Viele in Luxemburg arbeitende Journalistinnen warfen in den letzten fünf Jahren das Handtuch. Ein Grund, den Arbeitsalltag weiblicher Medienschaffender etwas genauer unter die Lupe zu nehmen.
Der luxemburgische Journalismus ist weit davon entfernt, die gesellschaftliche Realität abzubilden. Das schon allein in puncto Gender: Laut Global Media Monitoring Project 2020 (GMMP) ist die Anzahl der Journalistinnen hierzulande in den letzten fünf Jahren von 39 auf 30 Prozent gesunken. Nur acht von insgesamt 34 Chefredaktionen sind in Luxemburg von Frauen besetzt. Wie wird dieses Ungleichgewicht innerhalb der Branche erlebt? Und was könnten die Ursachen sein? Die woxx hat mit aktiven und ehemaligen Journalistinnen sowie den Chefredaktionen von RTL, Tageblatt, Journal, Lëtzebuerger Land, 100komma7, Reporter und Luxemburger Wort gesprochen.
Einige Journalistinnen halten Umwälzungen in der Branche für normal, andere machen geschlechtsspezifische Gründe dafür aus. „Es ist ein Sektor, in dem es in den letzten zehn Jahren viele Sozialpläne und Entlassungen gab. In dieser Pressekrise ist der finanzielle Druck auf die Medienhäuser sehr hoch. Es ist klar, dass in so einer Zeit die Gehälter von Frauen, die Teilzeit arbeiten, nicht mehr attraktiv sind, und das ist in meinen Augen der Grund, warum viele Frauen den Beruf seit Anfang der Pressekrise in Luxemburg verlassen haben“, sagt Laurence Bervard, Mitbegründerin von Reporter und ehemalige Wort-Journalistin. Es gebe in dem Beruf generell wenig Frauen zwischen 35 und 50. Das sei genau das Alter, in dem Familie eine wichtige Rolle spiele. In der Familie übernehme die Frau in unserer Gesellschaft immer noch eine viel größere Verantwortung als der Mann.
Das ließe sich schwer mit einer stressigen Arbeitsstelle verbinden, bei der es ständig viele Abgabefristen gebe, so Bervards Einschätzung. „Einerseits ist es schwer, die gute Qualität der eigenen Arbeit zu festen Abgabefristen zu gewährleisten, wenn man als Mutter privat mehr strapaziert wird, als wenn man Vater ist. Ich habe mitbekommen, dass Berufskolleginnen aus diesem Grund keine Vollzeitanstellung mehr wollten“, beobachtet Bervard. Andererseits sei es ein Job, in dem man heutzutage ohnehin nicht mehr gut verdiene und in dem man es sich nicht leisten könne, Teilzeit zu arbeiten und dann nur noch 75 oder 50 Prozent des Gehalts zu verdienen. Besonders der stressige Aspekt des Berufs könnte ausgeglichener ausfallen, meint Bervard, wenn die Männer konsequent 50 Prozent aller Familienverpflichtungen übernehmen und dementsprechend genauso oft Teilzeitarbeit beantragen würden wie Frauen.
Das finanzielle Problem hingegen sei auch der mangelnden Anerkennung des Journalismus geschuldet. Zwar könne sie als Gründerin einer Firma die Werte hochhalten, dass es keine Gehaltsunterschiede zwischen den Geschlechtern gibt und alle sich Teilzeit erlauben können, doch sei das nur möglich, wenn noch mehr Leser*innen bereit wären, für Journalismus zu bezahlen.
Der Umgang mit dem hohen Arbeitspensum von Journalist*innen variiert je nach Presseorgan. Während das Lëtzebuerger Journal auf Nachfrage der woxx nur das Einhalten von Feierabenden und Wochenenden anführt, gehen andere weiter. Bei RTL werden die Arbeitszeiten an die Bedürfnisse der Journalist*innen angepasst, bei Reporter wird versucht, diesen mit zusätzlichen Urlaubstagen, flexiblen Arbeitszeiten und einem „zeitnahen Ausgleich für Wochenendarbeit“ entgegenzukommen. Bei Radio 100komma7 und Luxemburger Wort wiederum bemüht man sich, den jeweiligen Lebenssituationen mit Teilzeitarbeit Rechnung zu tragen.
