Body Positivity-Bewegung
: Recht auf Dicksein

Ging es bei der Body-Positivity-Bewegung ursprünglich um marginalisierte Körper, wurde ihr eigentliches Anliegen durch den Mainstream und die Kommerzialisierung zunehmend verwässert.

(Foto: Caroline Blumberg / EPA)

Dass Dicksein als etwas Negatives angesehen wird, ist ein modernes Phänomen. Es ist noch gar nicht so lange her, dass es mit Gesundheit und Wohlstand in Verbindung gebracht wurde, und nicht wie heute mit mangelnder Selbstdisziplin und Impulskontrolle. Mittlerweile vergeht kein Tag, ohne dass von einer „Übergewichts-Epidemie“ die Rede ist. Es dominiert die Vorstellung, dass dicke Menschen nichts anderes sind als dünne Menschen mit schlechten Essgewohnheiten. Wenn im Umkehrschluss davon ausgegangen wird, dass in jedem von uns eine schlanke Person steckt, die nur darauf wartet befreit zu werden, wird deutlich, dass dicken Menschen im Grunde ihre Existenzberechtigung abgesprochen wird.

Im Kampf gegen diesen Missstand nimmt die USA eine Vorreiterrolle ein. 1967 wurde Fat Shaming erstmals in den amerikanischen Medien thematisiert. Um genau zu sein, publizierte der Autor Llewelyn Louderback in der Saturday Evening Post den Text „More people should be FAT“, in dem er ein gesellschaftliches Klima kritisierte, das Fett als hässlich, unmoralisch und ungesund ansieht. Er schrieb über den Druck, einem bestimmten Körperbild zu entsprechen, und benutzte in diesem Zusammenhang den Begriff „Verfolgung“. Er schrieb über Menschen, die wegen ihres Gewichts entlassen wurden oder weniger Chancen auf einen Studienplatz hatten. „If such discrimination happened because of race, religion or almost any other personal factor, the protest would be fantastic“, schlussfolgerte er.

Nachdem Louderback im Anschluss daran das Buch „Fat Power: Whatever You Weigh Is Right“ publizierte, tat er sich mit Bill Fabrey zusammen, um 1969 die National Association to Advance Fat Acceptance (NAAF) ins Leben zu rufen. Mittels Konferenzen und Demonstrationen setzt sich die Organisation gegen die Dickenfeindlichkeit ein. Die NAAF plädiert dafür, nicht das Körpergewicht als Indikator für Gesundheit zu nehmen, sondern vielmehr Faktoren wie Blutdruck oder Cholesterinwerte. Es geht außerdem darum, ein Bewusstsein für den Unterschied zwischen „Übergewicht“ und „Fettleibigkeit“ zu schaffen.

1973 spalteten sich einige linksradikale Feminist*innen von der NAAF ab, um den Fat Underground zu gründen. Hier wurde die Ansicht vertreten, dass Diskriminierung zu psychischen Krankheiten führen kann und ärztliche sowie wissenschaftliche Institutionen nicht weniger fettfeindliche Einstellungen vertreten als der Rest der Gesellschaft. Während es zunächst nur um die Bekämpfung der Diät-Kultur gehen sollte, wurde zunehmend über den Zusammenhang zwischen Dicksein und Weiblichkeit diskutiert und gegen die mediale Repräsentation dicker Menschen demonstriert. Im Laufe der Jahrzehnte gewann Fettaktivismus immer mehr an Zugkraft. Im akademischen Bereich wurde der Studienzweig der Fat Studies eingeführt.

Vieles, was die Fat-Acceptance-Bewegung zur Sprache brachte, wurde in den darauffolgenden Jahren eingehend wissenschaftlich erforscht. So ist es mittlerweile umstritten, dass hohes Gewicht zu schlechter Gesundheit führt. Ebenso plausibel ist die These, dass Dicksein vielmehr ein Nebeneffekt schlechter Gesundheit ist. Studien haben zudem gezeigt, dass Maßnahmen zum Abnehmen sowie Fat Shaming sich negativ auf die körperliche und mentale Verfassung auswirken und zu einem gestörten Essverhalten führen können. Ebenfalls belegt ist mittlerweile die strukturelle Diskriminierung, die dicke Menschen erfahren. Sie werden im Schnitt schlechter bezahlt, haben größere Schwierigkeiten einen Job zu finden und erhalten eine schlechtere ärztliche Betreuung.

