Gasversorgung: Bittere Alternativen

In Europa versucht man, sich auf Gasknappheit im Winter vorzubereiten. Unterdessen wehren sich Aktivist*innen in den USA gegen immer mehr Exportterminals.

Verflüssigtes Gas über den Atlantik zu bringen, mag die kurzfristige Versorgung garantieren, sorgt langfristig aber für Probleme: dort, wo das Gas gefördert wird und global wegen den erhöhten Treibhausgasemissionen. (Foto: CC BY-SA 3.0 Wolfgang Meinhart/wikimedia)

Trotz Hitzewelle dominierte in den letzten Wochen die Angst vor der Winterkälte. Banges Starren auf die Zahlen der Gaspipeline Nordstream 1 war vor allem nach einer Wartungsperiode angesagt. Manch eine*r fürchtete, Putin drehe Europa den Gashahn endgültig zu. Die deutsche Wochenzeitung Zeit hat auf ihrer Website einen Energiemonitor eingerichtet. Das illustriert die Nervosität ganz gut. Die Grafiken visualisieren neben dem Pipeline-Durchfluss auch den Füllstand deutscher Gasspeicher und den Verbrauch. Letzterer ist 2022 geringer als im Vorjahr.

Ein gutes Zeichen, das sich auch mit dem deckt, worauf sich die EU am 26. Juli geeinigt hat: Freiwillig sollen die Länder den Gasverbrauch um 15 Prozent senken. In Luxemburg sei dies bereits passiert: Um etwa acht Prozent soll der Verbrauch gesunken sein, wurde Energieminister Claude Turmes (Déi Gréng) vom Tageblatt zitiert. In einer Pressemitteilung bezeichnete Turmes die Entscheidung als „starkes Signal der Solidarität und Einheit“. Obwohl Luxemburg wahrscheinlich wenig von einem russischen Boykott betroffen wäre, arbeite man an einem Sparplan, der Anfang des Herbstes präsentiert würde. „Luxemburg wird durch die Zusammenarbeit von Staat, Gemeinden, Bürgern und Unternehmen zur Senkung der Erdgasnachfrage beitragen. Tipps zum Energiesparen sind bereits auf energie-spueren.lu zu finden. Gemeinsam werden wir uns dieser Herausforderung stellen“, so der Minister.

Die Tipps, die die frisch umbenannte Klimaagence zusammengestellt hat, sind eher banal: Stoßlüften, Fenster abdichten, einen sparsamen Duschkopf kaufen. Das gilt zumindest für jene, die sich keine Renovierung oder gar kein Eigenheim leisten können. Wer das nötige Eigenkapital hat, kann sich über die staatlichen Subventionen bei der energetischen Sanierung oder dem Einbau einer Wärmepumpe informieren. Wer in einer Mietwohnung sitzt, kann nur hoffen, dass weiterhin Gas fließt – und es irgendwie bezahlbar bleibt.

Keine Kraft zum Repowern

Neben dem Einsparen von Gas hat die EU-Kommission noch andere Maßnahmen vorgeschlagen, um unabhängiger von russischen Energieimporten zu werden. Das Paket, das als „Repower EU“ bekannt ist, könne jedoch hinter den Ambitionen zurückbleiben, mahnte der Europäische Rechnungshof. Statt den 210 Milliarden Euro, die die nötigen Investitionen kosten würden, seien nur 20 Milliarden bereitgestellt worden. Um die restliche Finanzierung müssen sich die Mitgliedstaaten selbst kümmern – etwa, indem sie Gelder aus der sogenannten Aufbau- und Resilienzfazilität anzapfen, die eigentlich die Auswirkungen der Corona-Pandemie abfedern sollten.

Die „Repower EU“-Strategie sieht nicht nur Investitionen in erneuerbare Energien vor, sondern auch 10 Milliarden Euro, mit denen zusätzliche Erdgas-Infrastrukturen finanziert werden sollen. Da die EU bis 2027 kein russisches Gas mehr importieren will, richtet sich der Blick zunehmend über den Atlantik. Mittels Fracking gewonnenes Erdgas wird für den Transport verflüssigt. Das sogenannte Flüssigerdgas (Liquefied natural gas – LNG) kann dann mit Tankern nach Europa verschifft werden. US-Präsident Biden versprach im März, zusätzliche 15 Milliarden Kubikmeter LNG nach Europa zu exportieren. Durch die hohen Preise in Europa ist zu erwarten, dass dieses Ziel übererfüllt wird, wie die Nachrichtenagentur Reuters meldete. Bereits im Juni gingen 68 Prozent der LNG-Exporte aus den USA nach Europa. Für die Gasfirmen rechnet es sich trotz Strafzahlungen, ihre Lieferungen nach Asien oder Südamerika ausfallen zu lassen. Auch in Zukunft will die EU mehr Gas aus den USA: 50 Milliarden Kubikmeter LNG sollen pro Jahr eingekauft werden, mindestens bis 2030.

