Der EU-Wahlkampf läuft. Obwohl die Anzeichen der Klimakrise immer sichtbarer werden, gibt es im Kampf dagegen längst keine Einigkeit unter den Luxemburger Parteien. Die woxx hat die Wahlprogramme analysiert.

Kernkraft oder Photovoltatik? Viele Luxemburger Parteien scheinen ihre Klimapolitik an solchen polarisierenden Themen festzumachen. (Fotos: CC BY-SA Dominique Bugmann; CC BY-SA Avda/Wikimedia)
Der April 2024 war der wärmste seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1850 und der elftwärmste Monat in Folge, wie die US-Wetterbehörde NOAA am vergangenen Dienstag berichtete. Eine Umfrage des britischen Guardian unter Klimaexpert*innen ergab, dass rund 80 Prozent von ihnen eine globale Erwärmung von mindestens 2,5 Grad bis zum Ende dieses Jahrhunderts erwarten. Liest man die Wahlprogramme jener 13 Luxemburger Parteien, die am 9. Juni zur EU-Wahl antreten, wird klar, dass es nicht nur Uneinigkeit über die Maßnahmen gibt, sondern auch eine Reihe von Parteien, die eher gegen Klimapolitik argumentieren.
Die selbsternannte Oppositionsbewegung „Mir d’Vollek“, die sich im Zuge der Proteste gegen Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung gegründet hatte, zählt definitiv zu jenen Parteien, die die Klimakrise leugnen. Die Bewegung hat nur einige wenige Abschnitte auf ihrer Website, die als so etwas Ähnliches wie ein Wahlprogramm gelten könnten. Die Bewegung ist gegen das, was sie „Klima-Wahn“ nennt, und hält CO2 für nicht schädlich. Außerdem behauptet sie, die Konzentration des Treibhausgases sei Ende des 19. Jahrhunderts gleich hoch gewesen wie heute (siehe links).
Auch Déi Konservativ ist weitestgehend gegen klimapolitische Maßnahmen, die sie in ihrem – übrigens komplett in Großbuchstaben geschriebenen – Wahlprogramm „Klima-Ideologie“ nennt. Zwar will man erneuerbare Energien fördern und eine „realistische Transition“, was letztere jedoch genau sein soll, darüber gibt die Partei keine Auskunft. Stattdessen lehnt sie eine vermeintliche „Klima- religion“ ab und will ihre Klimapolitik „ohne grüne Hypokrisie, Populismus und Radikalaktivismus“ gestalten. Warum die Partei rund um Joé Thein überhaupt eine Transition will, ist nicht klar, immerhin denkt man, der Klimawandel sei „ein natürliches Allzeit-Phänomen, das nicht in ein totalitäres Klimaregime führen“ dürfe. Die Partei betont auch, „pro Auto“ und für Kernkraft zu sein. Sie will weder umweltbezogene Pflichten, Verbote noch Steuern, aber das Verursacherprinzip soll trotzdem irgendwie eingehalten werden – wie, weiß vermutlich nur Thein allein.
„Unabhängig“ durch russisches Gas
Während wohl weder „Mir d’Vollek“ noch „Déi Konservativ“ sonderlich hohe Chancen haben dürften, könnte die ADR durchaus einen Sitz im Europaparlament ergattern. Die Partei, die zur Rettung des Verbrennermotors antritt, scheint vor allem darauf zu setzen, in größtmöglicher Opposition zu Déi Gréng zu stehen. Da die Kandidat*innen trotzdem nicht als wissenschaftsferne Klimaleugner*innen dastehen wollen, hat die ADR wohl die meisten Widersprüche in ihrem Kapitel über Klimapolitik. Einerseits behauptet sie, die EU-Bestrebungen zur Klimaneutralität bis 2050 seien sinnlos, würden nicht erreicht und wenn doch, hätten sie „keinen messbaren Einfluss“ auf das Weltklima. Andererseits ist die ADR trotzdem für den Ausbau erneuerbarer Energien und für die Dekarbonisierung der Gesellschaft. Das, obwohl die Partei wieder russisches fossiles Gas importieren will.
Fossile Energien und Kernkraft würden, so die Partei, im Gegensatz zu erneuerbaren Energien nicht so abhängig von den Importen seltener Erden aus Drittstaaten machen. Sonderlich große Ölfelder oder Uranminen gibt es in der EU zwar auch nicht, aber solche Fakten sieht die ADR vermutlich auch als „grün-ideologisch“. Die Widersprüche hören dort noch nicht auf: Die Partei positioniert sich gegen Energiearmut, will mit Klimagerechtigkeit jedoch nichts zu tun haben, denn die Klimabewegung, die jene propagiere, sei oft „offen marxistisch“. In einem Satz über die Luftqualität zeigt die Partei, wie sehr sie auf ihr Bauchgefühl setzt: Grenzwerte sollen „im Einklang mit der Medizin und nicht durch ideologische Überlegungen“ festgesetzt werden. Die Grenzwerte der EU liegen deutlich höher als jene, die die Weltgesundheitsorganisation vorschlägt. Von der woxx darauf angesprochen antwortete die ADR: „Wir halten uns an die EU-Werte und versuchen die progressiv zu verbessern.“ Im Klartext: Die ADR schlägt eine ideologische, statt einer medizinischen Betrachtung der Luftqualität vor.