„Uns ist es wichtig, eine journalistische Kultur zu entwickeln, wo niemand, der eine Verschnaufpause braucht, schief angesehen wird“, erzählt Dhiraj Sabharwal, Chefredakteur des Tageblatt. Sabharwal ist der Überzeugung, dass „Journalisten nur kreativ und kritisch sein können, wenn sie ausgeruht sind“. Mittels Homeoffice und „flexibler digitaler Software“ werde versucht, der Redaktion möglichst viel Freiraum zu geben – wodurch, wie Sabharwal einräumt, die Verantwortung von Einzelpersonen allerdings steige. Abgesehen von Bervard, erwähnte keine Chefredaktion im Gespräch mit der woxx, dass Frauen und Männer unterschiedliche Ansprüche haben, was die Work-Life-Balance angeht.
Zufall oder Strategie?
Allgemein ist das Verhältnis von männlichen und weiblichen Journalist*innen hierzulande unterschiedlich. Beim Lëtzebuerger Land ist eine ähnliche Entwicklung wie auch bei der woxx festzustellen: War die Redaktion in vergangenen Jahren hin und wieder paritätisch aufgestellt, so ist dies momentan nicht der Fall. Beim Land ist eine von sechs Journalist*innen weiblich – auch das feste Redaktionsteam der woxx ist nicht paritätisch besetzt. Peter Feist, Chefredakteur des Land, teilte derweil mit, dass die Zeitung bei Neueinstellungen zurzeit Frauen priorisiere. In den letzten Jahren haben gleich zwei erfahrene Journalistinnen – Ines Kurschat und Josée Hansen – das Land verlassen und sich beruflich neu orientiert.
In Redaktionen, die paritätisch besetzt sind, wie etwa die des Radio 100komma7 und Reporter, wird das Gleichgewicht zwischen den Geschlechtern aktiv angestrebt. Allerdings teilte keins der beiden Medienhäuser konkrete Informationen zum Vorgehen mit. Während Christoph Bumb, Chefredakteur bei Reporter, lediglich betonte, dass „Genderbalance von Anfang an wichtig und eine wichtige Strategie bei der Zusammenstellung des Redaktionsteams war“, ging Jean-Claude Franck, Chefredakteur von 100komma7, auf die entsprechenden Beweggründe des Radios ein: „Als öffentlich-rechtlicher Sender, der für die gesamte Gesellschaft da sein soll, ist es uns wichtig, dass auch unser Team repräsentativ für die Gesellschaft ist.“
Auch bei RTL arbeiten genauso viele männliche wie weibliche Journalist*innen. Dieses Verhältnis scheint aber eher zufällig entstanden zu sein. „Wir schauen beim Einstellen in erste Linie danach, welche Personen unser Team menschlich und inhaltlich verstärken können“, schrieb Chefredakteur Guy Weber der woxx. Die einzige Strategie in Sachen Diversität, die RTL verfolge, betreffe das Alter: So werde darauf geachtet junge und ältere Journalist*innen in Teams zusammenarbeiten zu lassen.
Das Lëtzebuerger Journal bemüht sich seit seiner Umstrukturierung zur Online-Zeitung und der radikalen Neuaufstellung des Teams sowohl bei der Themenauswahl und den Interviewpartner*innen als auch bei den Mitarbeiter*innen um ein egalitäres Geschlechterverhältnis. Das teilen Melodie Hansen, Chefredakteurin, und Lynn Warken, Content Director, mit. „Je diverser die Redaktion, desto unterschiedlichere Themen kommen auf, die wiederum eine diverse Leserschaft ansprechen“, begründen die beiden diesen Fokus.
