Belgien: Klima und Klassenkampf

Die Grünen und der linke PTB werden aller Voraussicht nach große Gewinner der belgischen Föderalwahlen. Frankophone Sozialisten und regierende Liberale könnten abstürzen, die rechtsliberale N-VA muss wohl ebenfalls Federn lassen.

Ins Bild gerückt: welcher Kandidat, welche Kandidatin, für welches Parlament? In Belgien wird am 26. Mai gleich dreimal gewählt. (Foto: woxx)

In Belgien wird am übernächsten Sonntag gleich dreimal gewählt: Neben den Europawahlen finden im Nachbarland auch die Wahlen zur belgischen Abgeordnetenkammer sowie zu den vier Regionalparlamenten (in Flandern, Wallonien, Brüssel-Hauptstadt und der Deutschsprachigen Gemeinschaft) statt. Ein Teil der Sitze im Senat wird ebenfalls neu gewählt.

Die Grünen werden an diesem Superwahltag wohl an ihren Erfolg bei den Kommunalwahlen im vergangenen Oktober anknüpfen können. Laut der jüngsten Umfragen zeichnet sich dies für die Föderalwahlen bereits deutlich ab.

So liegt „Ecolo“ mit den für Brüssel prognostizierten 21,5 Prozent noch vor dem „Parti Socialiste“ (PS; 19 Prozent). In Wallonien ist man dem PS mit 22 Prozent ebenfalls dicht auf den Fersen. Gleichwohl bleiben die Sozialisten dort mit 24,7 Prozent noch immer die stärkste Partei. Jedoch wird der PS laut Umfrage gegenüber den Wahlen von 2014 abermals mehr als sieben Prozent einbüßen; das wäre erneut ein historisch schlechtes Resultat.

In Flandern hingegen lässt die N-VA (Nieuw-Vlaamse Alliantie) das restliche Feld trotz drohender Verluste wohl einmal mehr weit hinter sich: Wenn man der Erhebung glauben will, wird die rechtsliberal-separatistische Partei 27,9 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen, nahezu doppelt so viele wie die Verfolger von den Christdemokraten CD&V (14,7 Prozent) und von „Groen“ (14,6). Auch den flandrischen Grünen wird indes ein Stimmzuwachs von sechs Prozent vorausgesagt.

Flanderns starke Rechte

Wie anderswo ist auch in Belgien eine der Fragen, was aus den Rechtsextremen und den Rechtspopulisten wird. Während dieses politische Spektrum der Erhebung nach in Brüssel und Wallonien keine Rolle spielen wird, sieht es in Flandern ganz anders aus. Der rechtsextreme „Vlaams Belang“ kommt dort den Prognosen zufolge auf über neun Prozent, was gegenüber den Wahlen von 2014 einem Zuwachs von 3,5 Prozent entspräche.

Bereits seit den Kommunalwahlen setzt der „Belang“ die N-VA erheblich unter Druck. Da hatte die hardcorerechte Partei einen Stimmzuwachs von 8,9 auf 13 Prozent verbuchen können, während die rechte N-VA rund vier Prozent der Stimmen verlor. „Ce sont les déçus de la N-VA qui retournent vers le Belang et cela n’a rien de surprenant“, analysierte der Politologe Dave Sinardet die Wählerwanderung in der belgischen Tageszeitung „Le Soir“.

Wohl nicht zuletzt als Reaktion darauf hatte die N-VA noch Ende Oktober ihre Zustimmung zum UN-Migrationspakt zurückgezogen. Als Premierminister Charles Michel vom liberalen „Mouvement Réformateur“ (MR) diesen im Dezember dennoch unterzeichnete, ließ die N-VA die föderale Regierungskoalition mit den flämischen Christdemokraten CD&V und den Liberalen von MR und „Open Vld“ (Open Vlaamse Liberalen en Democraten) platzen. Um einem Misstrauensvotum zuvorzukommen, trat Michel daraufhin zurück; ohne die N-VA bleibt die von ihm geführte Regierung bis nach den Wahlen geschäftsführend im Amt.

Für den Vlaams Belang scheint dennoch gar ein Stimmzuwachs um bis zu sieben Prozent nicht unmöglich, rechnet man das Ergebnis der Kommunalwahlen auf die regionalen Verhältnisse um. Doch selbst falls die Stimmenwanderung von der N-VA zum „Belang“ weniger drastisch ausfallen sollte: Auch die wirtschaftsliberale N-VA steht in vielerlei Hinsicht für ein scharf rechtes Programm. Verkörpert wird dies nicht zuletzt durch Theo Francken, der bis zum Ausstieg seiner Partei aus der Regierung als Staatssekretär für Asyl- und Migrationspolitik verantwortlich war und für eine äußerst rigide Haltung gegen Flüchtlinge und Migrant*innen steht. Seine Politik zu diesen Themen sei vom Vlaams Belang inspiriert, gab Francken vergangenes Jahr zu Protokoll. Auch wegen seiner Nähe zu einstigen Nazi-Kollaborateuren hat Francken von sich reden gemacht.

