Backcover: „Meine Werke bieten einen Zufluchtsort“

Léa Giordano fotografiert, um Erlebtes einzufangen und filmt, um Gefühle zu verarbeiten. Dabei vermischt sie Zeitgefühl und eröffnet Parallelwelten. Ein Gespräch über die Unbeständigkeit von Film und Erinnerungen.

woxx: Léa, Sie haben mit Fotografie angefangen, arbeiten mittlerweile aber vor allem mit Film. Wie hat sich Ihre Praxis in den letzten Jahren entwickelt?

Die Nachwuchskünstlerin Léa Giordano im Porträt. (Foto: © Courtesy of artist)

Léa Giordano: Nach dem Arts et Métier in Luxemburg habe ich erst mal Fotografie in Brüssel studiert. Es war eine schwierige Zeit, denn ich habe mich dort oft verloren gefühlt. Rückblickend kam der Wandel vom unbewegten zum bewegten Bild jedoch zu dieser Zeit: An der „École de recherche graphique“ in Brüssel habe ich zum ersten Mal gelernt, wie man Film entwickelt. Das hat damals keinen größeren Platz in meiner Praxis eingenommen – doch einige Jahre später auf der „Gerrit Rietveld Akademie“ in Amsterdam habe ich gemerkt, dass Bewegtbilder dennoch einen Einfluss auf meine Arbeitsweise haben. Für mich war das ein Aha-Moment. Unbewegte Bilder sind an sich schon sehr ausdrucksstark, doch das bewegte Bild – sogar ohne jeglichen Ton, ich arbeite ja analog – erlaubt dir, das Publikum anders zu stimulieren. Du entwickelst ein anderes Zeitgefühl, atmest mit der in der Hand gehaltenen Kamera mit. Es erschafft eine sinnliche Erfahrung. Seit letztem Sommer mache ich einen „Research Master“ an der Filmakademie in Amsterdam. Ich forsche über Zeit, Vergangenheit, Gefühle, Erinnerungen und vor allem diese sensorische Erfahrung von Film.

Was meinen Sie damit?

Anstatt einer Sache nur zweidimensional zu begegnen – auf einer unbewegten Fotografie – versuche ich anhand von Film, Landschaften zu erschaffen, die Zuschauer stimulieren. Durch die Präsentation bestimmter Farben oder intimer Szenen – wie die Darstellung menschlicher Haut etwa – wecken die Bilder Erinnerungen. Film ist nicht nur visuell: Auch andere Sinne wie Gerüche spielen dabei eine Rolle und können Erinnerungen hervorrufen. Im Grunde geht meine aktuelle Arbeit der Frage nach, wie Bilder Gefühle wecken.

Was fasziniert Sie an der Arbeit mit einer analogen Kamera?

Es ist ein Format, das mich inspiriert, teils weil ich es nicht vollkommen kontrolliere. Außerdem ist es ein langsames Medium, obschon auch dies später nicht wahrnehmbar ist. Man gibt einem Bild einen eigenen materiellen Körper – der Film wird zu einem Schatz. Und gerade deshalb arbeite ich mit analogem Film. Zudem können die verschiedensten Farben und Elemente entstehen, es öffnen sich immer neue Türen. Ich bin einfach völlig verzaubert davon. Es ist dieses Unerwartete, das einem den wahren Respekt vor dem Medium abverlangt. Ich wünsche mir, dass die Leute genau diese Magie empfinden, wenn sie meine Werke sehen.

Warum bilden Gefühle und Erinnerungen die Basis Ihrer Werke?

