Europäischer Bürgerdialog: Energie-Chat

Kann uns ein EU-Kommissar von Cattenom befreien? Leider nein, aber er kann mit uns über Cattenom dialogieren. Und über Themen wie chinesische Solarpanels und intelligente Stromnetze.

1323n Tweet INTENET 40 CROPAm Eingang für jeden Teilnehmer ein „voting device“, auf dem Balkon ein Techniker vor einem Laptop, drinnen drei Kameras, die das Geschehen filmen, und hinter der Bühne eine Riesenleinwand, auf der nebeneinander das Live-Video und die neuesten Tweets angezeigt werden. Ein Kongress der Piratenpartei? Keineswegs. Es ist die EU-Kommission auf der Suche nach Bürgernähe. Beim Europäischen Bürgerdialog am vergangenen Montag ging es um die Energie-Union; es referierten, in bequemen Stahlrohrsesseln sitzend, der zuständige EU-Kommissar Maroš Šefčovič und der luxemburgische Wirtschaftsminister Étienne Schneider.

„Hoffentlich erreicht das Ja ein besseres Ergebnis bei dieser Frage als am Sonntag beim Referendum“, versuchte Schneider beim ersten Voting die Stimmung aufzulockern. Bei der – von rhythmischer Musik untermalten – Frage, ob Energiepolitik auch eine europäische Angelegenheit sei, drückten fast alle Anwesenden die Eins-Taste auf dem „voting device“ – rekordverdächtige 97 Prozent Ja. Das Problem: Energiepolitische Entscheidungen werden weiterhin von den Mitgliedstaaten getroffen, und obwohl Šefčovič einer der sieben Vize-Präsidenten der Kommission ist, verfügt er über wenig reale Macht. Per Twitter nach der Rolle der Nuklearenergie befragt, verwies der slowakische Sozialdemokrat auf die 14 an ihren Atomreaktoren festhaltenden Länder. Dennoch sei es positiv, dass man überhaupt über eine europäische Energiepolitik diskutieren könne. In der Tat, als der EU-Parlamentarier Robert Goebbels 2007 ein entsprechendes Strategiepapier vorgelegt hatte (woxx 884), schien die Energieunion noch in weiter Ferne.

Schon damals war die Atomenergie eines der kontroversesten Themen. Am Montag war sie der Grund für die Anwesenheit einer Gruppe grüner Aktivisten um den Europaabgeordnete Claude Turmes. Dessen über Twitter eingereichte Frage war allerdings ausgefiltert worden, weil vorrangig einfache Bürger zu Wort kommen sollten – eine unrealistische Vorgabe, denn fast alle Tweets mit dem Hashtag #EUdialogues stammten aus dem Saal. Der Tweet eines Mitstreiters kam immerhin durch, woraufhin ein betont freundlicher Kommissar und ein nicht unfreundlicher Wirtschaftsminister versuchten, den grünen Kämpfer zu beruhigen: Die anstehende Veröffentlichung eines nuklearfreundlichen Berichts bedeute nicht, dass man die gelbe der grünen Energie vorziehe.

High tech, low return

Die Stärke dieser Form des Bürgerdialogs – die Vielfalt der angesprochenen Themen – ist zugleich ihre größte Schwäche: Die Themen werden nicht vertieft. Probleme wie die Internalisierung der Umweltkosten oder die Zusammenarbeit mit den Ländern im Süden wurden nur kurz angerissen. Ergiebiger war die Diskussion über die positiven Auswirkungen der Transition, also des Übergangs von fossilen zu grünen Energien. Diese neuen Technologien würden zur Wettbewerbsfähigkeit beitragen, könnten später in andere Länder verkauft werden und schafften mehr Arbeitsplätze als der Import von Erdöl, schwärmte Schneider. Doch eine der – ungefilterten – Publikumsfragen hielt dagegen: Die „Invasion“ der chinesischen Solarpanels schaffe doch wohl kaum Jobs in Europa. Schneider relativierte die Kritik unter Verweis auf die nicht delokalisierbaren Arbeitsplätze, die bei der Installation der Anlagen entstehen. Und plädierte für die fast schon protektionistische Idee, Importe mit Zöllen zu belegen, wenn sich die Herkunftsländer nicht bestimmte ökologische und soziale Mindesstandards einhalten.

Wenig überraschend fiel beiden Politikern beim Thema Energieeffizienz die technokratische Lösung der „smart grids“ ein: Stromnetze, die Informationen austauschen und ihre Leistung an den Verbrauch anpassen. Die willkommenen zwei bis drei Prozent Einsparungen stilisierte Šefčovič gar zu einem europäischen Pendant zum amerikanischen Schiefergas-Wunder hoch. Eine massive Verbrauchssenkung dagegen war kein Thema. Beide Politiker nachdenklich stimmen dürfte die abschließende Frage an das Publikum, ob einem als Bürger zugehört werde: Ein bitteres 57-prozentiges Nein war die Antwort.


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