Die Autoren des Buches „Half-Earth Socialism“ haben ein gleichnamiges Computerspiel veröffentlicht. Das lehrt: Sogar nach der sozialistischen Weltrevolution wird es gar nicht so leicht sein, die Erde zu retten.
Nach einer erfolgreichen, weltweiten, sozialistischen Revolution im Jahr 2022 beginnt in Havanna die erste Planungssitzung. Die Menschen fühlen sich nach der Revolution optimistisch. Allerdings erhitzt sich das Klima weiterhin, Ökosysteme und Artenvielfalt schwinden. Die globale Erwärmung sollte unbedingt unter ein Grad Celsius gebracht und das Artensterben gestoppt werden. Aufgabe des*der Spieler*in ist es, die nächsten fünf Jahre zu planen: Forschung initiieren, Großprojekte genehmigen und Verordnungen erlassen. Außerdem gilt es, den weltweiten Energiemix und die Art und Weise der Lebensmittelproduktion festzulegen. 60 Jahre beträgt die verfügbare Zeit, um die Erde wieder ins Gleichgewicht zu bringen – und wenn möglich auch für Gerechtigkeit unter den Menschen zu sorgen.
Politisches Kapital dient dem Spiel als „Währung“, mit dessen Hilfe man seine Politik umsetzen kann. Damit lassen sich nicht nur Forschungsprojekte beschleunigen, sondern auch unpopuläre Maßnahmen umsetzen. Wer aber etwas besonders Umstrittenes durchsetzen will – etwa mittels Eisendüngung eine Algenblüte in den Ozeanen auslösen, um so CO2 zu binden – braucht dafür eine Mehrheit im Parlament. Dazu muss man sich mit den verschiedensten darin vertretenen Fraktionen verbünden. So gibt es Autoritäre, Ökofeminist*innen, Malthusianer*innen, Technikbegeister-te, Tierrechtler*innen, Fanonist*innen und die Konsument*innen. Alle haben ihre eigene Vorstellung davon, wie die ökosoziale Transition gelingen kann.
Ökos ins Exil!
Aber so schwer kann es doch eigentlich nicht sein, wenn man quasi alleine entscheiden kann, wie der Energiemix der Erde aussieht, oder? Fossile Energien runter, regenerative rauf. Die Landwirtschaft wird auf einen Mix aus Biolandbau und kleinen Produzent*innen umgestellt. Mit der industriellen Tierhaltung ist auch Schluss, ab sofort werden Schweine, Kühe und Hühner nach Bioregeln gehalten! Bei der Forschung und den Verordnungen setzen wir auf Elektrifizierung, autofreie Städte und eine Einschränkung von Flügen.
Beim ersten Versuch der woxx dauerte es mit diesem Plan lediglich bis 2035, bis uns die Fraktion der Konsumfreudigen entmachtete und ins Exil schickte. Das Urteil des Spiels: Wir hatten alles schlimmer gemacht und die Erde in einem desolaten Zustand hinterlassen. Und das trotz unserer guten Ansätze und ersten Erfolge in der Emissionsreduktion.
Nach weiteren Versuchen wird klar: Es lohnt sich, immer genau auf die Zahlen zu schauen. Manche politischen Maßnahmen oder auch Änderungen in der Produktionsweise halten nicht das, was sie versprechen. So hat der Umstieg auf Bioviehzucht zwar positive Auswirkungen auf die Biodiversität, es werden jedoch mehr Treibhausgase freigesetzt. Wer auf die Hoffnung setzt, bald mit Fusionsreaktoren ein goldenes Zeitalter der quasi unbegrenzt verfügbaren Energie einzuläuten, wird vermutlich enttäuscht: Die Chance, diese Technologie erfolgreich zu entwickeln, ist sehr gering.
Alltägliche Katastrophen
Nachdem man einen Fünfjahresplan festgelegt hat, zeigt das Spiel, welche Ereignisse auf dem Planeten passieren. Die Katastrophen der Klimakrise werden zunächst bedeutsam angekündigt: Hitzewellen, Überschwemmungen, Waldbrände, immer stärkere Stürme. Kleine Icons zeigen, wo sie stattfinden. Zunächst sind sie auf einige wenige Regionen der Erde begrenzt, später wimmelt es auf dem ganzen Globus nur so von Katastrophen. Zu Beginn der nächsten Planungsperiode fasst das Spiel übersichtlich zusammen, was sich verändert hat: Temperaturanstieg um 0,3°C, Verschlechterung der Stimmung, mehr Tierarten sind ausgestorben – aber immerhin bei den Emissionen ist ein leichter Rückgang zu verzeichnen. Die Fehlschläge und Erfolge werden in politisches Kapital umgerechnet, das für die weitere Planung ausgegeben werden kann.
Depression durch Aerosole
Die Entwicklung des Spiels fand in Zusammenarbeit mit den Autoren der Buchvorlage, Drew Pendergrass und Troy Vettese, statt. Der Titel „Half-Earth Socialism“ bezieht sich auf die Idee, die Hälfte der Erde unter Naturschutz zu stellen, um im Einklang mit der natürlichen Umwelt leben zu können. Pendergrass und Vettese plädieren außerdem für eine vegane Ernährung, einen weitgehenden Verzicht auf PKWs und mehr Autonomie für indigene Völker. Das heißt jedoch nicht, dass dies die einzige Lösungsmöglichkeit ist, die im Spiel funktioniert, wie Pendergrass auf seiner Website betont. So kann man beispielsweise eine weltweite Ein-Kind-Politik einführen und sie mit „Solar Radiation Management“ kombinieren. Allerdings hat die Freilassung von Aerosolen zur Verringerung der Sonneneinstrahlung viele mögliche Konsequenzen, wie beispielsweise weniger effiziente Photovoltaik oder mehr Depressionen in der Bevölkerung, die jeden Tag unter einem weißgrauen Himmel verbringen muss.
Die Ästhetik von „Half-Earth Socialism“ ist speziell: Atmosphärische Musik, verpixelte Fotos und viele Icons, die Personen oder Gruppen darstellen, die in Chat-Optik ihre Botschaften an den*die Spieler*in richten. Besonders die Art und Weise, wie die Fotos bearbeitet sind, erinnert ein wenig an das Low Tech Magazine – ein Onlinemagazin, das versucht, eine Website mit möglichst wenig Energieaufwand zu betreiben, und offline geht, wenn die mit Solarstrom gefüllte Serverbatterie leer ist.
Das Spiel ist kurz, nach weniger als einer Stunde hat man die Erde entweder gerettet oder wurde entmachtet, weil man unpopuläre Ansätze gewählt hat. Das heißt aber auch, dass man es öfters wiederholen kann, um verschiedene Szenarien durchzuspielen. Welche Maßnahmen im Spiel besonders gut gegen Klima- und Biodiversitätskrise wirken, basiert zwar auf wissenschaftlichen Erkenntnissen, hat aber natürlich auch mit den politischen Präferenzen der Autor*innen zu tun. Eins schafft das Spiel aber sehr gut: Es regt zum Nachdenken und Träumen an, wie eine bessere, ökologisch und sozial gerechte Welt aussehen könnte.