Die One-Woman-Band Marthe: Antifaschistisch, feministisch, misanthropisch

„Italiens jüngste Black/Doom-Sensation“, so die US-amerikanische Metal-Zeitschrift „Decibel“ über das erste Demo von „Marthe“. Einer der Gründe für die Begeisterung: Die episch-brachialen Songs wurden von einer einzigen Musikerin eingespielt. Die woxx hat mit Marzia gesprochen, die in diesem Projekt ihr Faible für Metal auslebt.

„Ich versuche mich auch selbst nie allzu ernst zu nehmen“: Als Drummerin agiert Marzia meist im Hintergrund, in ihrem Soloprojekt „Marthe“ spielt sie mit der Selbstinszenierung. (Foto: Lorenzo Estremo Pecunia)

woxx: Wie bist du auf die Idee gekommen, die vier Songs deines Demos ganz allein einzuspielen?


Marzia: Es war ein Experiment. In meinen anderen Bands haben immer alle Witze darüber gemacht, wie schlecht ich mich mit den technischen Aspekten des Musikmachens auskenne. Ich spiele ja hauptsächlich Schlagzeug – ein im Prinzip vollkommen analoges Instrument. Aber bei „Horror Vacui“ spiele ich Gitarre, und da fangen die Probleme dann an. Ich wollte also verschiedene technische Apparate beherrschen lernen.

Du hast das Demo bereits 2019 aufgenommen, also vor der Corona-Pandemie, obwohl das ja eigentlich ein gutes Lockdown-Projekt wäre.


Das stimmt. Es ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich meiner Zeit voraus war (lacht).

Deine anderen Bands bewegen sich stilistisch im Punk- und Hardcorebereich. Wie kamst du auf die Idee, ein Metal-Album aufzunehmen?


In meinen anderen Bands hätte ich niemals Songtexte über „Warriors in the Sky“ oder ähnliche Metal-Klischees schreiben können; die anderen hätten mich gar nicht ernst genommen (lacht). Ich wollte diese Seite meiner musikalischen Vorlieben aber auch einmal ausleben.

Von außen betrachtet würde man wohl sagen: männlicher und machohafter als der Sound und Stil des Epic Metal geht es kaum, wenn man etwa an die Band „Manowar“ denkt. Wie passt das zu deiner feministischen Haltung?


Ich habe mal mit einem Freund darüber diskutiert, einem großen „Manowar“-Fan. Wir haben über diese Machoattitüde gesprochen und waren uns einig, dass das eben auch Teil der Show ist. Ich nehme das nicht sehr ernst. Deswegen habe ich auch nie aufgehört, „Manowar“ zu hören, obwohl es ja Kontoversen um viele ihrer Songs gibt. Mir ist das egal. Ich wollte das mit „Marthe“ ja ebenfalls ausreizen, als „metal heroine in leather and steel“ (lacht), oder auch mal in Pelzverkleidung, wie in „Xena, die Kriegerin“ – wobei mein Pelz natürlich nicht echt ist, ich bin ja schließlich Vegetarierin. Ich versuche mich einfach auch selbst nie allzu ernst zu nehmen. Man kann nicht immer alles nur ausschließlich politisch begreifen. Ich habe eine grundsätzliche Haltung zu politische Dingen, und natürlich lerne ich immer noch dazu, aber ich muss heutzutage niemand mehr etwas beweisen.

Dennoch betonst du immer wieder, dass Musik ohne jeden politischen Anspruch für dich nicht funktioniert.


Das stimmt. Ich wollte aber einfach mal auf andere Weise über bestimmte Themen sprechen. Wenn man sich die Texte genauer ansieht, merkt man, dass sie trotzdem eine politische Aussage haben, aber eben nicht so direkt wie im Polit-Punk meiner Band „Kontatto“. Bei „Marthe“ wird die eigene Vorstellungskraft mehr angesprochen.

Wovon handeln deine Texte?