Sexismus und Konkurrenz
Damit scheint die Zeitung mittlerweile frauenfreundlicher zu sein als noch vor dem digitalen Neustart. Die Journalistin Simone Molitor arbeitete über zehn Jahre für die Tageszeitung, unter anderem für die Ressorts Politik und Kultur. Molitor wurde im Zuge der Umstrukturierung entlassen, war anschließend kurz für die Online-Redaktion von RTL tätig und schreibt jetzt für das Wochenmagazin „Télécran“. Auf Unterschiede im Umgang der Redaktion mit Männern und Frauen angesprochen, erinnert Molitor sich vor allem an ihre Zeit beim „Journal“: „Es kam manchmal vor, dass der Ton ein anderer war. Ich hatte das Gefühl, dass Frauen gelegentlich weniger ernst genommen wurden und sich mehr beweisen mussten.“
Andere Journalistinnen berichten, dass in großen Redaktionen machistisches Verhalten herrsche, das jahrzehntelang von der Mehrheit akzeptiert und als normal angesehen wurde. Erst seit wenigen Jahren würden Frauen sich zunehmend gegen Stillschweigen und Aushalten entscheiden. Das sei sicherlich auch auf die Debatten rund um #metoo zurückzuführen. Trotzdem sei es in großen Medienhäusern nicht gut angesehen, als Frau auf deontologisch sowie sozial schwieriges Verhalten hinzuweisen. „Kritische Frauen gelten schnell als grummelige Emanze, kritische Männer hingegen als geistreich oder eigen“, hält eine ehemalige Journalistin fest, die anonym bleiben möchte.
Es ist auch sie, die darauf verweist, dass die Branche von Einzel- kämpfer*innen, Konkurrenzdenken und Machtspielen geprägt sei. Das habe sie sowohl als freie Mitarbeiterin als auch als Journalistin mit Festanstellung erlebt. Ob das eine Frage des Geschlechts ist, zweifelt sie an. „Das ist wie bei Hummern im Kochtopf: Die halten sich gegenseitig unter Wasser, statt sich aus ihrer Notlage herauszuhelfen“, führt die Ex-Journalistin als Metapher an. Die Frauen, die es bis an die Spitze geschafft haben, hätten dafür nicht selten überdurchschnittlich viel arbeiten und einstecken müssen.
Wenn es darum geht, Redaktionsmitgliedern im Fall von Diskriminierung eine neutrale Anlaufstelle zu bieten, scheint Luxemburgs Medienbranche indes noch in den Kinderschuhen zu stecken. Mit der Ausnahme von Radio 100komma7, das über eine „Délégée à l’égalité“ verfügt, verweisen die anderen Redaktions- leiter*innen auf Nachfrage der woxx auf Personaldelegationen, Personalbüros, die Direktion, den ausgeprägten Teamgeist oder auf eine offene Diskussionskultur. Das Bewusstsein, dass es sich bei den Gleichstellungsbeauftragten um Personen handeln sollte, die für Diskriminierungsfragen besonders geschult sind und zudem weder der Redaktion angehören noch in einem hierarchischen Verhältnis zu den potenziell Betroffenen stehen, scheint in Luxemburger Medienhäusern noch wenig ausgeprägt. Das Tageblatt stellte in seiner Antwort an die woxx zumindest in Aussicht, künftig einen oder eine Genderbeauftragte*n einstellen zu wollen.
Was die Reaktionen von Leser*innen betrifft, sind sich die meisten Journalistinnen einig: Frauen werden härter für ihre Beiträge kritisiert. Hass ernten sie ausschließlich von Männern. Simone Molitor erlebt, dass Journalistinnen oft persönlich angegriffen werden, manche Aussagen seien unter der Gürtellinie.
