Einwanderung, Wachstum, Klimaschutz, Sicherheit und Jugendarbeitslosigkeit brennen den Wähler*innen unter den Nägeln, wenn man aktuellen Umfragen glauben darf – das enorm hohe Armutsrisiko in der EU hingegen nicht.
Die Einwanderung aus dem außereuropäischen Ausland (35 Prozent), das Klima (29 Prozent) sowie Frieden und Innere Sicherheit (23 Prozent) – das sind einer aktuellen Umfrage in acht EU-Mitgliedstaaten zufolge die Themen, die die Wählerinnen und Wähler vor den Europawahlen als größte Herausforderungen der Union und damit auch des künftigen Europaparlamentes betrachten.
Die von dem Umfrageinstitut „YouGov“ durchgeführte Studie war von der europäischen Medienkooperation „Lena“ (Leading European Newspaper Alliance) in Auftrag gegeben worden und wurde in Belgien, Frankreich, Deutschland, Italien, Spanien, Polen sowie in Schweden und Ungarn durchgeführt; sie ist repräsentativ für die dort lebenden 320 Millionen EU-Bürger*innen und somit für immerhin 62 Prozent der gesamten Europäischen Union.
61 Prozent der Befragten begrüßen die Mitgliedschaft ihres Landes in der EU, und immerhin 51 Prozent betrachten die Wahlen zum EU-Parlament als genauso bedeutsam wie Nationalwahlen. Entsprechend sehen 49 Prozent den anstehenden Urnengang als einschneidend für die künftige Entwicklung der EU; zehn Prozent widersprechen dem, zwölf Prozent sind unentschieden.
Im Schnitt erkennen 43 Prozent aller Befragten im Erstarken populistischer Parteien eine Gefahr für eine funktionierende Europäische Union. Lediglich 33 bzw. 36 Prozent in Ungarn und Italien sehen das so, hingegen benennen 56 Prozent der deutschen Befragten dies als Problem.
Der YouGov-Umfrage zufolge sind 46 Prozent aller Teilnehmer*innen der Meinung, dass die EU nicht länger Flüchtlinge aus Krisenregionen bei sich aufnehmen muss; nur 25 Prozent sprechen sich dafür aus und damit für die Wahrung des Grundrechts auf Asyl. Allein in Deutschland ist das Verhältnis umgekehrt: Hier begrüßen 41 Prozent die weitere Aufnahme von Flüchtlingen und bloß 31 Prozent sind dagegen.
Luxemburg: Top-Thema Klimaschutz
Die von den Befragten genannten Prioritäten decken sich in mancherlei Hinsicht mit den Frühjahrs-Ergebnissen des von der Europäischen Kommission regelmäßig veröffentlichten „Eurobarometer“ (ausführlich hier): Auch diesen zufolge sprechen sich 61 Prozent für eine Mitgliedschaft ihres Landes in der EU aus, ebenso viele sehen das Erstarken von „Protestparteien“ als Problem.
Allerdings werden dort teils andere Themen als wichtigste Herausforderungen für die Zukunft der Union benannt: 50 Prozent der Teilnehmer*innen in 27 Ländern sahen im Untersuchungszeitraum (Februar-März 2019) „Wirtschaft und Wachstum“ als drängendstes Problem, das im Zuge der EU-Wahlen diskutiert werden sollte, 49 Prozent betonten die Jugendarbeitslosigkeit. Auf den Plätzen drei bis sechs rangierten Immigration (44 Prozent), Klima und Umwelt (43 Prozent) sowie der Kampf gegen den Terrorismus (41 Prozent). In Luxemburg wurden als Top-Themen Klimawandel (56 Prozent), Jugendarbeitslosigkeit (51 Prozent), Terrorismus (42 Prozent) und Immigration (39 Prozent) genannt.
Die Armut in der Europäischen Union scheint demnach nicht unter den größten Sorgen der EU-Bürger*innen zu sein, wenn man den beiden Studien folgt. Dabei bestünde aktueller Zahlen zufolge aller Grund dazu: 2017 war nahezu jede und jeder Vierte in der EU mit dem Risiko der Armut bzw. der damit verbundenen sozialen Exklusion konfrontiert.
Dass Armut in den präsentierten Studien nicht genannt wird, kann aber möglicherweise auch den dort verwendeten Fragetechniken geschuldet sein. So stand beispielsweise die „Eurobarometer“-Studie wiederholt in der Kritik, etwa durch die Wissenschaftler Martin Höpner und Bojan Jurczyk in der Zeitschrift „Leviathan“. Dort gestehen sie zwar zu, dass die Erhebungen „sinnvoll genutzt werden können“, zugleich unterstellen die beiden Forscher jedoch, dass die Eurobarometer-Studien einer methodischen Verzerrung unterliegen, um „die Integrationsbereitschaft der Europäerinnen und Europäer so ausgeprägt wie möglich darstellen zu können“. Dazu werde beispielsweise mit „Unterstellungen und Suggestivfragen“ gearbeitet, ebenso fänden sich „nicht ausbalancierte Antwortkategorien“ vor.