LNG aus den USA ist nicht nur klimaschädlich, sondern zerstört auch Naturschutzgebiete wie hier in Louisiana. (Foto: CC-BY-SA 3.0 Jan Arrhénborg/AGA

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Das weckt Begehrlichkeiten, etwa im Bundesstaat Louisiana. Am Golf von Mexiko sind zwölf neue LNG-Terminals in Planung oder im Bau. Weitere wurden bereits vorgeschlagen, darunter auch schwimmende Plattformen, die bereits 2023 in Betrieb gehen könnten. Nicht alle sind davon begeistert. Die Louisiana Bucket Brigade lud letzte Woche zu einer virtuellen Pressekonferenz, um international darüber aufzuklären, was der verstärkte Gasexport für die Einwohner*innen Louisianas bedeutet. Die Bucket Brigade wurde 2000 gegründet und heißt so, weil sie ein einfaches, billiges Gerät zur Messung der Luftqualität – in Form eines Eimers – hergestellt hat. Diese Eimer wurden in Nachbarschaften in der Nähe von Ölraffinerien und Chemiefabriken verteilt und konnten zum Teil nachweisen, dass die erlaubten Grenzwerte überschritten wurden.

Gasindustrie im Hurrikangebiet

Heute macht die NGO auf die Gefahren der LNG-Terminals in Louisiana aufmerksam. Nicht nur, dass bei der Verflüssigung von Erdgas immer auch extrem klimaschädliches Methan freigesetzt wird, auch die Gefahren für Umwelt und Menschen seien groß, so Justin Kray, der als Städteplaner für die Bucket Brigade arbeitet. Er zeigt bei seiner Präsentation eine Karte, auf der zu sehen ist, dass die geplanten Terminals in Überschwemmungsgebieten liegen. „Die ausgewählten Standorte sind durch Hurrikans und Überschwemmungen stark gefährdet. Sollte es zu einem Bruch kommen und das Hochwasser mit dem unterkühlten Gas in der Raffinerie in Berührung kommen, könnte dies zu einer katastrophalen Explosion führen. Dies hätte negative Auswirkungen auf unsere Umwelt und die wirtschaftliche Versorgungskette.“

Bei Cameron, einem kleinen Ort nahe der Küste, wird seit 2019 ein weiteres LNG-Terminal gebaut. „Dazwischen gab es einen Hurrikan der Kategorie Vier“, sagt Kray. Der Sturm habe ein großes Stück der Küste gefressen, der Strand sei verschwunden. Auf Luftbildern ist das deutlich zu sehen. Die geplanten LNG Terminals entstehen zum Teil direkt an der Küste, zum Teil aber auch weiter landeinwärts in den Salzwasserseen Sabine Lake und Calcasieu Lake. Bisher gab es in der Region wenig Industrie und eigentlich liegt hier ein Naturschutzgebiet, das Sabine National Wildlife Refuge, aber die Politiker*innen Louisianas scheint es nicht zu stören, in der Nähe mehr petrochemische Anlagen zu errichten.

Bereits in der Vergangenheit sind die LNG-Importe aus den USA gestiegen. In Zukunft soll noch mehr Erdgas über den Atlantik kommen. (Grafik: EU)

Die Ölkonzerne profitieren

Louisiana sei für 0,5 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich, betonte der Meeresökologe und Klimaforscher Alexander Kolker. Das ist so viel wie die Niederlande, obwohl der US-Bundesstaat viermal weniger Einwohner*innen hat. Kolker wertete Daten über die Emissionen in Louisiana aus, seine Ergebnisse präsentierte er für die Bucket Brigade der Presse. Besonders besorgniserregend seien neben Treibhausgasen sogenannte „non-methane volatile organic compounds“, die zum Teil krebserregend sind. „Die hier in Louisiana erzeugten Emissionen stammen aus der Chemie- und der Ölindustrie, die giftige Luftschadstoffe und Treibhausgase produzieren – mit Auswirkungen auf das Leben der Menschen in Louisiana und auf die Gesundheit des Planeten. Der globale Klimawandel ist die Verbindung zwischen den Gasbohrungen und der Verflüssigung in Louisiana und der Hitzewelle, die Spanien in diesen Tagen heimsucht.“

Von dem Export-Boom in den USA und den hohen Preisen in Europa profitieren vor allem die Energiefirmen. Eine von ihnen ist der französische Konzern Total. Der verschifft nicht nur amerikanisches Gas nach Europa – ein Terminal in Cameron gehört dem Konzern zu 16 Prozent –, sondern ist auch in Afrika und Südamerika auf der Suche nach weiteren fossilen Energien.

Am 28. Juli, als Total einen Gewinn von 5,7 Milliarden Dollar für das zweite Quartal 2022 bekanntgab, kritisierte die Klimaschutz-NGO 350.org die Expansionspläne des Konzerns. Ihre Sprecherin Clémence Dubois forderte, Total den Geldhahn zuzudrehen: „Auf der einen Seite erleben wir beispiellose Hitzewellen, Brände und Überschwemmungen. Auf der anderen Seite profitiert Total – der französische Konzern mit den höchsten Treibhausgasemissionen – vom Krieg in der Ukraine und macht seine Aktionär*innen reicher denn je. Die Verschärfung der Klimaauswirkungen auf der ganzen Welt ist kein Zufall, sondern Ausdruck der grenzenlosen Gier der fossilen Brennstoffindustrie, die ihre Rekordgewinne einmal mehr für die Entwicklung neuer Öl- und Gasprojekte nutzen will.“


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