Europäische Union: Ohne Orientierung

In der Chamber soll mehr über EU-Politik diskutiert werden. Die europapolitische Debatte dieser Woche sollte da nicht als Vorbild dienen.

Bettel in Brüssel auf dem EU-Gipfel. An der EU-Debatte in der Chamber nahm er nicht teil. (Foto: EPA/JULIEN WARNAND)

Ein Premierminister, der kurzentschlossen nach London flog, um dort einen Landsmann beim Tennisspielen zu unterstützen (@Xavier_Bettel auf Twitter: allez Mulles du packs dat!) und dessen Platz in der Chamber somit leer blieb; ein Parlamentspräsident, der dieselbe Sitzung nutzte, um seine Post durchzusehen oder dicke Unterschriftenmappen abzuarbeiten – das sind zwei Randerscheinungen, die den Stellenwert der dieswöchigen parlamentarischen Orientierungsdebatte zur Zukunft der EU illustrieren. Oberste Priorität hat sie in der Luxemburger Politik nicht, die Diskussion um die angeschlagene Europäische Union. Das einzig handfeste Resultat, das nach vier Stunden leidenschaftslos geführter Debatte vorlag, bestand in einer Motion, in der die Chamber sich selbst mehr Europapolitik verschreibt. Künftig soll das Luxemburger Abgeordnetenhaus enger in EU-Dossiers eingebunden werden, zudem soll es dort regelmäßig Debatten über europapolitische Themen geben.

Das allerdings ist nur bedingt eine gute Nachricht. Denn die Debatte am Mittwoch macht kaum Appetit auf mehr. Markanteste Schlussfolgerung des wenig engagierten Berichterstatters: Großangelegte parlamentarische Debatten um institutionelle Veränderungen werden kaum dazu dienen, den EU-Bürger mitzureißen. Der Lissabonner Vertrag der EU biete genug Möglichkeiten, notwendige Reformen einzuleiten, stellt Marc Angel (LSAP) fest. Ohne sich jedoch die Mühe zu machen, genauer auszuführen, um welche Reformen es dabei gehen könnte.

Auch die nachfolgenden Redner hielten sich mit konkreten Vorschlägen zurück. Europa habe einen Burnout, eine kontinentale Depression, übte sich Oppositionsführer Claude Wiseler in politischer Psychodiagnostik. Solche Momente böten jedoch auch die Chance eines „Energieauslösers“, den es als Ausgangspunkt für fantasievolle Lösungen zu nutzen gelte. Doch abseits von solchen Sprachspielen lieferte auch er eher vage gehaltene Statements denn mit innovativen Elementen gespickte Diskussionsvorlagen.

Einig zeigen sich die meisten darin, dass die EU sich künftig mit verschiedenen Geschwindigkeiten vorwärts bewegen soll. Ein solches Europa à la carte sei „nicht ohne Risiko für ein Land wie Luxemburg“, warnte LSAP-Fraktionsvorsitzender Alex Bodry. Er nannte die Beispiele einer „Tobinsteuer“ oder eines „BEPS plus“. Doch Bodry belässt es bei diesen Stichworten. Dabei finge hier die Diskussion erst an: Wie genau positioniert sich die LSAP in solchen Steuerfragen? Und zwar nicht allgemein und abstrakt, sondern ganz konkret, wenn es um die Haltung geht, die die Luxemburger Regierung (in der die LSAP vertreten ist) in EU-Gremien vertreten soll.

In einer nationalen EU-Debatte sollten die Positionen der eigenen Regierung ausdiskutiert werden. Das ist jedoch nicht passiert.

Genau diese Positionen müssten eigentlich in einer auf nationalem Niveau organisierten EU-Debatte ausdiskutiert werden. Doch auch Claude Adam, der am Mittwoch in der Chamber das Wort für die Grünen ergriff, vermied es, den Zuständigen konkrete Handlungsanweisungen mit auf den Weg nach Brüssel zu geben. Zwar ist eine faire Steuerpolitik Bestandteil von Adams Fünf-Punkte-Katalog. Seine Forderung nach mehr Steuergerechtigkeit bezieht er jedoch ganz allgemein auf die „EU-Mitgliedstaaten“, ohne das Wort an den anwesenden Finanzminister zu richten. Allein dem ebenfalls anwesenden Außenminister widmet Adam in seiner Rede ein paar Sätze: Unter anderem wartet er mit der statistischen Erkenntnis auf, Asselborn habe in seiner außenpolitischen Rede 76 Mal das Wort „europäisch“, 25 Mal die „EU“ und 55 mal „Europa“ erwähnt – für Claude Adam wohl ein geeigneter Beleg, um die Bedeutung der EU zu unterstreichen.

Eine Orientierungsdebatte über EU-Politik sollte mehr zu bieten haben, wenn man nicht das Gegenteil der ursprünglichen Intention erreichen will. Es wäre hilfreich, wenn sich die Parlamentsredner auf einige konkrete Fragen beziehen würde, in denen sie eindeutig Farbe bekennen. Um so dem Wähler eine Orientierungshilfe mit auf den Weg in die Wahlkabine zu geben. Oder – wichtiger noch – ihn überhaupt für EU-Diskussionen zu interessieren. Die Debatte am Mittwoch trug dazu sicher nicht bei.


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