Hass im Netz ist ein Phänomen, das Jana Degrott, Politikerin und Mitgründerin von We Belong, einer Beratungsstelle für Diversität, nur zu gut kennt. Seit 2021 moderiert sie den Podcast „Wat leeft?“ in Zusammenarbeit mit dem Lëtzebuerger Journal, in dem sie marginalisierten Personengruppen das Wort gibt. „Besonders wenn ich gegen den Strom schwimme, fallen sofort rassistische Kommentare und Aussagen zu meiner Art, zu sprechen“, sagt sie. Hier mache sich bemerkbar, dass sie als nicht-weiße Frau gleich auf mehreren Ebenen angegriffen werde. Trotzdem ist es ihr wichtig, marginalisierte Menschen aktiv in die Medien einzubinden.
Eine Frage der Repräsentation
„Ich weiß, dass es viele nicht-weiße Frauen gibt, die stark unter dem Imposter-Syndrom leiden“, sagt sie. „Ich auch, besonders, wenn ich in einer Runde weißer Männer sitze. Ich habe immer das Gefühl, ich habe es nicht verdient, da zu sein, wo ich stehe – und dabei bin ich in privilegierten Verhältnissen aufgewachsen.“ Es gebe Menschen, die noch ganz andere Hürden überwinden müssten als sie. „Umso wichtiger ist es, dass sie sich im Journalismus repräsentiert fühlen. Nur so entsteht Vertrauen. Es ist schwer etwas zu sein, was man nicht sieht.“
Degrotts letzte Aussage lässt sich auch auf die allgemeine mediale Darstellung verschiedener Arbeitsbereiche übertragen: Frauen sind seltener als Expert*innen oder Referenzpersonen vertreten, heißt es im GMMP. Im Jahr 2020 wurde in lediglich 25 Prozent aller Medienbeiträge eine weibliche Person erwähnt. Simone Molitor steht dieser Erkenntnis aus dem GMMP kritisch gegenüber: „Man interviewt, wer offizieller Ansprechpartner ist und ist froh, überhaupt eine Rückmeldung zu erhalten. Manchmal hat man die Wahl nicht.“ Diese Haltung vertritt auch RTL. „Wir suchen nicht spezifisch nach männlichen und weiblichen Gesprächspartnern, sondern versuchen, so neutral, objektiv und ausgeglichen wie nur möglich, Akteure des öffentlichen Lebens zu interviewen, die uns Antworten auf unsere Fragen liefern können“, schrieb Guy Weber der woxx. Das Geschlechterverhältnis der von RTL interviewten Personen kennt er nicht. „Ich habe jetzt kein Inventar der Personen angelegt, die auf unserer Plattform zu Wort kommen. Prinzipiell ist es unsere Sorge, ein Spiegelbild der Gesellschaft zu sein.“
Degrott wiederum tritt für eine proaktive Herangehensweise ein: „Es ist wichtig, dass die Medienschaffenden sich bewusst Gesprächspartner*innen mit unterschiedlichen Hintergründen aussuchen. Die Bevölkerung in Luxemburg ist so divers, wie nirgendwo anders, aber das spiegelt sich nicht in den Medien.“ Sie räumt ein, dass es nicht immer leicht ist, passende Gesprächspartner*innen zu finden. Abhilfe schafft in ihren Augen der Kontakt zu Beratungsstellen oder zivilgesellschaftlichen Organisationen, die andere Kontakte pflegen als man selbst und Verbindungen herstellen können. „Wir müssen diese Diversität bewusst forcieren und das kostet Zeit, aber der Austausch mit Organisationen ist eine Best Practice, die jede Redaktion anwenden kann“, sagt sie.
