Dick gleich ungesund?

Ergänzend zum Thema in der aktuellen Print-woxx soll im Folgenden vertiefend auf den Zusammenhang von Körpergewicht und Gesundheit eingegangen werden.

© Mohamed Hassan / pixabay.com

„Es ist in Ordnung dick zu sein, solange man gesund ist“ – es gibt wahrscheinlich keinen fetten Menschen, der diesen Satz nicht wenigstens einmal in seinem Leben gehört hat. Anderen Menschen eine gute Gesundheit zu wünschen, ist an sich natürlich nichts Schlechtes. Doch wo bleiben die „Es ist in Ordnung dünn zu sein, solange man gesund ist“-Sprüche? Die Diskrepanz erklärt sich dadurch, dass Dick- und Kranksein immer noch allzu gern gleichgesetzt werden.

Eine letzten Monat in Großbritannien gestartete Kampagne zur Krebsprävention bestärkt genau diesen doppelten Standard. Auf Plakaten im Zigarettenschachtel-Design wird vorm Dicksein gewarnt: „Guess what is the biggest preventable Cause of Cancer after Smoking – Obesity“, heißt es darauf zum Beispiel. Anlass zur Kampagne gab der Befund einer Studie der Cancer Research UK, nach welchem Adipositas das Risiko erhöhe an Krebs zu erkranken. Und nicht nur das: Fettleibigkeit führe zu einer größeren Anzahl an verschiedenen Krebsarten als Rauchen.

Die Kampagne suggeriert, dass Menschen genau so viel Kontrolle über ihr Körpergewicht haben wie über die Anzahl an Zigaretten, die sie rauchen. Damit werden die unzähligen Faktoren ausgeblendet, die das Gewicht beeinflussen: Stoffwechsel, Gene, Stress, Allergien, Traumata, Essstörungen oder sozio-ökonomischer Hintergrund. In Anbetracht dessen ist es verfehlt, davon auszugehen, dass Menschen sich dafür entscheiden, dick zu sein und sich ebenso auch dagegen entscheiden können. Die Kampagne der Cancer Foundation UK bestärkt den Mythos, dass ein Blick auf einen Menschen ausreicht, um seinen Gesundheitszustand zu kennen. Sie legitimiert somit die als „Sorge um die Gesundheit“ getarnten Mikroaggressionen gegenüber dicken Menschen.

Was man nun aus oben erwähnter Kampagne schließen soll, ist unklar. Immerhin ist die einzige Information, die man erhält, dass Fettleibigkeit schlecht ist. Ein Aufruf zum Abnehmen würde jedenfalls wenig Sinn machen. Zum einen ist abnehmen außerordentlich schwer. Wie zahlreiche Studien nachweisen konnten, arbeitet der Körper scheinbar gegen uns, sobald wir versuchen abzunehmen. „Scheinbar“, weil es im Grunde darum geht, uns vorm Verhungern zu bewahren, indem die Fettverbrennung verlangsamt wird. Auf diese Weise kommt der bekannte „Jojo-Effekt“ zustande. Der einzige, der davon profitiert, ist die Diät-Industrie. Zum anderen ist mittlerweile nachgewiesen, dass sich Maßnahmen zum Abnehmen negativ auf die mentale und physische Gesundheit auswirken. Auch das kann sicherlich nicht das Ziel einer Gesundheitskampagne sein.

Wissenschaftlich nicht haltbar

Wer glaubt, dass luxemburgische Institutionen kein Fat Shaming betreiben, braucht  nur den Erklärungstext des Aktionsplans „Gesond iessen, méi beweegen 2018-2023“ durchzulesen. „Le surpoids et l’obésité, causés par une alimentation non équilibrée et un manque d’activité physique, sont des facteurs de risques principaux et avérés de ces maladies, en grande partie évitables“, ist dort unter anderem zu lesen. „Übergewicht“ und „Adipositas“ werden gleichgesetzt, beide werden als allein durch unausgewogene Ernährung und mangelnde Bewegung verursacht dargestellt, sowie zur Hauptursache von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs erklärt. Keine dieser Behauptungen ist wissenschaftlich haltbar.

Der Befund, dass manche Krankheiten verstärkt bei dicken Menschen vorkommen, sagt noch nichts über einen Kausalzusammenhang aus. Dass manche Krebsarten häufiger bei fettleibigen Menschen diagnostiziert werden, bedeutet nicht, dass die Krankheit vom Dicksein verursacht wurde. Doch nicht nur deshalb ist eine Kausalität schwer auszumachen: Unter anderem die Studien des Lübecker Hirnforschers Achim Peters zeigen, dass manche mit Adipositas in Verbindung gebrachten Krankheiten eher anhaltendem Stress geschuldet sind. Dass dieser mitunter durch Fat Shaming ausgelöst wird, wie es etwa durch oben beschriebene Kampagne betrieben wird, und Scham gegenüber dem eigenen Körper sich nachgewiesenermaßen negativ auf die Bereitschaft Sport zu machen und ausgewogen zu essen auswirkt, verdeutlicht den Teufelskreis.

Viele Studien belegen, dass Ärzt*innen die Beschwerden dicker Menschen weniger ernst nehmen. Wo dünnen Menschen bereits Untersuchungen verschrieben werden, wird Dicken teilweise nur zum Abnehmen geraten. Daneben sind zahlreiche Medikamente nicht in einer für dicke Körper adäquaten Dosierung verfügbar. Wer wirklich um die Gesundheit dicker Menschen besorgt ist, sollte also auch Mängel im Gesundheitssektor kritisieren.

Um die Komplexität von Krankheitsprävention nachzuvollziehen, reicht es, sich eine im vergangenen April publizierte Studie vor Augen zu führen. Forscher*innen des Institute of Health Metrics and Evaluation (IHME) in Seattle identifizierten schlechte Ernährung als Ursache von jährlich elf Millionen Todesfällen weltweit. Als Todesursachen, die am meisten mit der Ernährung zusammenhängen, wurden Herzkrankheiten, Krebs und Typ-2-Diabetes ausgemacht. Daraus schlossen die Wissenschaftler*innen allerdings nicht, dass ungesundes Essen weggelassen werden sollte. Krankheitsursache, so der Befund der Studie, sei vielmehr ein Mangel an Nährstoffen. Statt dazu aufzurufen, weniger Salz, Fett und Zucker zu essen, solle Krankheitsprävention stattdessen gesunde Optionen bewerben. Wer mehr Gesundes esse, würde automatisch weniger Ungesundes essen, schätzen die Forscher*innen.

Solche komplexen Informationen eignen sich natürlich nicht für eine Plakatkampagne. Da ist es leichter, pauschal mit dem Finger auf Dicke zu zeigen.


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