Bemerkenswerte Bäume: Den Wald vor lauter Listen nicht sehen

Die Liste der bemerkenswerten Bäume wird drastisch gekürzt, behauptete der Mouvement écologique. Das Umweltministerium widersprach vehement, die Liste werde sogar erweitert. Die Wahrheit ist weitaus komplizierter. Eine verworrene Geschichte über verschiedene Listen, Koordinaten und schlechte Kommunikation.

Diese Eiche auf Bicherhaff ist über 500 Jahre alt, sie gilt als bemerkenswerter Baum. Doch auf welcher der drei Listen der bemerkenswerten Bäume kommt sie vor? (Foto: CC BY-SA 4.0 GilPe/Wikimedia)

Am Montag, dem 24. Juni, veröffentlichte der Mouvement écologique (Méco) eine Pressemitteilung, in der die Umweltorganisation das Verschwinden von 400 Bäumen von der Liste der „bemerkenswerten Bäume“ (im Original „Arbres remarquables“) bemängelte. Die woxx griff diese Nachricht am darauffolgenden Freitag, dem 28. Juni, in einem Editorial auf. Nach Redaktionsschluss am Donnerstagabend, als die woxx-Printausgabe bereits in Druck war, reagierte das Umweltministerium auf die Aussagen des Méco. Dieser habe „eine fälschliche Umkehrung der Tatsachen“ begangen: In Wahrheit sei die Liste gar nicht gekürzt worden, sondern es würden sogar mehr Bäume aufgenommen. Die Liste, auf die sich das Méco bezogen habe, sei eine Liste mit Bäumen, die „grundsätzlich förderfähig waren“, jedoch nicht die Liste der bemerkenswerten Bäume.

Was war passiert? Hatte die Umweltorganisation gelogen oder unabsichtlich die falsche Liste herangezogen? Und die woxx die Informationen des Méco einfach geglaubt, ohne sie zu überprüfen? Auch wenn die Mitteilung des Umweltministeriums so klang, war die Geschichte dennoch komplizierter. Die Liste, auf die sich der Méco in seiner Pressemitteilung bezog, war auf Emwelt.lu, dem Portal des Umweltministeriums, hochgeladen. Die Unterseite, auf der das Dokument verlinkt ist, trägt den Titel „Arbres remarquables“. Die Datei heißt „Arbres-rem-ANF-181008.pdf“, sie enthält 537 Einträge, überschrieben ist sie mit dem etwas sperrigen Titel „Liste der Bäume gemäss (sic) Artikel 1, Absatz 2 der großherzoglichen Verodnung (sic) vom 18. März 2008 betreffend die Beihilfen zur Verbesserung der natürlichen Umwelt[,] Fassung vom 08.10.2018“.

Die Liste mit dem falschen Namen

In der betreffenden großherzoglichen Verordnung – die mittlerweile nicht mehr in Kraft ist – heißt es: „La restauration d’arbres remarquables, classés comme monument national ou inscrits à l’inventaire supplémentaire des monuments nationaux respectivement à la liste des arbres remarquables établie par l’Administration des Eaux et Forêts, peut être subventionnée indépendamment de leur emplacement à l’extérieur ou à l’intérieur du périmètre d’agglomération.“ Dieser gesetzliche Text bezieht sich also auf zwei oder gar drei verschiedene Listen, eine oder zwei der ehemaligen Denkmalschutzbehörde (heute: Institut national pour le patrimoine architectural, Inpa) und eine der ehemaligen Forstverwaltung (heute: Naturverwaltung, abgekürzt ANF). Bei der Höhe der Beihilfen unterschied die Verordnung zwischen einfachen bemerkenswerten Bäumen (Subvention in Höhe von 50 Prozent der Kosten) und solchen, die auf der Liste der nationalen Denkmäler des heutigen Inpa stehen (75 Prozent der Kosten).