„Ave Mysteris“ handelt von der Gegend, in der ich aufgewachsen bin, in Ligurien zwischen Genua und Cinque Terre. Ich wollte ein Lied darüber machen, ohne irgendeinen Mist über meine „Wurzeln“ zu schreiben. Vor einigen Jahren wurde dort eine prähistorische Stätte entdeckt. Ich habe das als Motiv genommen, um einen Song über jene Krieger zu schreiben, die dort gegen die Römer gekämpft haben – die Sichel, die ich im Albumlayout und auf meinen Fotos verwende, ist in der Region ein Symbol für deren Widerstand. Für mich ist es eine Metapher für das Recht auf Selbstbestimmung und den Kampf gegen Unterdrückung. Keine meiner anderen Bands hätte mir erlaubt, auf vergleichbar theatralische Weise darüber zu schreiben (lacht). Im Song „Sisters of Darkness“ geht es um eine Legende über Frauen in Sardinien, die schon in früheren Zeiten Sterbehilfe geleistet haben, die „Femmina Accabadora“ – „Frauen des guten Todes“. Es geht also um das Recht zu leben, aber auch zu sterben wie man es möchte, und um die verschiedenen Wege, sein Ziel zu erreichen. „Married to a grave“ handelt von Frauen, denen in der Vergangenheit kein eigenes Leben außerhalb der Ehe zugestanden wurde. Im Grund geht es dabei um meine Großmutter. Sie war sehr cool, aber vollkommen auf meinen Opa angewiesen. Die beiden haben entsprechend der klassischen Konventionen gelebt. Das Lied handelt davon, wie sehr das Schicksal von Frauen wie ihr an einen Mann geknüpft war, und wenn der starb, blickte man auf ein Leben zurück, in dem man nichts selbst hat entscheiden können. „Awake, arise, silence“ schließlich handelt davon, dass man bei der Gestaltung des eigenen Lebens nicht vergessen sollte, dass man am Ende sterben muss, ein simples Memento Mori also.

Sofern Marthe mit anderen Bands verglichen wird, bekommt man nur die Namen von absoluten Größen und stilbildenden Pionieren zu lesen, wie etwa Bathory, Celtic Frost, St. Vitus oder Amebix. Ist es tatsächlich der spezifische Sound oder eher eine bestimmte künstlerische Haltung, die dich mit diesen Bands verbindet?


So habe ich noch nie darüber nachgedacht, aber du könntest recht haben, dass es eher die Herangehensweise ist, etwas auf eine ganz bestimmte Weise zu versuchen. Gut möglich also, dass es die experimentelle Form des Ganzen ist, die die Leute anspricht.

Du bezeichnest dich auf deiner Bandcamp-Seite als misanthropisch. Wie ist das gemeint?


(Foto: privat)

Das geht auf meine Familie zurück. Meine Mutter ist ein extrem geselliger Mensch, mein Vater das genaue Gegenteil. Er ist ein Einzelgänger, verbringt viel Zeit auf dem Feld oder im Wald und arbeitet dort. Und ich bin die exakte Mischung aus beiden Charaktereigenschaften. Ich kann ohne Alkohol zu trinken stundenlang auf einer Party rumhängen, muss aber immer wieder für fünf Minuten raus, um mich zu sammeln. Ich brauche diese Momente der Isolation. Grundsätzlich bin ich eher einzelgängerisch. Ich liebe es alleine zu sein und könnte mein ganzes Leben allein auf einem Berg verbringen. Durch die ganzen Bands, in denen ich gespielt habe, bin ich aber ein sozialerer Mensch geworden und habe gelernt, mit der Präsenz von anderen umzugehen. Es geht also nicht darum, dass ich Menschen hasse.

Als Musikerin ist Marzia hyperaktiv: In den Hardcore/Punk-Bands „Kontatto“ und „Tuono“ spielt sie Schlagzeug, in der Dark Punk/Death Rock-Gruppe „Horror Vacui“ Gitarre. Der Sound der ersten beiden Bands ist schnell, dreckig und wütend, die letztgenannte klingt düster-melancholisch. Mit ihrem Solo-Projekt „Marthe“ und dem in ihrer eigenen Wohnung aufgenommenen und abgemischten Demo „Sisters of Darkness“ hat sich die 1981 geborene und in Bologna lebende Musikerin einen Traum erfüllt: mitten hinein in ein Genre des Heavy Metal, das Außenstehende vermutlich als Ansammlung musikalischer Klischees bezeichnen würden. Für Fans jedoch liegt der Reiz des Epic Metal gerade auch im Spiel mit dem Pathos und der Melancholie. Am authentischsten wird Metal laut Marzia allerdings von Punks gespielt. Zumindest in ihrem Fall trifft das vollkommen zu: Gekonnt entwickelt sie verschiedene epische Stilelemente in ihren sechs bis elf Minuten langen Stücken. Von der begeisterten Hörerschaft werden diese daher vor allem mit legendären Vorbildern des Genres verglichen, wozu auch der rohe, ungeschliffene, an die 1980er-Jahre erinnernde Klang der Aufnahmen beiträgt. Nun ist das zunächst auf Kassette veröffentlichte Demo beim italienischen Label „Agipunk“ auf Vinyl erschienen.

