Mit Frank Engel hat ein ewiger Outsider die CSV-Präsidentschaft inne. Insofern ist unklar, ob er sein Mandat wie gewollt ausfüllen oder gar verlängern kann.

Januar 1993 (1): Gregor Gysi zu Besuch bei der GAP. Mit von der Partie war auch ein Schüler namens Frank Engel (rechts). (Foto: woxx-Archiv)
Ist die Wahl von Frank Engel zum Präsidenten der CSV ein Betriebsunfall? Die zehn CSV-Vorsitzenden seit Kriegsende waren, bis auf ein oder zwei Ausnahmen, alle längere Zeit im Amt und hatten zumindest vor ihrer Wahl in führenden Positionen der Partei oder gar in der Regierung gedient. Frank Engels Konkurrent Serge Wilmes hätte – trotz seines sehr jungen Alters – wohl eher in eine solche Ahnengalerie gepasst. Wobei sogar das Ausnahmetalent Jean-Claude Juncker erst 35 Jahre alt war, als er 1990 zum CSV-Präsidenten gekürt wurde.
Das Mandat des CSV-Präsidenten ist auf zwei Jahre angelegt. Will Frank Engel, wie von ihm gewünscht, seine Partei mit Erfolg in die nächsten regulären Landeswahlen führen, muss er sich also zweimal wiederwählen lassen. Abgesehen von den demnächst anstehenden Europawahlen hat der neue Parteichef insofern gute Karten, als es zumindest bis zum Herbst 2023 keine nationalen Urnengänge geben wird, an denen seine politische Aufbauarbeit vom Wahlvolk gemessen würde.
So ungewöhnlich wie der jetzt gekrönte Kandidat war auch das Verfahren, das ihn ins Amt hievte: Kampfabstimmungen gab es in Sachen CSV-Generalsekretariat schon früher, aber die Präsident*innen wurden in der Regel durch die Parteiführung bestimmt und dann durch den Parteikongress bestätigt. Eine größere Kontroverse um die Orientierung der Partei, die quasi „automatisch“ den Premierminister stellte, durfte allenfalls hinter verschlossenen Türen stattfinden.
Sogar nach dem Sturz durch die Dreierkoalition pochte die CSV auf ihren Status einer Staatspartei und nutzte jede Gelegenheit, ihren Anspruch einzuklagen. Mit dem Ausgang der Kommunalwahlen Ende 2017 schien die CSV in ihrer Haltung bestätigt. Die Legislativwahlen, mit einer ganzen Armada an ehemaligen Minister*innen und députés-maires als Kandidat*innen, konnten eigentlich nicht verloren werden. Am Ende gab es dann aber statt einer Bestätigung sogar noch Stimmen- und Mandatsverluste.
Engel gibt an, sich noch in der Wahlnacht vom 8. auf den 9. Oktober entschlossen zu haben, CSV-Vorsitzender zu werden. Das Tandem Wiseler-Spautz, das die Partei in die Wahl geführt hatte, stand dann tatsächlich zwei Tage nach der Wahl zur Abwahl bereit, sollte aber bis zur definitiven Ernennung der zweiten Dreierkoalition im Amt bleiben.
Fast parallel zu den Kolleg*innen der CDU, sollte der Präsident*innenposten ohne Vorgabe der Parteispitze durch die Basis entschieden werden. Ebenso gab es Vorstellungsrunden in den einzelnen Regionen – hier allerdings unter Ausschluss der Öffentlichkeit.
Rede entscheidend?
Serge Wilmes hatte schon zu Junckers Zeiten mehr Mitsprache der Basis verlangt und dann auch zweimal erfolglos versucht, als „jonge Spunt“ Generalsekretär zu werden. Doch statt die Rolle des parteiinternen Rebellen fortzuführen, hielt er diesmal eine auf Konsens ausgelegte, fast schon staatsmännische Rede und fiel dabei in den alten Reflex zurück, die Führungsrolle sei der CSV zu Unrecht abhanden gekommen.
Frank Engel hatte in dem Sinne nichts zu verlieren: Ohne Namen zu erwähnen, machte er das Partei-Establishment verantwortlich und rief nach einem anderen Umgang mit der Basis und dem Wahlvolk. Auch wenn der Vergleich mit Juncker gleich mehrfach zu hinken droht, dürfte tatsächlich Engels Kongressrede ein paar Dutzend unentschiedene Delegierte dazu bewegt haben, für ihn, der die Partei „cooler“ machen will, zu stimmen.
Doch wofür steht der neue Präsident politisch? Die Asti hat seinen auf Radio 100,7 gemachten Vorschlag, EU-Bürger*innen unter bestimmten Bedingungen an den Nationalwahlen teilnehmen zu lassen, schnell aufgegriffen. Sie gratulierte Engel zum mutigen Vorstoß und bedauerte den Umstand, dass so etwas im Koalitionsprogramm keinerlei Erwähnung findet. Engels Vorpreschen dürfte dabei weder mit der Asti noch mit seinen Parteikolleg*innen abgesprochen sein. Ob es auch nach dem Gusto der von ihm in Anspruch genommenen Parteibasis ist?