Es gab also keinen Anhaltspunkt, um davon auszugehen, dass es sich bei der Liste der ANF nicht um die – oder zumindest eine – Liste der bemerkenswerten Bäume handelte. „Es war ein Fehler, diese Liste als Liste der ‚arbres remarquables‘ zu betiteln, weil es nach dem Naturschutzgesetz, das 2008 in Kraft war, gar nicht möglich war, ‚arbres remarquables‘ über das Naturschutzgesetz auszuweisen. Diese Liste, die von der ANF aufgestellt wurde, diente als Referenz, um zu entscheiden, ob Restaurationsarbeiten bei Bäumen genehmigt werden konnten“, so eine Sprecherin des Umweltministeriums schriftlich gegenüber der woxx. Seit dem Abend des 28. Juni gibt es auf der entsprechenden Webseite auch einen Hinweis, dass die Liste nicht mehr aktuell und in Überarbeitung ist.

Die juristische Situation ist durchaus kompliziert. Zum einen gab es die Liste der nationalen Monumente des Inpa, die mit dem Gesetz vom 18. Juli 1983 zum Schutz der „sites et monuments“ geschaffen wurde. In diesem Gesetz gab es keinen expliziten Verweis auf bemerkenswerte Bäume. Der existiere auch im Naturschutzgesetz von 2004 nicht. Jedoch kommen die Bäume in der bereits erwähnten großherzoglichen Verordnung von 2008 vor – dort wurde auch explizit die Liste der ANF angeführt. Diese Verordnung galt zumindest bis 2019.

Juristisches Wirrwarr

(Foto: CC BY-SA 4.0 GilPe/Wikimedia)

Im Oktober 2019 trat nämlich eine neue großherzogliche Verordnung in Kraft, in der die Passage über die bemerkenswerten Bäume verändert worden war. Die Subvention von 50 Prozent galt nun für alle „Solitärbäume, die aufgrund ihres Durchmessers oder ihrer Funktion als Landschaftsstruktur, ökologischer Korridor oder Lebensraum für Arten bemerkenswert sind“ und die von 75 Prozent für bemerkenswerte Bäume, die mit diesem denkwürdigen Satz definiert wurden „Cette aide financière couvre 75 pourcent des dépenses, s’il s’agit d’un arbre remarquable listé par la législation y relative.“ Statt des Hinweises auf die Listen der ANF oder Inpa also ein Verweis auf das entsprechende Gesetz.

Ein solches Gesetz existierte jedoch nicht. Das damals frische Naturschutzgesetz von 2018 enthielt keinerlei Hinweise auf die bemerkenswerten Bäume. So bestand über Jahre ein juristisches Vakuum. Ob und in welcher Höhe zwischen 2019 und 2024 Subventionen für die Restaurierung bemerkenswerter Bäume ausgezahlt wurden, ist in den Kontenaufstellungen des Staats nicht gesondert aufgeführt. Erst im März 2022 wurde durch ein neues Gesetz der Artikel 14bis eingeführt, der den bemerkenswerten Bäumen eine legale Basis gab und eine Liste in Form einer großherzoglichen Verordnung vorsieht. Die sollte vorab der Öffentlichkeit präsentiert werden, sodass Bürger*innen ihre Meinung dazu abgeben könnten. Dies geschah dieses Jahr, vom 15. Mai bis 14. Juni, auf dem nationalen Portal für Beteiligungsverfahren enquetes.public.lu, das den starken Eindruck erweckt, dass es vor allem dazu dient, Beteiligungsverfahren ohne große Öffentlichkeit und mit möglichst wenig Beteiligung über die Bühne gehen zu lassen. Abgesehen davon, dass das Portal unübersichtlich gestaltet ist, ist zum Beispiel auch nicht zu sehen, welche Stellungnahmen von Bürger*innen abgegeben wurden. Es ist diese Liste mit Vorschlägen von 245 bemerkenswerten Bäumen, die der Méco in seiner Pressemitteilung kritisierte und die das Umweltministerium als Erweiterung der Liste lobte.