Die wenigsten Chefredaktionen, die mit der woxx über ihren Arbeitsalltag sprachen, verfolgen eine Strategie, wenn es darum geht, über marginalisierte Bevölkerungsgruppen zu berichten. Für Reporter stellen sie einen von vielen Themenschwerpunkten dar. Das Land verfolgt eigenen Aussagen nach die Mission, die Leser*innen dabei zu unterstützen, die Gesellschaft zu verstehen. Themen wie Gender, LGBTQIA, Race und Inklusion jede Woche aufzugreifen, schaffe die Wochenzeitung aufgrund ihrer kleinen Redaktion jedoch nicht.
Radio 100komma7 verweist auf Serien, in denen entsprechende Themen abgedeckt würden. In den Nachrichten kämen sie vor, „wenn sie aktuell oder gerade pertinent seien“. Eine vergleichbare Haltung legt das Luxemburger Wort an den Tag, wenn es betont, dass die Aktualität die in den jeweiligen Ausgaben behandelten Themen vorgebe. Dass die Medien maßgeblich beeinflussen, welche Sujets gerade aktuell sind, blendete Paul Peckels, Direktor beim Wort, im Gespräch mit der woxx aus.
Die Journalistinnen und Vertreter*innen der Chefredaktionen betonten darüber hinaus immer wieder, dass die Autor*innen bei ihrer Themenwahl freie Hand hätten. Die wenigsten von ihnen gaben offen zu, Sujets beispielsweise geschlechtsspezifisch zu betrachten. Nur die zuvor genannte Ex-Journalistin erwähnte, sich im Laufe ihrer Karriere bewusst für sogenannte „Frauenthemen“ entschieden zu haben, weil diese von ihren männlichen Kollegen kaum behandelt wurden und deren Artikel „weibliche“ Lebensrealitäten ausgeblendet hätten.
Aus dem GMMP geht hervor, dass Frauen selten über Wirtschaft und Politik berichten, dafür öfter über soziale Fragen. Simone Molitor kann diese Ergebnisse nur bedingt nachvollziehen: Sie zählt auf Nachfrage gleich mehrere renommierte Kolleginnen auf, die Ressorts wie Politik und Wirtschaft bedienen. Auch beim Journal habe es früher Frauen in der Politik und Männer im Lifestyle gegeben – und umgekehrt. Einen Unterschied macht die Journalistin am Ende dann doch aus: Frauen wurden in der Redaktion öfter als Allrounder eingesetzt, Männer blieben von manchen Themen verschont. Das führt sie allerdings eher auf die Zusammensetzung des damaligen Teams zurück als auf das Geschlecht.
Diversität in der Redaktion
Neben der Diversität in den medialen Beiträgen, stellt sich die Frage nach der Vielfalt auch im Hinblick auf die von Molitor angeführte Zusammensetzung des Teams. Versteht man unter Diversität mehr als die Parität der Geschlechter, findet man im GMMP keine hilfreichen Angaben. Bei der Webkonferenz „Comment traiter du racisme dans la presse?“ vom Réseau Afrodescendant Luxembourg Finkapé und dem Centre de documentation sur les migrations humaines kam letztes Jahr jedoch zur Sprache, dass Luxemburgs Medien schlecht aufgestellt sind, wenn es beispielsweise um ethnische Vielfalt innerhalb der Redaktionen geht. Ein Eindruck, den vermutlich viele Journalist*innen bestätigen können, die für nationale Mainstream-Medien arbeiten.
Auch für Degrott fehlt es Luxemburgs Medienhäusern in allen Hinsichten an Diversität. Das beeinflusse, welche Themen wie aufgearbeitet würden. „Wenn das Team, das entscheidet, was auf dem Plan steht, nicht divers ist, dann werden Jugendliche, nicht-weiße Personen und andere marginalisierte Personengruppen leider oft nur zu spezifischen Themenwochen befragt“, sagt Degrott. Auch würden dann Themen wie Rassismus anders gehandhabt und Artikel publiziert, die Betroffene diskreditierten.
