Die Situation in Luxemburg
: Keine Brutstätte


Der radikale Islam ist im luxemburgischen Strafvollzug derzeit kein Problem, zumindest, soweit es um seine gewaltbereite Variante geht – meint der scheidende Gefängnisdirektor Vincent Theis.

1395dossierextrabildEinige der Attentäter von Paris und Brüssel hatten bereits Gefängniserfahrung, manche von ihnen haben sich sogar erst im Gefängnis kennengelernt. Nicht zuletzt deshalb wurde in den vergangenen zwei Jahren häufiger die Frage aufgeworfen, ob der europäische Strafvollzug womöglich die Radikalisierung von Häftlingen begünstigt. Auch einige der jüngsten Gefängnisrevolten in Frankreich hatten angeblich einen islamistischen Hintergrund.

In Luxemburg jedoch ist dieses Problem laut Vincent Theis bisher noch kaum bemerkbar. „Im Justizvollzug sind wir noch nicht konfrontiert worden mit einschlägigen radikalisierten Attitüden bei Inhaftierten“, so der scheidende Direktor im Gefängnis in Schrassig, „wobei ich betonen möchte, dass wir hier ganz klar einen Unterschied machen zwischen Personen, die sich vielleicht auch zu einem eher fundamentalen Islam bekennen einerseits und Menschen, die radikale Ansichten vertreten, andererseits.“ Wirklich problematisch wird es für ihn erst, wenn Personen signalisieren, dass sie bereit sind, zur Tat zu schreiten: „Wenn Radikalisierung dazu führt, dass Menschen die Meinung vertreten, dass gewalttätiger Extremismus für sie in Frage kommt, dann wird sie akut und zu einer Gefahr für die Gesellschaft. Und ab da würde uns so etwas natürlich sofort in Alarmbereitschaft versetzen. Wir sind hier sehr aufmerksam, aber bis jetzt konnten wir etwas derartiges noch nicht feststellen.“

Theis macht deutlich, dass er die Dimension der Problematik, so wie sie in den Medien bisweilen dargestellt wird, für übertrieben hält. „Unter all denen, die in Frankreich als Radikale gelistet sind, ist nur ein ganz kleiner Prozentsatz, die wirklich Haft-
erfahrung haben, und unter ihnen nochmal nur ein ganz kleiner Teil, die sich während der Haft radikalisiert haben“ meint Theis. Ganz von der Hand weisen könne man die Möglichkeit natürlich nicht: „Es ist aber nicht so, dass Haftanstalten die Brutstätten sind, in denen das Phänomen so richtig brodelt, das kann niemand bestätigen.“

Religion contra Radikalisierung?

Theis‘ Brüsseler Kollege Karim El Khmlichi weist im woxx-Interview allerdings darauf hin, dass die meisten von denen „die zur Tat zu schreiten, schon einmal im Gefängnis waren“. Das lenkt den Blick darauf, dass es unter denjenigen, die zu islamistischen Gewalttaten neigen, meist schon vor ihrer Radikalisierung die Bereitschaft zu kriminellen Handlungen gab. „Ils ont bu de l’alcool, fumé du shit, dragué les filles en boîte de nuit“, schreibt etwa auch der französische Islamwissenschaftler Olivier Roy. „Une grande partie d’entre eux a fait un passage en prison. Et puis un beau matin, ils se sont (re)convertis, en choisissant l’islam salafiste, […], un islam de la norme qui leur permet de se reconstruire tout seuls.“

In diesem Zusammenhang kann das Gefängnis sehr wohl eine Katalysator-Funktion haben, wie auch Karim El Khmlichi sagt, denn ein Knastaufenthalt bedeutet mitunter einen Einschnitt, wenn nicht gar einen Bruch, in der personalen Identität. Das bestätigt auch Vincent Theis. Haftanstalten seien Orte, an denen Menschen mit Problemen auf engstem Raum zum Zusammenleben gezwungen sind; auch ein Phänomen wie der Islamismus könne sich daher dort „schneller entwickeln als in der normalen Gesellschaft“. „Es gibt auch welche, die, weil der Freiheitsentzug eine Stresssituation ist, im Knast irgendwie Halt und Struktur suchen und dann leider bei solchen radikalen Predigern enden.“ Der Erfolg der kollektivistischsten Formen des Religiösen erkläre sich nicht zuletzt aus dem Bedürfnis, die im Gefängnis entstehende Leere zu füllen, meint hierzu die Soziologin Claire de Galembert.

Zur Strategie in europäischen Gefängnissen gehört es daher nicht zuletzt, dieser Gefahr mit einem religiösen Angebot entgegenzuwirken, das „ein reicheres Bild vom Islam“ zu vermitteln versucht, wie Karim El Khmlichi es formuliert. Luxemburg macht hier keine Ausnahme. Seit einigen Monaten kümmert sich Messaoud Atrous als Imam hierzulande um die spirituellen Belange der muslimischen Häftlinge. Gegenüber RTL betonte er diese Woche die Bedeutung seiner Arbeit, mit der verhindert werden könne, dass sich Insassen selbsternannten radikalen Imamen innerhalb des Knastes zuwenden. „Dadurch, dass er jeden auf Arabisch anspricht, wird er viel schneller jemanden entdecken können, den er im Blick behalten muss, der solche radikalen Ideen verbreiten will“, ergänzt Atrous‘ christlicher Seelsorge-Kollege Romain Kremer: „Er ist dabei natürlich auch in einer heiklen Lage, da er das Vertrauen der muslimischen Gefangenen nicht verspielen darf.“

Letztlich aber bleibt es in der Verantwortung der Gefängnisleitung, Radikalisierungsprozesse früh zu bemerken und, noch wichtiger, ihnen vorzubeugen. „Dadurch, dass wir die uns von der Justiz anvertrauten Menschen individuell betreuen und auch überwachen, gehen wir davon aus, dass wir Anzeichen von gefährlicher Radikalisierung auch feststellen und auf sie reagieren können“, so Vincent Theis.

Siehe auch http://www.woxx.lu/tag/deradikalisierung.

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