Was daran lag, dass das Umweltministerium sich auf die Listen des Inpa und der Méco sich auf die Liste der ANF bezog – auf Nachfrage bestätigte eine Sprecherin des Umweltministeriums der woxx, das diese unterschiedliche Interpretation der Kern des Konfliktes sei. Die Situation wirkt beinahe kafkaesk: Eine Liste, die als Liste der bemerkenswerten Bäume geführt wurde, soll aber nicht die richtige Liste sein. Die echte Liste, so das Umweltministerium, seien die beiden Listen mit den nationalen Denkmälern des Inpa. Anhand der Geschichte der großherzoglichen Verordnungen lässt sich diese Sichtweise zwar irgendwie nachvollziehen, doch es wirkt vor allem so, als habe man eine politisch bequeme Antwort gefunden.

Verstaubte Auflistung

Die Liste des Inpa sei öffentlich auf legilux.lu einsehbar, versicherte das Umweltministerium, schickte sie der woxx dankenswerterweise dennoch zu. Es handelt sich, anders als man durch die bisherige Diskussion vermuten könnte, nicht um eine gesonderte Liste aller als nationale Denkmäler eingeschätzten Bäume in Luxemburg. Nein, die Liste des Inpa ist ein 114-seitiges Dokument, das den Titel „Liste des immeubles et objets classés monuments nationaux ou inscrits à l’inventaire supplémentaire“ trägt. Anders als bei der Liste der ANF oder der neuen vorgeschlagenen Liste handelt es sich auch nicht um eine Tabelle mit Ortsbezeichnung und Koordinaten, sondern um eine lange Auflistung sämtlicher geschützter Gebäude, Monumente, Möbel und eben auch Bäume in Textform. Um welche Baumart es sich handelt, ist mal mehr, mal weniger genau beschrieben. Auch den genauen Ort muss man zum Teil eher erraten, da die Angaben ungenau sind. Immerhin sind die zwei Listen des Inpa in einem Dokument zusammengefasst.

Die woxx hat alle Listen miteinander verglichen, um herauszufinden, welche Bäume oder Baumgruppen sich auf mehreren Listen wiederfinden. In der Liste der ANF und der neuen Liste sind bei allen Bäumen Koordinaten im luxemburgischen Koordinatensystem Luref angegeben. Allerdings stimmen diese auch bei identischen Bäumen nicht immer überein, da das Koordinatensystem sehr „fein“ ist. Da die Koordinaten jedoch die einzige Möglichkeit sind, um die Bäume zu identifizieren, kann es durchaus sein, dass bei der zum Teil automatisierten Analyse der woxx Fehler passiert sind, also Bäume der ANF-Liste, die auf der neuen Liste stehen, nicht gefunden wurden. Die Art und Weise, wie Baumgruppen oder Alleen gezählt werden, ist nicht konsistent. So gibt es Baumgruppen, die in der Ina-Liste als Gruppe klassifiziert wurden, auf der neuen Liste jedoch als Einzelbäume erscheinen. Die im folgenden präsentierten Zahlen der woxx sind also lediglich die bestmöglichen Annäherungen an die Realität.

Laut Umweltministerium standen „initial“ 108 Bäume auf der Liste des Inpa, die woxx konnte 51 in der Auflistung ausmachen. Diese Liste sei immer wieder reduziert worden, „zum Beispiel durch den Alterstod von Bäumen oder die Zerstörung von Bäumen, die zu einer öffentlichen Gefahr wurden, nachdem Wetterereignisse wie Blitz oder Wind auf sie eingewirkt hatten“. Da die Liste des Inpa auch die jeweiligen ministeriellen Entscheidungen und ihr Datum ausführt, lässt sich nachvollziehen, dass die meisten Bäume, die jetzt noch auf der Liste listen, vor dem Inkrafttreten des Denkmalschutzgesetzes vom 18. Juli 1983 den Status eines nationalen Denkmals verliehen bekamen, nämlich 28.