Sie erinnert sich an einen Artikel über die umstrittene Casting-Ausschreibung zur zweiten Staffel Capitani. „Der Journalist hat sich in einem ersten Beitrag zum Thema auf eine kulturelle und juristische Debatte konzentriert, die den von Betroffenen empfundenen Rassismus relativiert“, bedauert sie. „Das wäre in einem diversen Team, das für solche Fragen sensibilisiert ist, mit Sicherheit nicht passiert, weil es die Betroffenen manipuliert und verunsichert.“
Für Antónia Ganeto, die in den 1990er-Jahren Journalismus an der Université libre de Bruxelles studierte, den Beruf aber aufgrund der stressigen Arbeitsbedingungen und der geringen Bezahlung nie ausübte, steht ebenfalls außer Frage, dass Diversität in den Redaktionen wichtig ist, schon alleine was die Kontakte und Erfahrungswerte der Journalist*innen angeht. Wenn sie von Diversität spricht, meint sie die Parität der Geschlechter, die Präsenz von Menschen mit Behinderung, von LGBTQIA+ Personen und Menschen mit unterschiedlichen ethnischen Hintergründen.
Dass in den großen Redaktionen Luxemburgs davon wenig zu sehen ist, führt die Expertin für interkulturelle Bildung und Mitglied von Finkapé auf die Chancengleichheit im Allgemeinen zurück. „Marginalisierte Personengruppen haben es schwer, überhaupt zu studieren und Arbeit zu finden. Wer es trotzdem schafft, sucht sich im Anschluss lieber eine sichere und gut bezahlte Anstellung, wie beispielsweise beim Staat“, kommentiert sie. Der müsse den Medien verstärkt die Mittel geben, die Arbeitsbedingungen zu verbessern und Vielfalt zu ermöglichen.
Das Ziel, eine diverse Zusammenstellung der Redaktion mit der Diversifizierung der Themen und der Leser*innenschaft zusammen zu denken, scheint nicht in allen Chefredaktionen eine Rolle zu spielen. Die Vertreter*innen erwähnten hingegen mehrmals den generellen Mangel an qualifizierten Fachkräften. „Je nachdem wie hoch man den Qualitätsanspruch schrauben will, [kommt] fast niemand mehr in Frage“, meint etwa Dhiraj Sabharwal. Einstellungskriterien seien beim Tageblatt einerseits professionell-handwerklicher Natur, andererseits zählten aber auch die Werte der jeweiligen Anwärter*innen.
Wenn man langjährige Journa- list*innen mit Radioerfahrung suche, so Jean-Claude Franck, habe man keine große Auswahl. „In einem kleinen Land mit einem kleinen audiovisuellen Sektor und einer spezifischen sprachlichen Situation ist es eine permanente Herausforderung, in allen Punkten divers zu sein.“ Radio 100Komma7 versuche dieses Problem aktiv anzugehen, indem es junge Menschen unterschiedlichster Hintergründe im Rahmen von Praktika dazu anrege, den journalistischen Beruf für sich zu entdecken.
Am Ende des GMMP steht ein Leitfaden für die Medien. Darin ist wenig überraschend die Forderung aufgelistet, für mehr Gleichgewicht unter Journalist*innen zu sorgen oder die Anzahl der Frauen in leitenden Positionen zu erhöhen. Ein weiterer Vorschlag ist die Gründung eines Journalistinnenbundes, wie es ihn beispielsweise in Deutschland gibt. Auch die Besprechung des GMMP im Sektor taucht auf. Die vorangehenden Einblicke in den journalistischen Mikrokosmos zeigen, dass es bis zur Umsetzung dieser Vorschläge ein weiter Weg ist. Zwar müssen die Redaktionen laut Pressehilfegesetz einen Bericht über die Parität innerhalb ihres Mediums vorlegen, doch gleichzeitig fiel in einem der Gespräche mit den Chefredaktionen auch die Frage: „Was waren denn eigentlich die Ergebnisse dieses Global Media Monitoring Project?“ Eine Frage, die Bände spricht.