenrechstkämpfer*innen mögen jetzt untertauchen und mittelfristig auch einen Weg aus dem Land herausfinden. Doch sind viele von ihnen, die an vorderster Front standen und sich auch manchmal nicht scheuten mit der vorigen Regierung und den alliierten Truppen zu streiten, jetzt einer großen Gefahr ausgesetzt, weil den neuen Machthabern selbst zarteste Demokratiepflänzchen zuwider sind.
Daher bleibt insbesondere den Ländern, die direkt oder indirekt an den militärischen Operationen in Afghanistan beteiligt waren, keine andere Option, als sich auf neue Flüchtlinge einzustellen. Dabei kann es nicht in erster Linie darum gehen, sie an ohnehin bereits überforderte Drittstaaten in der dortigen Region zu verweisen, sondern sie auch in ausreichendem Umfang direkt aufzunehmen.
Leider deuten die ersten innereuropäischen Gespräche in eine gänzlich andere Richtung. Es reicht aber nicht, jetzt noch schnell ein paar Flieger mit Flüchtenden vollzustopfen und dann zur Tagesordnung überzugehen.
Der (Nicht-)Umgang mit Schutzbedürftigen hat ebenfalls eine globale Außenwirkung. In den zahlreichen Krisenherden der Welt schaut die Zivilgesellschaft, die sich vielfach zwischen allen Fronten wiederfindet, gebannt auf Afghanistan und auf das, was dort mit ihresgleichen passiert. Der wahre Wert westlicher Solidaritätsbekundungen wird ihnen eine Lehre sein.
Ein rein verbales Bedauern um das Schicksal der jetzt sich selbst überlassenen Frauen und Männer reicht nicht, um ein Minimum an Glaubwürdigkeit zurückzuerlangen. Aber vielleicht ist ja eine allzu handlungsfähige, authentische und emanzipatorische Zivilgesellschaft auch gar nicht erwünscht. Nicht in Afghanistan und auch nicht anderswo.