Die woxx konnte 38 Bäume ausfindig machen, die sich sowohl auf der Liste des Inpa als auch auf der Liste der ANF fanden. Unter ihnen sind 14, die sich nicht auf der neuen Liste der vorgeschlagenen bemerkenswerten Bäume befinden. Das Umweltministerium gab zwar an, die Inpa-Liste habe als Grundlage für die neue Liste gedient, doch die woxx konnte lediglich 25 Bäume oder Baumgruppen identifizieren, die als nationales Denkmal klassifiziert wurden und sich nun nicht auf der neuen Liste wiederfinden. Das betrifft auch zwei Baumreihen, in Elvingen und Altrier, die erst 2018 und 2019 als nationale Denkmäler klassifiziert wurden. Ein frappantes Beispiel sind die vielen Bäume in der Umgebung des Schlosses Meysemburg: Von 11 Bäumen und Baumgruppen, die das Inpa als nationale Monumente klassifizierte und als einzige gesondert auf seiner Website aufführt, ist nur ein einziger auf der neuen Liste gelandet.

Das große Chaos

Von den 537 Bäumen der ANF-Liste konnte die woxx 77 identifizieren, die sich auf der neuen Liste befinden. Aufgrund der vorher erwähnten Probleme mit den Koordinaten ist es möglich, dass die Zahl höher ist, laut dem Méco waren es ja ungefähr 100 Bäume. Entgegen dem, was das Umweltministerium erklärte, scheint es also so, dass die ANF-Liste, die „falsche“ Liste der bemerkenswerten Bäume, öfters als Inspiration für die neue Liste gedient hat als jene des Inpa. Die woxx konnte 24 Bäume ausmachen, die sich auf allen Listen wiederfanden, also knapp 10 Prozent der neuen Liste.

Es bleibt ein chaotischer Eindruck. Nicht nur, dass es jahrelang eine verwirrende Situation mit zwei bis drei unterschiedlichen Listen gab und über Jahre offensichtlich ein juristisches Vakuum bestand – dafür sind vor allem die vorigen Regierungen verantwortlich. Sondern auch, dass das Umweltministerium weder die Beteiligungsprozedur beworben hat, noch besonders geschickt gegenüber den Anschuldigungen des Méco kommuniziert hat. Der hat sich mittlerweile in einem der woxx vorliegenden Brief an das Umweltministerium gewandt, um weitere Informationen zu erhalten.

Am Ende bleibt die Frage: Findet der Umweltminister Serge Wilmes (CSV) die Bäume, die auf den alten Listen standen und nicht auf der neuen auftauchen, dennoch schützenswert? Auf diese Frage der woxx antwortete das Umweltministerium: „Bäume sind ein wichtiger Alliierter, um die Auswirkungen des Klimawandels abzuschwächen und die Biodiversität zu unterstützen. Dafür ist es wichtig, Bäume, die in unseren Agglomerationen und in unserer offenen Landschaft stehen, zu schützen und dafür zu sorgen, dass sie möglichst alt werden. Es bestehen deswegen im Naturschutzgesetz einige Bestimmungen, die zum Schutz freistehender Bäume beitragen sollen (Es folgte eine Auflistung dieser Bestimmungen, Anmerkung der Redaktion).“

Unter den Begutachtungsdokumenten war auch eine „fiche financière“, auf der angegeben ist, dass von den 245 Bäumen auf der neuen Liste 218 nicht dem Staat gehören und ihre Besitzer*innen somit eine Subvention erhalten könnten. Die Autor*innen des Dokuments gehen von Kosten in Höhe von 55.000 Euro jährlich aus, da die bemerkenswerten Bäume im Schnitt alle zehn Jahre Unterhaltsarbeiten benötigen. In einer Gesellschaft, die zunehmend von Biodiversitäts- und Klimakrise bedroht ist, muss die Frage gestellt werden, ob es nicht eine gute Idee wäre, eher mehr als weniger Bäume zu schützen, zumal die Kosten wohl überschaubar wären. Das nicht nur wegen ihrer Nützlichkeit, sondern auch wegen ihres ästhetischen und emiotionalen Werts.


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