Fokus kann man sicherlich nicht unterstellen, die Klimakrise zu leugnen, doch besonders viel Bedeutung räumt die Partei ihr in ihrem Wahlprogramm nicht ein. Im Kapitel über Energiepolitik wiederholt Fokus ihre bejahende Position zur Kernkraft – ohne sie sei eine stabile Versorgung nicht möglich. Außerdem wird, was bei den Lobby-Verbindungen des Spitzenkandidaten Frank Engel nicht verwundert, Wasserstoff viel Platz eingeräumt. Zudem ist die Partei für eine Investitionsoffensive in europäische Bahnnetze für den Gütertransport, um dem LKW-Verkehr Einhalt zu gebieten. Die Preise oder Zölle für Agrarimporte will Fokus erhöhen: Neuseeländischer Pinot Noir dürfe in Europa ruhig teurer sein. Insgesamt sind die klimapolitischen Vorschläge wie der Rest des Wahlprogramms in einem launigen Ton geschrieben, was einem das Gefühl gibt, von Engel persönlich belehrt zu werden und nicht etwa eine Zukunftsvision zu lesen. Zu den aktuellen oder zukünftigen Klimazielen der EU äußert sich Fokus nicht.
Das Wahlbündnis „Zesummen – d’Bréck“ hat nur ein sehr kurzes Programm, das in Sachen Klima wenig neue Impulse bietet: Man solle über den Einsatz von Kernkraft nachdenken, in Kernfusion forschen, Europa wieder bewalden und den Schienenverkehr verbessern sowie kostenlos machen. Die neue Bewegung setzt sich außerdem für eine Obergrenze der Energieproduktion an und will Kerosin besteuern.
CO2 einfangen und wieder freisetzen
Auch die DP widmet der Klimakrise nicht sehr viel Platz. Sie unterstützt die aktuellen Ziele der EU: Senkung der CO2-Emissionen um 55 Prozent bis 2030, Klimaneutralität bis 2050. Neben dem Ausbau erneuerbarer Energien macht sich die liberale Partei für Kohlenstoffsenken stark: Es sollen mehr Bäume gepflanzt werden, die Speicherkapazität der Böden erhöht werden und – eher überraschend – ein europäischer Rahmen „für die Abscheidung, Speicherung und Nutzung von Kohlenstoff“ geschaffen werden. Damit sind wohl sogenannte Carbon Capture and Storage-Techniken gemeint. Zu beachten ist, dass die „Nutzung“ von abgeschiedenem CO2 nicht unbedingt neutral ist: Werden damit zum Beispiel synthetische Kraftstoffe produziert, die dann in Motoren verbrannt werden, gelangt das CO2 trotzdem in die Atmosphäre.
Ähnliches liest man in den „neuen Lösungen für Europa“, die die Piratepartei vorschlägt. Auch sie will das CO2 durch Carbon Capture einfangen und entweder in Beton binden oder durch das Verbrennen synthetischer Kraftstoffe wieder in die Atmosphäre blasen. Die Partei spricht sich dafür aus, das Pariser Klimaabkommen einzuhalten, und will eine CO2-Steuer, die durch einen sogenannten „Klimabonus“, also eine Geldzahlung an alle Bürger*innen, abgefedert werden soll. Die Pirat*innen sprechen sich auch explizit gegen Kernkraft aus.
Zu diesem Thema schweigt die CSV, doch wie bei so vielen Parteien finden sich bei ihr ebenfalls Widersprüche im Programm: Sie will den Klimaschutz „unverkrampft“ angehen, denn Angstmache sei die falsche Methode, um Bürger*innen Klimapolitik zu vermitteln. Trotzdem – oder vielleicht gerade um Lust auf Klimaschutz zu machen – soll Europa eine Vorreiterrolle spielen. Die EU-Ziele will die konservative Partei nicht verändern. Dafür setzt die CSV auf Kreislaufwirtschaft, erneuerbare Energien und Wasserstoff. Der soll auch in der Großregion produziert werden – obwohl es weder in Luxemburg noch in den angrenzenden Regionen besonders viel Sonne oder Wind gibt, sodass wohl kaum Stromüberschüsse zur Verfügung stehen werden, die mittels energieaufwändiger Hydrolyse zu Wasserstoff werden könnten. Die CSV will allerdings auch in Europa nachhaltige Batteriesysteme und Elektroautos entwickeln.

(woxx/gt;)
Einen „Green Deal mit rotem Herz“ wünscht sich die LSAP und meint damit eine sozial-ökologische Transition, die die bisherigen Klimaziele der EU und den Green Deal umsetzt. Man würde jeden Versuch, diesen zu verwässern oder abzuschwächen, bekämpfen. Viel Konkretes erfährt man im Wahlprogramm der LSAP nicht, sie setzt auf eine „nachhaltige und transparente“ Energiepolitik und will durch das Fördern erneuerbarer Energien den Import von russischem Gas überflüssig machen und für stabile und bezahlbare Energiepreise sorgen.
