Analyse der Wahlprogramme: Welche Parteien setzen 
sich gegen Genderdiskriminierung ein? (1/2)

Gesundheit, Gehälter, Sprache – Handlungsfelder, um sich für mehr Geschlechtergerechtigkeit einzusetzen, gibt es viele. Wie ambitioniert sind die Luxemburger Parteien diesbezüglich? Die woxx hat sich die Programme von DP, LSAP und Déi Gréng angeschaut.

Bildquelle: CC BY 2.0/flickr.com

Auch wenn sie auf den jeweiligen Internetseiten nicht so leicht aufzufinden sind, wie man sich das von Regierungsparteien erhoffen könnte: Die PDF-Versionen der Wahlprogramme von DP, LSAP und Déi Gréng liegen mittlerweile vor. Die woxx hat nachgelesen, wie sich die Parteien darin zu einigen zentralen Gender-Problematiken äußern.

Name des Ministeriums

Gleich zwei Parteien sprechen sich in ihren Wahlprogrammen für eine Umbenennung des Ministeriums für Gleichstellung von Frauen und Männern aus – auf den ersten Blick eine recht triviale Forderung. Wie die Notwendigkeit jeweils begründet und welcher Titel als passender empfunden wird, sagt indes viel über die ideologische Ausrichtung einer Partei beziehungsweise einer Regierung aus.

Sowohl DP als auch LSAP kritisieren den aktuellen Namen wegen seines ausschließenden Charakters. „Die klassische Zwei-Geschlechter-Kategorisierung zwischen Mann und Frau, sowie die ausschließliche Gleichstellung von Frauen und Männern ist für die DP nicht mehr zeitgemäß“, schreibt etwa die DP.

Bei ihrem Gegenvorschlag unterscheiden sich die genannten Parteien allerdings stark. Der LSAP etwa schwebt ein „Ministère de la diversité“ vor: Neben Gender solle sich das entsprechende Ministerium auch mit LGBTIQA+-Belangen befassen. Letzterer Bereich würde demnach nicht mehr in den Zuständigkeitsbereich des Familienministeriums fallen. Auch wenn diese Präferenz im Programm nicht weiter begründet wird, so lässt sich daraus doch die Absicht herauslesen, mit dem entsprechenden Ministerium einen intersektionalen Ansatz zu verfolgen. Es gilt abzuwarten, wie sich die LSAP eine Ausrichtung, die sowohl Geschlecht als auch sexuelle Minderheiten betrifft, in der konkreten Umsetzung vorstellt.

Der Vorschlag der DP wirkt dagegen weitaus weniger zielgerichtet: „Ministerium für die Gleichstellung aller Menschen“. Genauso gut hätte sie „Ministerium für alles und nichts“ schreiben können: Auch ein Ministerium für die Gleichstellung aller Menschen wird aus Effizienzgründen Schwerpunkte setzen müssen. Der von der DP vorgeschlagene Name lässt jedoch völlig offen, welche das sein werden. Er lässt zudem kein Bewusstsein dafür erkennen, dass manche Bevölkerungsgruppen stärker diskriminiert werden als andere und deshalb auch weit stärker auf politische Maßnahmen angewiesen sind. Bestenfalls geht die DP zu naiv an das Thema heran, schlimmstenfalls verfolgt sie einen Ansatz, der Diskriminierung gezielt relativiert. Es macht nun mal einen Unterschied, ob man „Black Lives Matter“ oder „All Lives Matter“ sagt.

Was auffällt: Déi Gréng fordern zwar keine Namensänderung, sie sind jedoch die einzige Regierungspartei, die in ihrem Programm nicht-binäre Menschen erwähnt. Die DP schreibt diesbezüglich immerhin, sich für eine dritte Option bei der Geschlechtsangabe auf offiziellen Dokumenten einsetzen zu wollen.

Geschlechtsbasierte Gewalt

Das Thema Gewalt kommt im Programm der DP zwar vor – insgesamt fünfmal taucht der Begriff im Dokument auf – Geschlecht spielt dabei aber keine Rolle. Weder häusliche oder sexualisierte noch gynäkologische Gewalt scheinen den Liberalen ein besonderes Anliegen zu sein.