Ausgestellte Installation während der „Nuits des musées“. (Foto: © Courtesy of artist)

Das erste Mal, als mich eine Erinnerung stark überkam, war, als ich einen Super8-Film meiner Familie sah. Die Farben des Kodachrome hatten eine besondere Intensität … sie haben mich sofort in diesen bestimmten Moment zurückkatapultiert, und ich habe ihn erneut erlebt. Diese Erfahrung hat mich enorm geprägt. Wenn ich ein Foto schieße, halte ich einen Moment für die Zukunft fest. Doch dieser Moment bleibt nicht bestehen. Deshalb mache ich nun Filme, die den Ablauf der Zeit selbst thematisieren. Zum Beispiel habe ich eine Installation geschaffen, „Ephemeral Echoes: A Tribute to Lost Memory“, in der Bleichmittel auf einen Film hinuntertröpfelt. Im Laufe der chemischen Reaktion lösen sich die Filmbilder langsam auf und symbolisieren den Verlust und die Vergänglichkeit der menschlichen Erfahrung. Oder ein anderes Werk, „As Long as it Lasts“, eine Super8-Installation mit vier simultanen Projektionen von Liebespaaren, die den Raum durchqueren. Dieses Werk beschäftigt sich mit der Angst, einen geliebten Partner zu verlieren. Der Betrachter steht vor diesen Projektionen und sieht sich sowohl mit den Liebespaaren auf der Leinwand als auch mit der mechanischen Essenz der Installation konfrontiert, die aus analogen Projektoren mit ihren unterschiedlichen Geräuschkulissen besteht.

„Indem ich diesen Gedanken, Fragen und Erinnerungen einen Körper gebe und sie auf Film banne, kann ich mich besser mit ihnen anfreunden.“

Das Endergebnis der Filme ist bei diesen Prozessen nicht vorhersehbar. Inwiefern spielt Kontrolle bei dem Entstehen eines Werkes eine Rolle?

Blick hinter die Kulissen: Der Film „As Long as it Lasts“ als Installation im Raum. (Foto: © Courtesy of artist)

Ich brauche viel Kontrolle über mein Umfeld. Fehlt mir das, fühle ich mich schnell verloren. Ich habe viele Ängste: Im Grunde bietet meine Arbeit mir einen Zufluchtsort. Im Leben gibt es jedoch so viele Momente, in denen man keine Kontrolle über das Geschehen hat. Dementsprechend nimmt dies in meinen Werken einen wichtigen Platz ein: Das Spielen mit und manchmal das Verlieren von Kontrolle – mit dem Medium Film als Assistent, oder halt als Chef, wie man es gerade nimmt. Das Bild des Pferdes, das in der woxx erscheinen wird, ist ein gutes Beispiel: Anfangs hatte ich ein bestimmtes Bild im Kopf, ich wollte eine Solarisation (Anm.d.R. starke Überbelichtung des fotografischen Films) des Pferdes machen. Als ich das Bild in der Dunkelkammer entwickelt habe, habe ich mit Mattpapier statt meinem üblichen „Perlé satin“ gearbeitet und hatte jedoch keine Kontrolle über das ungewohnte Material. Und dann kam noch das rote Licht der Dunkelkammer dazu: Irgendwie ist mir das in rotes Licht getauchte Bild des Pferdes im Gedächtnis geblieben. Da habe ich eine Alternation des Fotos gemacht und es mit Photoshop erneut digital nachbearbeitet, sodass das Endergebnis grellrot ist. Film ist demnach ein organisches Medium und ich passe mich an, arbeite so, wie ich mich fühle und der Film es erlaubt.

Das Pferdebild ist eins der vier Fotos, die Sie auf unseren Backcovers im März vorstellen. Warum haben Sie sich für diese vier entschieden?