Was unter den Nägeln brennt

Links vom PS sieht es ganz so aus, als ob der um eine undogmatische linksradikale Haltung bemühte „Parti du Travail de Belgique“ (PTB) ebenfalls an seinen enormen Erfolg bei den Kommunalwahlen anknüpfen könnte. Beinahe 15 respektive zwölf Prozent werden den Marxisten in Wallonien und Brüssel prognostiziert. Mit einem Stimmzuwachs von rund neun bzw. acht Prozent wird der PTB in diesen Regionen neben den Grünen die einzige Partei sein, die massive Zugewinne zu verzeichnen hat, während sich PS und MR dort im freien Fall befinden.

„Unsere Menschen zuerst“: Der rechtsextreme Vlaams Belang versucht mit völkischen Parolen zu punkten – auch in Stadtvierteln mit einem hohen Anteil an migrantischen Bürger*innen.

Zwar werden im Wahlkampf eine Vielzahl von Themen angesprochen, etwa der Wohnungsbau, die Bildungs- und Justizreform oder die Renten- und Steuerpolitik. Dennoch scheint das Interesse der Wähler*innen im Wesentlichen von den Fragen dominiert, die bei den Wahlen zum EU-Parlament eine Rolle spielen: Klima und Umweltschutz, Migration, aber auch der Arbeitsmarkt und die Sozialpolitik. Mehr als die Hälfte der Menschen in Wallonien und Brüssel geben an, dass sie mit den ihnen monatlich zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln kaum über die Runden kommen (58 bzw. 51 Prozent), während in Flandern mehr als die Hälfte keinen Grund zum Klagen sieht (58 Prozent). Die Interpretation, wonach rechte Parteien vor allem bei sozial unter Druck stehenden oder „abgehängten“ Schichten ihre Wähler*innen finden, sieht sich dadurch einmal mehr in Frage gestellt, spielt dieses Parteienspektrum doch in Wallonien und Brüssel kaum eine Rolle.

Schreckgespenst Separatismus

Die N-VA versuchte in den vergangenen Wochen und Monaten zudem mit ihrem eigentlichen Kernthema zu punkten: dem Separatismus. Insbesondere Parteichef Bart de Wever hat für den so genannten „confédéralisme“ die Trommel gerührt. Ein solcher „Staatenbund“ bestünde im Extremfall aus zwei unabhängigen Staaten, die jeweils souverän darüber entscheiden würden, welche Staatsaufgaben gegebenenfalls gemeinsam geregelt werden. Der Erfolg der Kampagne ist allerdings laut Umfragen bescheiden: 37 Prozent der Wähler*innen wissen nämlich gar nicht, worum es dabei geht; ausgerechnet in Flandern, der politischen Heimat der N-VA, sind es sogar 39 Prozent. Weitere 39 Prozent der Befragten in Belgien lehnen die Idee ab, lediglich 24 Prozent können ihr etwas abgewinnen.

Aller Voraussicht nach wird es einmal mehr schwer werden, eine tragfähige Föderalregierung zu bilden. „En essayant de former des coalitions […] il devient plus facile de trouver les coalitions impossibles que celles qui ont une possibilité d’aboutir“, heißt es etwa auf den Internetseiten des frankophonen belgischen Rundfunksenders RTBF, wo auf der Grundlage der aktuellen Umfrageergebnisse alle Möglichkeiten durchgespielt werden.

Chaos Koalitionsbildung?

Zwar träumt Bart de Wever von einer Mitte-Rechts-Regierung unter maßgeblicher Beteiligung seiner Partei, genau das scheint jedoch gemäß der RTBF-Szenarien ausgeschlossen. Die N-VA bliebe mit 27 Sitzen demnach belgienweit die stärkste Partei, doch ohne die Beteiligung einer linken Partei bekäme man aufgrund der eigenen Verluste (vier Sitze) das für eine Mehrheit erforderliche Minimum von 76 Sitzen nicht zusammen; zumindest nicht solange der „cordon sanitaire“ gegen den „Vlaams Belang“ noch hält.

Für den Fall einer linken Regierungskoalition prophezeit de Wever daher einen „Steuertsunami“, den er mit der Verschärfung eines separatistischen Kurses Flanderns beantworten will, wo seine Partei im Regionalparlament die Hausmacht bleibt. Im wallonischen Regionalparlament würden aktuell sowohl „Ecolo“ wie auch der PS jeweils 20 der insgesamt 75 Sitze gewinnen; nicht ausgeschlossen daher, dass die Grünen dort sogar die Regierungsbildung übernehmen.

Während die Regierungsbildung auf regionaler Ebene also eher rasch gelingen könnte, ist es gut möglich, dass die belgische Regierung noch eine ganze Weile unter der kommissarischen Verwaltung des Kabinetts von Charles Michel verweilt.


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