Die Frage des 100,7 Chefredakteurs, ob er denn auch mit dem Gedanken spiele, CSV-Spitzenkandidat zu werden, verstand er rhetorisch geschickt unverneint zu lassen. Zuerst seien andere Probleme zu lösen und die Prozedur zur Bestimmung der Spitzenkandidatur stehe derzeit nicht an. Will sagen: Gebt mir Zeit zu zeigen, was ich alles kann, und dann stehe ich zur Verfügung.
Seine Zugehörigkeit zum „Cercle Joseph Bech“ will er sich nicht als Rechtslastigkeit andichten lassen. Tatsächlich befassen sich nicht alle Schriften des Cercle mit ihrem zumindest umstrittenen Namensgeber. Manches, was da zur Territorial-Reform oder zum Wachstum am Anfang der Nuller-Jahre veröffentlicht wurde, liest sich heute ähnlich auch in Wahlprogrammen von Parteien, die links von der Mitte angesiedelt sind.

Foto: Flickr/deeep.org
Schwarz-grüne Gedankenspiele
Eine andere „mutige“ Aussage des neuen CSV-Chefs betrifft die Grünen: Wenn die CSV im Vorfeld eine solche Option offensiver als anstrebenswert erklärt hätte, wäre sie heute vielleicht tatsächlich Wirklichkeit. Leider gibt es zu den letzten Wahlen keine belastbaren Wählerwanderungsanalysen, die eine solche These bestätigen könnten. Aber als Wink mit dem Zaunpfahl dient sie allemal.
Dass Engel es ernst meint mit einer schwarz-grünen Option, davon ist jedenfalls auszugehen. Zum einen hatte er ja selber einmal mit dem grünen Projekt geliebäugelt – allerdings zu einer Zeit, wo es noch nicht ganz klar war, wohin der in zwei Hälften geteilte grüne Zug abgehen würde. Da war dann doch die CSJ mit der Mutterpartei CSV und dem Übervater Jean-Claude Juncker die sicherere Option.
Bleibt die Frage, ob der neue Chef den eigenen hohen Ansprüchen gerecht werden wird. Neben seiner lockeren Zunge, die sich wohl trainieren lässt, dürfte vor allem sein etwas gespaltenes Verhältnis zu Fragen der Transparenz zum Problem werden.
Als Berufsbezeichnung gibt er gerne Beratertätigkeiten für diverse Firmen an. Wird dann eine solche Firma auf ihre Zielsetzung hinterfragt und er auf seine Rolle angesprochen, reagiert er, der ja selbst so gern austeilt, fast schon pikiert.
Auf dem europäischen Parkett fiel er einerseits durch seine klaren Positionen gegen Viktor Orban auf, den er im Europaparlament auch direkt attackierte. Andererseits konnte er den linken oder grünen Bestrebungen nach mehr Transparenz in Wirtschaftskreisen aber wenig abgewinnen.
Sein Versprechen, den Job als CSV-Präsident in Vollzeit betreiben zu wollen, lässt natürlich die Frage aufkommen, wovon er denn seinen Lebensunterhalt bestreiten will. Dass er über viele Verbindungen in die private Wirtschaft verfügt, ist nicht unbedingt eine überzeugende Lösung für dieses Problem. Kann die CSV sich auf Dauer einen Präsidenten leisten, der nicht genau sagen will, von wem und in welchem Maße er finanziell abhängig ist?
(1) Schule geschwänzt: In der gedruckten Version dieses Textes und in der ersten online-Veröffentlichung war das obige Foto falsch datiert. Der Autor ging zunächst von 1994 aus, übernahm aber dann die auf der Rückseite des Bildes angeführte Jahreszahl 1992. Beides stellt sich im Nachhinein als falsch heraus, da Gregor Gysi im Januar 1993 in Luxemburg weilte und u.a. an einem Ara-Rundtisch teilnahm, das vom GréngeSpoun moderiert und auch dort angekündigt wurde. 1993 war Frank Engel noch Schüler und begann sein Jura-Studium erst 1994. 1992 (wie auch 1993) wäre Frank Engel definitiv zu jung gewesen um bereits zu studieren – wie in der Bildunterschrift irrtümlich behauptet. Das hatten auch einige Leser*innen bemerkt. Frank Engel wies ebenfalls in einem FB-Reaktion auf seinen damaligen Status hin, gestand dabei aber auch ein, dass es ihm nicht leid tut, damals die Schule „ein bisschen“ für das Gespräch mit Gregor Gysi geschwänzt zu haben.