Zunehmend unpolitischer

Die Body Positivity-Bewegung, die Anfang der 2010er-Jahre von dicken Frauen ins Leben gerufen wurde, existiert nicht unabhängig von der Fat-Acceptance-Bewegung, sondern ist ein Teil von ihr. Während bei der letzteren die Kritik an der strukturellen Diskriminierung und die Forderung nach medialer Repräsentation im Vordergrund steht, geht es bei ersterer vor allem um eine gesunde Beziehung zum eigenen Körper. Das bedeutet nicht, dass man sich selbst gegenüber ständig positiv eingestellt sein muss. Body-positiv ist vielmehr, wer nicht aktiv abzunehmen versucht. In erster Instanz geht es darum, Menschen zu helfen, die eine Essstörung überwunden haben.

In den vergangenen Jahren wurden zu diesem Zweck unzählige Facebook-Gruppen, Instagram-Accounts und Tumblr-Seiten eingerichtet. Vor allem das Model Tess Holliday, beziehungsweise ihr Instagram-Account @EffYourBeautyStandards, wird mit dem Beginn der Bewegung assoziiert. Diese stellt Körper ins Scheinwerferlicht, die in den sozialen Netzwerken, in Filmen und Medien quasi unsichtbar waren. So entstand eine Art Subkultur für Menschen, die aufgrund ihres Aussehens aus dem hegemonialen Diskurs ausgeschlossen waren.

Manche Körper sind gleicher als andere – auch in der 
Body-Positivity-Bewegung. (Foto: CGP Grey / Wikimedia Commons)

Von Anfang an wurde jedoch immer wieder von diesen Zielen abgewichen. In unserer Gesellschaft wird vor allem auf solche Körper positiv reagiert, die als selbstbestimmt gestaltet erscheinen. Diesem sogenannten Gestaltungsimperativ obliegen auch Teile der Body-Positivity-Bewegung. Zu einem gewissen Teil lässt sich dies auch nicht verhindern. Wenn eine Person wie Yogalehrerin Dana Falsetti auf Instagram Fotos von sich beim Training veröffentlicht, wirkt sie damit zwar dem Stigma entgegen, dass Dicke keinen Sport machen. Zugleich reproduziert sie aber auch die Vorstellung, nach der Dicksein in Ordnung ist, solange man seinen Körper durch Bewegung fit hält.

Indem sich die Body-Positivity-Bewegung immer mehr in den Mainstream integriert, wird sie zunehmend zweckentfremdet. Unter den Mottos „Jeder Körper ist schön“ oder „Liebt euren Körper, so wie er ist“ wird jede*r einzelne dazu aufgerufen, sich wohlzufühlen. Längst geht es nicht mehr nur um dicke Körper oder solche, die aus anderen Gründen diskriminiert werden – Hashtags wie #IwokeUpLikeThis, #CelebrateMySize oder #EveryBodyIsABeachbody werden mittlerweile von jedem und jeder benutzt, unabhängig des Gewichts, des Geschlechts oder der Hautfarbe. Body-Positivity-Influencer*innen sind mehrheitlich weiß, cis, heterosexuell und dünn. Dadurch gerät aus dem Blick, dass nicht alle Körper marginalisiert werden. Sich dick zu ‚fühlen’ ist immer noch etwas ganz anderes als dick zu ‚sein’.

Die Schuld an dieser Entwicklung tragen allen voran Konzerne, die Body Positivity, wie zahlreiche andere Social-Justice-Bewegungen, aus Marketing-Gründen für sich vereinnehmen. Marken wie Dove werden mittlerweile mit Werbekampagnen assoziiert, die körperliche Diversität zelebrieren. Das abgebildete Spektrum ist allerdings recht eng gefasst, die Körper der abgebildeten Models sind immer noch sehr nah an der Norm. Spätestens dann, wenn der Textilriese „Zara“ ein Werbeplakat mit zwei dünnen Models mit der Beschriftung „Love your curves“ versieht, wird das Anliegen der BodyPositivity-Bewegung ad absurdum geführt. Dass sich die Mehrheitsgesellschaft, also auch Menschen mit Schlankheitsprivilegien, Body Positivity angeeignet haben, liegt auch am Begriff selbst. Anders als ein Begriff wie Feminismus kommuniziert er keine spezifische Ausrichtung auf marginalisierte Personen.

Die Konsequenz ist alles andere als harmlos: Je unpolitischer Body-Positivity wird, desto mehr arbeitet sie gegen die Ziele der Fat-Acceptance-Bewegung. Ideale und Normen, die zur Diskriminierung dicker Menschen beitragen, werden nämlich nicht nur nicht kritisiert, sie werden regelrecht zementiert. Somit werden nun wieder ebenjene Körper marginalisiert, um deren Akzeptanz und positive Repräsentation es ursprünglich ging. „Body positivity can’t focus on thin, white women and simultaneously tackle discrimination against fat, trans, and disabled people“, bringt es die Autorin Evette Dionne im feministischen Online-Magazin bitchmedia.org auf den Punkt.


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