Anders verhält es sich bei den anderen beiden Regierungsparteien. Déi Gréng gehen – recht kurz und oberflächlich, aber immerhin – auf ihren Vorsatz ein, die Bemühungen im Kampf gegen sexualisierte Gewalt im Netz, häusliche Gewalt und Femizide zu verstärken. Auch die Anzahl an Strukturen für Opfer häuslicher Gewalt wollen sie erhöhen. Was häusliche Gewalt betrifft, setzen sich Déi Gréng besonders für geflüchtete Frauen ein. Für Angestellte im Bildungs- und Betreuungsbereich fordern die Grünen ein Gendermodul in der Grundausbildung, in welchem unter anderem geschlechtsbasierte Gewalt thematisiert werden soll. Auch in Weiterbildungen soll besagte Berufsgruppe für verschiedene Gewaltformen sensibilisiert werden.

Die LSAP ihrerseits stellt in ihrem Programm vor allem häusliche Gewalt in den Fokus. Verstärkte Kapazitäten in Strukturen für Opfer und die Erhebung von Daten zu genderbasierter Gewalt gehören ebenso zu ihren Prioritäten wie eine Verlängerung der Verjährungsfrist von 10 auf 30 Jahre im Falle sexualisierter Gewalt. Die LSAP setzt sich zudem dafür ein, dass Polizeibeamt*innen spezifische Weiterbildungen zu Themen wie häuslicher Gewalt erhalten. Auch die Pro-
blematik der gynäkologischen Gewalt sowie Gewalt bei der Geburtshilfe (woxx 1560) ist der LSAP ein Anliegen: „En ce qui concerne la violence médicale, et plus particulièrement la violence gynécologique et obstétricale, nous allons mettre en place un bureau de plaintes neutre. Nous allons aussi réaliser une étude sur la violence gynécologique et obstétricale sur base de données empiriques collectées à ce sujet“, schreibt die Partei hierzu.

Gehälter und Renten

In den Programmen der Regierungsparteien werden flagrante Unterschiede im Umgang mit Einkommensunterschieden zwischen Männern und Frauen deutlich. Die DP etwa lobt lediglich den niedrigen Gender-Pay-Gap in Luxemburg, ohne darauf hinzuweisen, dass der Handlungsbedarf nach wie vor groß ist. Wer die Problematik in ihrer ganzen Komplexität verstehen und angehen will, muss auch Faktoren wie Teilzeitarbeit, Care-Arbeit oder den Gender-Pension-Gap mitdenken. Das liegt der DP jedoch scheinbar fern, ihre Formulierungen deuten darauf hin, dass sie das Problem als gelöst betrachtet.

„Die DP wird ein zeitlich begrenztes Recht auf Teilzeitarbeit für Eltern einführen, das bis zum 13. Lebensjahr der Kinder in Anspruch genommen werden kann“, lautet der einzige Satz, in welchem die DP den Begriff „Teilzeitarbeit“ verwendet. „Die DP wird dabei prüfen, in welchem Maße diese Periode im Rahmen der Rentenversicherung finanziell ausgeglichen werden kann“, heißt es weiter. Spezifische Anreize, damit mehr Männer sich für eine Arbeit in Teilzeit entscheiden, finden sich im DP-Programm keine. Die liberale Partei spricht sich zudem entschieden gegen eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung aus.

Anders verhält es sich bei den Grünen. „En ce qui concerne l’égalité des sexes, les différences de salaires perdurent et les opportunités de promotion et de protection ne sont pas les mêmes pour tous.tes, malgré un niveau d’éducation et de formation identique.“ In nur einem Satz wird deutlich, dass die Partei den Gender-Pay-Gap ernst nimmt und nuanciert betrachtet. Sie fordert mehr Gehältertransparenz bei Unternehmen.

Um den Pension-Gap in Angriff zu nehmen, schwebt den Grünen Folgendes vor: „introduire une cotisation minimale en cas d’interruption de carrière et donner la possibilité de cotiser à 100 % à la caisse de retraite, même à temps partiel“. Für eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung sprechen sich Déi Gréng zwar nicht aus, sie fordern allerdings ein Modell, nach welchem junge Eltern während einer begrenzten Zeit ihre Arbeitsstunden reduzieren können. Einen Anreiz für eine Arbeitszeitreduktion wollen die Grünen ebenfalls geben: „Prévoir des avantages fiscaux pour les couples parentaux lorsque les deux parents réduisent leur temps de travail.“

