Vom menstruierenden Burgfräulein bis zur Wilden aus Lasauvage: Das Kollektiv Maskénada wirft ab dem 9. April einen neuen Blick auf Frauenfiguren in luxemburgischen Legenden. Die Interpretationen sind in den kommenden sechs Monaten unter freiem Himmel zu sehen.
Das Kollektiv Maskénada, bekannt für seine Stücke an unkonventionellen Orten, entdeckt in seiner Veranstaltungsreihe „E roude Fuedem duerch de roude Buedem“ luxemburgische Legenden und ihre Frauenfiguren neu. 32 Künstler*innen haben sechs Geschichten zusammengeschrieben, die sie bis Oktober als Audio-Rundweg, Theater-Spaziergang oder Performance-Lesung präsentieren. Schauplatz sind Wälder, Naturreservate und öffentliche Räume der Südgemeinden Esch, Sassenheim, Monnerich, Bettemburg, Düdelingen und Lasauvage. Die Veranstaltungen wurden in enger Zusammenarbeit mit den lokalen Naturverwaltungen konzipiert, um den Naturschutz zu gewährleisten.
Die Erzählungen inspirieren sich lose an bestehenden Mythen, an den Spielorten sowie an gesellschaftlichen Themen. Mirka Costanzi, Projektleiterin und Sekretärin von Maskénada, gab den Anstoß zum Projekt. „Ich hatte die Idee, einen Legenden-Parcours in der Natur zu erarbeiten“, berichtet sie der woxx. „Ich wollte zunächst die Geschichte des Zolwerknapp, wo ich herkomme, neu erzählen.“ Die Legende besagt, dass die Burgfrau vom Zolwerknapp flüchten musste, um sich und ihren Partner vor einem Angriff zu schützen. In dem Theater-Spaziergang „Déi roud Drëps – Wat kucks du?“, der am 2. und 3. Juli auf dem Zolwerknapp aufgeführt wird, greifen Autorin Jacqueline Wild und Regisseurin Regina Picker diese Erzählung auf, um sie unter anderem mit der Frage nach Gewalt gegen Frauen und den Lebensphasen menstruierender Personen zu verknüpfen.
„Demokratisch-anarchistisches” Projekt
Als dezidiert feministisch will Tammy Reichling, die künstlerische Leiterin und Präsidentin von Maskénada, das Projekt aber nicht beschreiben. Sie nennt es lieber „demokratisch-anarchistisch“ und versteht darunter einen „Zustand von Ordnung, in dem das persönliche auch öffentlich künstlerisch, sozusagen politisch wird – entgegen der Vorstellung, dass Anarchie destruktiv und chaotisch sein muss.“ Es ging ihr um „gruppendynamische Ordnungen, die nicht auf Herrschaft, Konkurrenz, Ausbeutung und Egoismus basieren, sondern auf Gleichberechtigung, Vereinbarungen, Hilfe und Solidarität.“ Der Fokus lag inhaltlich jedoch von Anfang an auf den Frauenfiguren.
In „De sëlwer-roude Rack“, einem Audio-Rundweg durch den Escher Ellergronn, ergänzt die Autorin Annick Sinner die Legende über ein Schloss im Ellergronn beispielsweise um eine wichtige Frauenfigur. Zusammen mit Peggy Wurth konzipierte sie eine Geschichte, in die persönliche Erfahrungen verwoben sind. „Wir sind beide Mütter und Künstlerinnen, die einen Drang haben, das auszuleben. Ich habe versucht, diesen Gedanken in die Geschichte einzubinden“, verrät Sinner. Dem fügt Peggy Wurth bei: „Für die Installation und den Lauschter-Trëppeltuer im Ellergronn haben wir geschaut, was es schon an Geschichten gibt – die sind meistens von Männern geschrieben und gesammelt worden – und haben das aus dem Blickwinkel von Frauen betrachtet. Wir wollen zeigen, dass auch häkelnde, nähende Frauen mit Kindern nicht das Mütterchen sind, das auf den Prinzen wartet. In Annicks Geschichte ist nicht der Mann der Held, sondern die Frau.“
Zwei weitere Autoren, Antoine Pohu und Fernando da Mota, haben Sinners luxemburgische Geschichte übersetzt: Pohu schrieb eine französische, da Mota eine englische und portugiesische Variante, die sich vom Tonfall her von Sinners unterscheiden. „Die englische Version ist poetisch und mystisch. Fernando da Mota benutzt Wörter und Redewendungen, die wir so nicht benutzen würden“, kommentiert Reichling die Übersetzungen. „In der französischen Version ist die Stimmung der Frau präsenter, der Text ist direkter in seiner Ansprache, frecher, frustrierter.“
Wer über ein Smartphone und Kopfhörer verfügt, kann sich die Geschichten nach dem Scan von QR-Codes, die ab dem 9. April im Ellergronn zu finden sind, anhören oder dazugehöriges Bildmaterial betrachten. Für all dies bedarf es der App „Roude Fuedem“, die es vor Ort oder in App-Stores zum Herunterladen gibt. Weitere Informationen zur Funktionsweise der App und eine Wegbeschreibung gibt es auf einer Anzeigetafel am Startpunkt des Rundwegs beim „Centre nature et forêt Ellergronn“. In einer zweiten Phase des Projekts sollen auch die Theater-Spaziergänge und die Performance-Lesung zu Audio-Rundwegen aufgearbeitet werden. Das will das Kollektiv nächstes Jahr angehen, nach Esch2022.
Stichwort Kulturjahr
Maskénada hat eine besondere Verbindung zu europäischen Kulturjahren: Das Kollektiv wurde 1995 im Rahmen des Kulturjahres in Luxemburg-Stadt gegründet. Die Zusammenarbeit mit dem Organisationsteam von Esch2022 beschreiben Costanzi, Reichling und Wurth grundsätzlich als gut. Es habe jedoch eine Weile gedauert, bis alles in trockenen Tüchern gewesen sei, was die bereits beauftragten Künstler*innen und damit auch das Kollektiv in Atem hielt. „An dieser Stelle ein großes Lob an den Verwaltungsrat von Maskénada für den Zusammenhalt“, betont Costanzi.
Das Komitee hat sich in den letzten zwei Jahren neu aufgestellt: Langjährige Mitglieder zogen sich zurück, neue kamen hinzu. „Das Motto des Kulturjahres ‚Remix‘ bedeutet für uns nicht nur die Neuerzählung der Legenden, sondern auch der ‚Remix‘ innerhalb von Maskénada, zwischen neuen und alten Mitgliedern“, erklärt Costanzi. Für Reichling feiert Maskénada mit „E roude Fuedem duerch de roude Buedem“ gar ein Revival und knüpft an vergangene Arbeitsweisen an, die unter anderem aufgrund der Pandemie lange nicht umsetzbar waren: „Viele Künstler*innen haben Maskénada und sich selbst in dem Projekt wiedererkannt.“