„In meinen anderen Bands hätte ich niemals Songtexte über ‚Warriors in the Sky‘ oder ähnliche Metal-Klischees schreiben können.“

Und inwiefern definierst du dich als antifaschistisch und feministisch?


Den Hinweis auf den Antifaschismus gibt es vor allem, damit Leute, die meine Musik entdecken, gleich wissen, woran sie mit mir sind. Wenn jemand rechte oder nationalistische Vorstellungen vertritt, dann soll diese Person gleich kapieren, dass ich meine Musik nicht für sie gemacht habe. Für mich geht es dabei nicht um eine politische Haltung im engeren Sinne, sondern um ganz essenzielle Dinge, wie gegen Unterdrückung zu sein, gegen Gewalt zu sein, für Meinungsfreiheit und Gleichberechtigung einzutreten. Was den Feminismus betrifft, habe ich schon als Teenagerin in einer Riot-Grrrl-Band gespielt – so bin ich auch zum Punk gekommen. Das war so um 1996, als die erste Welle solcher Bands wie „Bikini Kill“ auch hier in Italien angekommen war. Diese feministische Geschichte hat mich geprägt und ich versuche diese Erfahrungen auch im Alltag umzusetzen.

Wie sieht das konkret aus?


Ich arbeite als Englischlehrerin an einer berufsvorbereitenden Schule. Die meist männlichen Jugendlichen sind zwischen 15 und 18 Jahre alt. Das Risiko, dass sie zu Schulabbrechern werden, ist relativ hoch. Nahezu alle von ihnen sind Einwanderer der zweiten Generation mit einem muslimischen familiären Hintergrund. Wenn sie eine problematische Haltung gegenüber Frauen haben, greife ich sie nicht direkt verbal an, sondern versuche ihnen Themen wie Diskriminierung und das Denken in Stereotypen näher zu bringen. Ich will ihnen keine Vorschriften machen. Aber ich möchte ihnen zeigen, dass es auch Möglichkeiten jenseits der traditionellen Rollen und Familienstrukturen gibt, die sie von zuhause kennen.

Hast du vor, weitere Aufnahmen unter dem Namen Marthe zu machen?


Ja, habe ich. Es ist allerdings seltsam: Ich habe immer davon geträumt, einmal einen ganzen Monat zuhause sein zu können, um an einem neuen Album zu arbeiten. Jetzt ist diese Situation eingetreten; es gibt keine Konzerte und sonstige Ablenkungen – man arbeitet sogar von zuhause aus. Dennoch war ich seit Beginn der Pandemie nicht in der Lage, auch nur einen einzigen neuen Song zu schreiben. Ich habe keinerlei Inspiration. Irgendwann werde ich aber auf jeden Fall ein neues Album machen, und dieses Mal gehe ich ziemlich sicher in ein richtiges Studio. Der Druck ist allerdings ziemlich groß nach den überwältigenden Reaktionen auf das Demo (lacht).

Konntest du im vergangenen Jahr überhaupt proben mit deinen anderen Bands?


Im Moment dürfen wir ja nicht einmal das eigene Stadtviertel verlassen, also sind auch keine Proben möglich. Mit „Horror Vacui“ habe ich im vergangenen Jahr vielleicht fünfmal geprobt, mit „Tuono“ gar nicht. Ich bin seit Beginn der Pandemie zweimal hinter einem Schlagzeug gesessen und gespannt, ob ich überhaupt noch spielen kann. Doch eigentlich geht es mir ziemlich gut. Einige meiner Freund*innen haben hingegen ihren Job verloren. Auch viele Clubs hier in der Stadt haben schon dicht gemacht und ich frage mich, ob wir je einfach so an die Zeit vor der Pandemie anknüpfen können. Das Leben danach wird vermutlich sehr anders sein. Ein Pelzkostüm habe ich ja bereits – ich bin also bereit für die Post-Apokalypse im Stil von Mad Max!

 


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