Auch die LSAP spricht sich für eine stärkere Transparenz bei den Gehältern aus und sieht Maßnahmen zur Bekämpfung des Gender-Pension-Gap vor. In ihrem Programm ist von einer gleichberechtigteren Aufteilung von Erziehungs- und Haushaltsarbeit die Rede; wie die Partei diese zu fördern gedenkt, geht aus dem Text allerdings nicht hervor. Konkreter wird es bei der Arbeitszeitreduktion: Um beiden Elternteilen einen Anreiz dazu zu geben, schlägt die LSAP vor, dass der Staat einen Teil der Sozialbeiträge übernimmt. Spezifische Anreize, damit mehr Männer sich für eine Arbeit in Teilzeit entscheiden, finden sich im LSAP-Programm allerdings ebenfalls keine.

Die LSAP spricht sich als einzige der drei Regierungsparteien klar für eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung aus, und zwar auf 38 Stunden.

Schwangerschaftsabbruch

Sowohl die LSAP als auch die Grünen wollen sich dafür einsetzen, die Frist für einen Schwangerschaftsabbruch von 12 auf 14 Wochen zu erhöhen (woxx 1744). Außerdem wollen sie das Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch in der Verfassung verankern. Die DP hat diesbezüglich nichts in ihrem Programm vorgesehen.

Gender-Data-Gap

Was die Bekämpfung des Gender-Data-Gap betrifft, gehen die Ansätze der drei Regierungsparteien auseinander. Im Programm von Déi Gréng wird einzig im Kapitel „Santé“ die Notwendigkeit hervorgehoben, geschlechtsspezifische Daten zu sammeln. Daran geknüpft ist die Forderung, Gendermedizin in die medizinische Grundausbildung zu inte-
grieren. Gemeint ist damit die Berücksichtigung des Faktors Geschlecht im Zusammenhang mit Erkrankungen, Behandlungen, Prävention und Forschung.

Die LSAP will sich für mehr Statistiken im Bereich der geschlechtsbasierten Gewalt einsetzen. Im Programm der DP wird nicht auf die Problematik eingegangen.

In keinem der Programme findet sich demnach eine ganzheitliche Strategie, um in jeglichen Forschungsbereichen nach Geschlecht aufgeschlüsselte Daten zu sammeln.

„congé de naissance“ und 
„congé parental“

Der in den vergangenen Monaten kontrovers diskutierte „congé de naissance“ dürfte in den Koalitionsverhandlungen mit großer Wahrscheinlichkeit ein heißes Thema werden. Mit „congé de naissance“ ist die Arbeitskarenz gemeint, die dem nicht-gebärenden Elternteil unmittelbar nach der Geburt des Kindes zusteht.

Die LSAP erwähnt ihn in ihrem Programm überhaupt nicht, Déi Gréng wollen ihn lediglich „flexibler“ gestalten. Letztere wollen es jedoch dem nicht-gebärenden Elternteil ermöglichen, seinen „congé parental“ bereits während des „congé de maternité“ des gebärenden Elternteils zu nehmen.

Von den Regierungsparteien geht einzig die DP so weit, in ihrem Programm eine Erhöhung des „congé de naissance“ um fünf Tage zu fordern. Den „congé parental“ wollen sie um drei Monate, also auf insgesamt neun Monate erhöhen.

Gendern

Déi Gréng wollen sich für den Gebrauch einer gendergerechten Sprache in der gesamten öffentlichen Kommunikation einsetzen. Die LSAP erwähnt das Gendern einzig im Kapitel „Bildung“. Demnach sollen Schüler*innen zu einer inklusiven Schreibweise „qui reconnaît et inclut toutes les identités de genre“ angeregt werden. Die DP äußert sich nicht zu dieser Thematik.

In dem nächste Woche erscheinenden zweiten Teil werden die Programme der Oppositionsparteien analysiert. Außerdem zieht die woxx ein Fazit: Welche Partei ist denn nun am ambitioniertesten in puncto Geschlechtergerechtigkeit?

Weitere Auffälligkeiten:

Nur zwei der Regierungs-
parteien sprechen sich dafür aus, Endometriose als Krankheit anzuerkennen: 
die DP und déi Gréng.

Einzig Déi Gréng und die DP sprechen sich in ihren 
Programmen für ein Verbot von Jungfräulichkeitszertifikaten aus.

Keine der drei Regierungsparteien 
hat spezifische Maßnahmen im 
Bereich der Jungen- und Männerarbeit vorgesehen.


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