Anfangs wollte ich eine Serie von Porträts auswählen, doch die mögliche Auswahl war etwas überwältigend. Ich will den Lesern etwas geben, was sie ausschneiden und behalten könnten – das war am Ende mein Kriterium. Die ausgewählten Fotos sind alle irgendwie mysteriös, finde ich, als gehörten sie in die gleiche Welt. Zwei von ihnen kommen aus meiner Serie „Shelter of Blue“, an der ich sehr hänge. An dem Pferdefoto finde ich das Zusammenspiel von positiv und negativ – vor allem auch in schwarz-weiß, wie es nun gedruckt werden wird – sehr spannend, weil es nichts ist, was einem im Alltag begegnet. Sowohl negativer als auch positiver Film nehmen eine große Rolle in meiner Arbeit ein. Positive Film können analog projiziert werden, negative hingegen behalte ich so, wie sie sind, oder wandele sie manchmal ins Digitale um und projiziere sie anschließend über Beamer. Das Pferd selbst finde ich geheimnisvoll, symbolträchtig und intelligent. Auch das zweite Bild, das ich ausgesucht habe, spielt mit dem Kontrast zwischen Schwarz und Weiß, und hat zudem eine Textur, die ich liebe. Das Bild mit den zwei Rehen hat auch etwas Rätselhaftes: Als ich das Negativ in der Hand hielt, konnte ich mich nicht daran erinnern, das Foto gemacht zu haben. Die beiden Rehe haben mich so überrascht, ich musste mich vergewissern, dass es sehr wohl meine Kamera war. Ist man beim Schießen eines Fotos zu sehr in seinem eigenen Kopf, dann verpasst man solche Momente. Das Foto erlaubt einem aber später, das Versäumte wieder zu erleben. Das letzte Bild habe ich in einer Wüste in Australien gemacht. Dabei schätze ich die Verbindung zwischen Menschen und Natur. Durch die Zusammenführung dieser verschiedenen Bilder und ihre Trennung von ihrem ursprünglichen Beitrag entsteht eine neue Erzählung: über das Verhältnis von Tier, Mensch und Natur, oder dessen Abwesenheit. So haben die einen Bilder einen Einfluss auf die anderen und fügen sich zu neuen Narrativen zusammen. Sie gehören zu etwas Ganzem, vielleicht diesem Zufluchtsort, den meine Werke für mich darstellen.

Über die Künstlerin

Léa Giordano fotografierte schon als Kind. Während ihre Fotos ein spontanes Einfangen von Erlebnissen sind, arbeitet sie heutzutage hauptsächlich mit Film – Film „kommt aus meinen tiefsten Inneren“, sagt sie. „Indem ich diesen Gefühlen einen Körper gebe und sie auf Film banne, kann ich mich besser mit ihnen anfreunden.“ Zu ihren rezenten Werken gehören „Sun and Moon“, „Shared air.s“ oder „Sugnu Sicilanu”, in denen sie unter anderem Identitätsfragen nachgeht. Ihren Inspirationsquellen gleich – von Marina Abramović und Andy Warhol bis zu Stan Brakhage – setzt sich Giordano mit Zeit, Kontrolle und dem Selbst auseinander. Mehr Informationen auf: www.leagiordano.com


Cet article vous a plu ?
Nous offrons gratuitement nos articles avec leur regard résolument écologique, féministe et progressiste sur le monde. Sans pub ni offre premium ou paywall. Nous avons en effet la conviction que l’accès à l’information doit rester libre. Afin de pouvoir garantir qu’à l’avenir nos articles seront accessibles à quiconque s’y intéresse, nous avons besoin de votre soutien – à travers un abonnement ou un don : woxx.lu/support.

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen?
Wir stellen unsere Artikel mit unserem einzigartigen, ökologischen, feministischen, gesellschaftskritischen und linkem Blick auf die Welt allen kostenlos zur Verfügung – ohne Werbung, ohne „Plus“-, „Premium“-Angebot oder eine Paywall. Denn wir sind der Meinung, dass der Zugang zu Informationen frei sein sollte. Um das auch in Zukunft gewährleisten zu können, benötigen wir Ihre Unterstützung; mit einem Abonnement oder einer Spende: woxx.lu/support.
Tagged .Speichere in deinen Favoriten diesen permalink.

Die Kommentare sind geschlossen.