Die KPL, die Waffenlieferungen an die Ukraine kritisiert, thematisiert in ihrem Wahlprogramm den Import von russischem Gas nicht. Allerdings spricht sie sich explizit gegen Frackinggas aus. Die kommunistische Partei fordert die Förderung erneuerbarer Energien und eine schnelle Senkung der Treibhausgasemissionen. Sie will außerdem eine Anpassung der gesamten Wirtschaft, die ihrer Meinung nach unter dem Kapitalismus nicht klimafreundlich werden kann. Insgesamt kritisiert die KPL die EU als nicht klimafreundlich, es würden vor allem Banken und Konzerne gefördert, die mit „grün“ gefärbten Programmen Profite einstreichen wollten.
Früher klimaneutral
Kapitalismuskritisch zeigt sich auch Déi Lénk, die „eine Klimapolitik, die über grünen Kapitalismus hinausgeht“ fordert. „Die letzten Jahre haben die Unvereinbarkeit des kapitalistischen Ausbeutungssystems mit den ökologischen Erfordernissen aufgezeigt“, schreibt die Partei, die als eine von wenigen ambitionierte Klimaziele fordert: Bis 2040 soll die EU klimaneutral sein. Déi Lénk wollen „große Verschmutzer und Milliardär*innen“ stärker zur Kasse bitten sowie Liberalisierungen im Strommarkt zurücknehmen. Neben den bekannten Forderungen nach mehr erneuerbaren Energien und besserem öffentlichen Transport wollen die Linken auch ein Verkaufsverbot für SUVs – ob mit Verbrennermotor oder elektrisch.
Auch Déi Gréng fordern – Opposition oblige – ein früheres Ziel für die Klimaneutralität, ebenfalls bis 2040. Die EU solle eine „Gemeinschaft der erneuerbaren Energien“ schaffen, um unabhängig „von Autokraten“ zu werden. Interessanterweise schreibt die oft als Mittelschicht-Partei verstandene Déi Gréng viel zu Arbeitsplätzen, die durch die grüne Transition entstünden. Trotz der langfristigen Schaffung von zehn Millionen Arbeitsplätzen seien arbeitspolitische Maßnahmen wie ein Angebot von Weiterbildungen und Umschulungen nötig. Das Klimakapitel im ohnehin ausführlichen und technischen Wahlprogramm ist lang und umfasst nicht nur Standpunkte zu Atom (nein) und Wasserstoff (nur grün), sondern auch viele Überlegungen zu nachhaltiger Mobilität, dem Ausbau des Schienenverkehrs in Europa und sogenannter „Clean Aviation“.
Auch die paneuropäische Partei Volt will 2040 klimaneutral sein, zusätzlich soll ein „Klimanotfallgesetz“ verabschiedet werden, das eine Emissionsreduktion um 80 Prozent bis 2030 vorsehen soll. Volt schreibt ausführlich über den Europäischen Emissionshandel, den die Partei zum Beispiel auf industrielle Tierhaltung ausweiten will. Bis 2035 soll die Verwendung fossiler Kraftstoffe in der EU verboten werden. Der Schienenverkehr soll innerhalb der EU nicht nur verbessert, sondern, inklusive Spurweiten, harmonisiert werden. Kernkraftwerke sollen bis zum Ende ihrer geplanten Laufzeit Strom produzieren, neue jedoch nur ans Netz gehen, wenn sie „erwiesenermaßen inhärent sicher“ sind. Ein interessanter Aspekt des sehr langen Volt-Wahlprogramms ist, dass am Ende jedes Kapitels genau beschreiben ist, durch welche Gesetze die beschriebenen Maßnahmen umgesetzt werden sollten und wie viel diese kosten sollen.
Die Wahlprogramme machen deutlich, wie sehr Klimapolitik zu einem ideologischen Schlachtfeld geworden ist. Vor allem rechte Parteien versuchen sich in einer Anti-Klimapolitik, die längst den Boden der Tatsachen verlassen hat und sich durch Widersprüche auszeichnet. Viele Parteien trauen sich zudem nicht, einen vermeintlich sicheren „Mittelweg“ zu verlassen. Dem Klima wird beides nicht helfen.
Faktencheck: Früherer CO2-Gehalt
In alten Lexika könne man nachlesen, der CO2-Gehalt der Atmosphäre sei Ende des 19. Jahrhunderts gleich hoch gewesen wie heute, so „Mir d’Vollek“. Dem ist jedoch nicht so, mehrere Faktenchecks von Correctiv, der AFP und Mimikama widerlegen diese These. Der Wissenschaftsblogger und Raumfahrtingenieur Michael Khan merkte zudem an, dass der oft zitierte Lexikoneintrag vermutlich von Volumenprozent ausgeht, was nicht der heute verwendeten Maßeinheit ppm (parts per million) entspricht. Eine hohe CO2-Konzentration in Luft – ob in Innenräumen oder der Atmosphäre – trübt übrigens die menschliche Denkfähigkeit.